Meine ganz persönlichen Lesempfehlungen
Auf der Su­che nach Lese­stoff? Hier fin­dest Du Buch­be­spre­chun­gen mit An­spruch aber oh­ne Al­lü­ren. Ich schrei­be meist über bel­le­tris­ti­sche Ti­tel; über sol­che, die mir ge­fal­len oder auch mal nicht ge­fal­len ha­ben; manch­mal Main­stream, manch­mal ab­seits der aus­ge­tre­te­nen Pfa­de. (Per­sön­li­che Emp­feh­lun­gen und ein paar Wor­te zu die­sem Pro­jekt gibt’s ganz un­ten auf die­ser Sei­te.)

Thomas-Mann-Preis 2022

Jonathan Franzen, 2020
Jonathan Franzen, 2020

Der US-ame­ri­ka­ni­sche Schrift­stel­ler Jo­na­than Fran­zen (62) wird am 16. Sep­tem­ber die­ses Jah­res im Stadt­thea­ter Lü­beck mit dem Thomas-Mann-Preis aus­ge­zeich­net, der mit 25.000 Euro do­tiert ist. In der Be­grün­dung der Ju­ry heißt es:

„Spä­tes­tens mit sei­nem drit­ten Ro­man Die Kor­rek­tu­ren von 2001 hat sich Fran­zen in die Welt­li­te­ra­tur der Ge­gen­wart ein­ge­schrie­ben. Am Bei­spiel einer chro­nisch un­glück­li­chen Fa­mi­lie gibt der Ro­man ein schil­lern­des Pa­no­ra­ma der ame­ri­ka­ni­schen Ge­sell­schaft mit ih­ren Sehn­süch­ten und ih­ren Ab­grün­den. Gut 100 Jah­re nach Tho­mas Manns Bud­den­brooks führ­te der Welt­er­folg der Kor­rek­tu­ren zu einer Re­nais­san­ce auch des deutsch­spra­chi­gen Fa­mi­lien­ro­mans. Fran­zen hat seit sei­ner Stu­dien­zeit in Mün­chen und Ber­lin in den frü­hen 1980er Jah­ren ein be­son­ders na­hes Ver­hält­nis zu Deutsch­land, seit 2010 ist er Mit­glied der Aka­de­mie der Küns­te in Ber­lin. Den Tho­mas-Mann-Preis er­hält er für sein er­zäh­le­ri­sches Werk, das die Tra­di­tion des gro­ßen Ge­sell­schafts- und Fa­mi­lien­ro­mans, ver­bun­den mit Na­men wie Tol­stoi, Dos­to­jews­ki und Tho­mas Mann, im 21. Jahr­hun­dert wie­der­be­lebt hat.“

Congratulations, Mr. Franzen!

Wer sich für Jona­than Fran­zens Werk in­te­res­siert, wird wo­mög­lich mei­ne Buch­be­spre­chun­gen zu Die Kor­rek­tu­ren und Frei­heit le­sen wol­len?

Unterwerfung

Michel Houellebecq, Unterwerfung, 2015
Michel Houellebecq, 2015

Im April 2022 wur­de der fran­zö­si­sche So­zia­list Em­ma­nuel Ma­cron zum zwei­ten Mal in Fol­ge in der Stich­wahl zum Staats­prä­si­den­ten un­se­res Nach­bar­lan­des ge­wählt. Sie­ben Jah­re zu­vor, am 7. Ja­nuar 2015, er­schien der Ro­man Unterwerfung des Schrift­stel­lers und Bür­ger­schrecks Mi­chel Houelle­becq. Da­rin be­schreibt der Autor, wie En­de Mai 2022 eine Al­li­anz von So­zia­lis­ten, Kon­ser­va­ti­ven und Mus­li­men un­ter der Füh­rung eines ge­wis­sen Mo­ham­med Ben Ab­bes die Über­nah­me der Staats­ge­schäf­te durch die rechts­ex­tre­me Ma­ri­ne Le Pen ver­hin­dert. Die­se fik­ti­ve Ge­schich­te un­ter­brei­tet uns Houelle­becq aus der Sicht eines Ich-Er­zäh­ler na­mens Fran­çois, eines Li­te­ra­tur­pro­fes­sors in bes­tem Al­ter, der an der Pa­ri­ser Sor­bon­ne lehrt.

Ich habe Geschmack daran gefun­den, Roman­ge­schich­ten, die einen gewis­sen Zukunfts­be­zug haben, einige Jahre spä­ter noch ein­mal zu lesen und sozu­sa­gen einer Art „Fak­ten­check“* zu unter­wer­fen. So etwa näm­lich, wie ich es unlängst mit Hart auf Hart von T. C. Boyle unter­nom­men habe. Auch Houelle­becqs Unterwerfung eig­net sich dafür beson­ders gut, und zwar aus zwei Grün­den:

Zum einen erfolgte exakt am Tag der Veröf­fent­li­chung das isla­mis­tisch moti­vierte Atten­tat auf die Redak­tion des Sati­remaga­zins Char­lie Hebdo, das sein Titel­bild dem Autor gewid­met hatte. Houelle­becq wurde darauf­hin eine Mit­ver­ant­wor­tung unter­stellt, er brach die Rekla­mekam­pagne für sein Buch ab und zog sich aus der Öffent­lich­keit zurück.
Zum ande­ren war bereits zum Erschei­nungs­zeit­punkt des Buches zwei­fel­los klar, dass das Sze­na­rio einer mus­limi­schen Macht­über­nahme in Frank­reich selbst erst im Jahr 2022 völ­lig fik­tiv und jen­seits aller vor­stell­ba­ren Pro­gno­sen lag. – Was also hatte Houelle­becq im Sinn, als er uns seine Uto­pie prä­sen­tierte?

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Gray

Leonie Swann, Gray, 2017
Leonie Swann, 2017

Die tierische Kri­mi­auto­rin hat wie­der zu­ge­schla­gen: Gray lau­tet der Ti­tel von Leo­nie Swanns drit­ter Kri­mi­nal­ge­schich­te, in der er­neut ein ani­ma­li­scher Er­mitt­ler an der Mör­der­su­che be­tei­ligt ist. In ih­ren bei­den vor­aus­ge­gan­ge­nen Best­sel­lern Glenn­kill und Ga­rou hat­te Swann eine Schafs­her­de als De­tek­tiv­trup­pe auf­tre­ten las­sen. Sie­ben Jah­re nach dem zwei­ten Teil hilft nun ein Pa­pa­gei na­mens Gray – das drit­te G in Fol­ge – da­bei, die To­des­um­stän­de sei­nes ver­bli­che­nen Be­sit­zers auf­zu­klä­ren. Da­bei greift die Auto­rin wie­der auf das be­währ­te Kon­zept ih­rer Schafs­kri­mis zu­rück.

Dieses Kon­zept be­steht nicht et­wa da­rin, ihre tie­ri­schen Ro­man­fi­gu­ren als ver­mensch­lich­te Kri­mi­na­lis­ten auf­tre­ten zu las­sen. (Et­wa wie die samt­pfö­ti­ge De­tek­ti­vin Mrs. Mur­phy bei Ri­ta Mae Brown oder das Erd­männ­chen Ray von Mo­ritz Mat­thies.) Bei Leo­nie Swann blei­ben Scha­fe Scha­fe, Zie­gen blei­ben Zie­gen und ein Pa­pa­gei eben ein Pa­pa­gei.

„Nimm ne Nuss!“

Glennkill und Garou waren immer­hin noch aus der Per­spek­tive der Schafe geschrie­ben. Die Tiere konn­ten mensch­li­che Spra­che ver­ste­hen und sich ihren Reim darauf machen, auch wenn sie sich selbst nur mit­tels Schafs­lau­ten unter­ein­an­der ver­ständ­lich machen konn­ten. Der Papa­gei Gray hin­ge­gen wird nie­mals zum Erzäh­ler. Er bleibt stets der Beglei­ter der Haupt­figur, obwohl er im Gegen­satz zu den Scha­fen als Papa­gei tat­säch­lich mensch­li­che Spra­che von sich geben kann. Mit sei­nen manch­mal mehr, manch­mal weni­ger ziel­siche­ren und oft zwei­deu­ti­gen Äuße­run­gen erregt Gray nicht nur die Begeis­te­rung diver­ser Roman­figu­ren son­dern auch die der Leser­schaft.

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