Der mit 25.000 Euro dotierte Preis des Deutschen Buchhandels geht dieses Jahr an eine Schweizer genderfluide, nichtbinäre Person, die unter dem Pseudonym Kim de l’Horizon (30) schreibt. Sie erhält den Preis für ihren Erstlingsroman Blutbuch. Die Verleihung des Preises wurde am Montag der vergangenen Woche im Kaisersaal des Frankfurter Römers zum Auftakt der jährlichen Buchmesse bekannt gegeben.
Die Begründung der Jury zu ihrer Wahl lautete:
„Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l’Horizons Roman Blutbuch nach einer eigenen Sprache. Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht?
Fixpunkt des Erzählens ist die eigene Großmutter, die ‚Großmeer‘ im Berndeutschen, in deren Ozean das Kind Kim zu ertrinken drohte und aus dem es sich jetzt schreibend freischwimmt.
Die Romanform ist dabei in steter Bewegung. Jeder Sprachversuch, von der plastischen Szene bis zum essayartigen Memoir, entfaltet eine Dringlichkeit und literarische Innovationskraft, von der sich die Jury provozieren und begeistern ließ.
Im vergangenen Jahr war der Deutsche Buchpreis an die Potsdamer Schriftstellerin Antje Rávik Strubel gegangen.
Stimmen zur Preisverleihung 2022
- Alexander Solloch, NDR-Kultur, 22.10.2022
„Die Juryvorsitzende Miriam Zeh hat zumindest angedeutet, dass es durchaus nicht unbedingt eine einhellige Entscheidung gewesen ist. Ich schätze schon, dass da in der Jury sehr gestritten worden ist. […] Es ist das erste Mal im deutschsprachigen Raum, dass eine non-binäre Person einen großen, wichtigen Literaturpreis bekommt. […] Das war eine sehr starke Shortlist. Alle sechs Titel hätten den Preis verdient gehabt. […] Aber das ‚Blutbuch‘ ist eben so gewagt, so experimentierfreudig. […] Übrigens – das muss man immer dazu sagen, dass bloß keiner zurückschreckt, weil ich gesagt habe experimentierfreudig, gewagt –: Es ist von vorne bis hinten ein sehr gut lesbares Buch. Eine gute Entscheidung.“ - Daniel Arnet, Blick.ch, 22.10.2022
„Ein mutiger Entscheid, ein mutiger Auftritt: Mit Schminke, Schmuck und Schnauz tritt Kim de l’Horizon auf die Bühne und sagt erst einmal ‚wow!‘. Dann folgen ein paar tränenreiche Dankesworte an die Mutter und ein englisches Lied. Schliesslich zückt de l’Horizon einen Rasierapparat und, ritsch, ratsch!, sind die Kopfhaare weg – aus Solidarität mit den Frauen im Iran. […] ‚Meine Muttersprache ist das Reden‘, sagt die Hauptfigur Kim im Roman. ‚Meine Vatersprache ist das Schweigen. Und meine eigene Sprache sind Zungen, und meine Zungen tropfen, tröpfeln, verschwimmen, strömen, wurzeln, fliessen.‘ Fliessende Schreibe, ‚Ecriture fluide‘, nannte das de l’Horizon in einem Zeitungsporträt. Tatsächlich ist in diesem Buch alles im Fluss, alles ständig in Bewegung, nichts lässt sich greifen. Doch trotz fliessender Übergänge von Geschichte zu Gedicht, Liste zu Protokoll, Dialog zu Brief liest sich das Buch erstaunlich flüssig.“ - Anna Schneider, Welt, 25.10.2022
„Kim de l’Horizon hat den Buchpreis bekommen und alles daran ist fantastisch […] Mit Kim de l’Horizon hat erstmals eine nonbinäre Person den Deutschen Buchpreis bekommen. Seitdem wird sie von Hass überflutet. Das geht auch auf das Konto der woken Blase, die mit dem Schüren negativer Gefühle ein neues Spießertum herangezogen hat.“ - Arno Frank, SPIEGEL Kultur, 20.10.2022
„Politisch, schmerzhaft, zäh: Mit ‚Blutbuch‘ wird die Geschichte einer non-binären Erzählfigur ausgezeichnet. Einige ätzen, damit feiere sich ein elitäres Establishment selbst. Aber eine Jury ist eben kein Publikumspreis.“ - Stefan Härtel, Bookster HRO, 18.10.2022
(Kurze aber aufschlussreiche Romanbesprechung beim Bloggerkollegen aus Rostock)
~
Wenn Du über diese Links bestellst, erhalte ich eine kleine Provision auf Deinen Einkauf (mehr darüber)