Für die erste Ausgabe des ZEITmagazin MANN im Jahr 2022 hat Christoph Amend im Februar mit dem kalifornischen Romancier T. C. Boyle (73) in dessen Zuhause bei Santa Barbara ein Gespräch geführt, das auf fünf Bild- und viereinhalb Textseiten abgedruckt wurde.
„Der Schriftsteller über Klimawandel, Drogen und 48 Jahre Ehe“
So lautet der Untertitel zum Interview auf dem Magazincover. Der Text, der uns erwartet, ist kein Frage- und Antwortspiel, also kein klassisches Interview. Vielmehr hat Amend das Gespräch in einen Fließtext gepackt, der viele kleine Details aus dem Leben Boyles wiedergibt, die keinem chronologischen Ablauf folgen. Die Bebilderung besteht aus fünf ganzseitigen Fotografien, auf denen der Schriftsteller Kleidung und Accessoires verschiedener bekannter Modemarken trägt – klassisches Product Placement also, möchte man sagen.
Jede der Textseiten wird optisch von einem Textfragment oder Zitat dominiert, das in scharlachroter Großschrift gesetzt ist. Da steht dann zum Beispiel:
Boyles Verleger riet ihm, die Vornamen abzukürzen: Dann könne er seinen Namen größer aufs Cover drucken
(Seite 69)
Über den Inhalt
So manche der Details aus dem Gespräch sind für harte Fans des Schriftstellers keine echten Neuigkeiten mehr. Insbesondere jene unter uns, die @tcboyle auf Twitter folgen, wissen längst, dass er eines der legendären Präriehäuser des Architekten Frank Lloyd Wright bewohnt. Boyles Twitteraccount ist voll mit Fotos des über hundertjährigen Holzhauses sowie der näheren und weiteren Umgebung. Auch dass er fast täglich ausgedehnte Spaziergänge mit seiner Puli-Hündin Ilka macht, die er einmal im Jahr kahl scheren lässt, wissen wir schon. Und auch dass er von seiner deutschstämmigen Ehefrau Karen, mit der er seit 1974 verheiratet ist, gerne als „Frau B.“ spricht, ist nicht neu.
Aber sowohl in diesem Interview als auch auf Twitter hält der Schriftsteller seine Familie aus dem Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit heraus. Von „Frau B.“ gibt es keine Fotos. Lediglich einen familiären Ernährungsaspekt bringt Boyle zur Sprache: Seine Frau isst gerne Fleisch, er selbst ist Vegetarier. Und auf Twitter wird ab und zu namentlich auch sein Sohn, „Dr. Boyle the Younger“, erwähnt.
T. C. Boyle erzählt
Der Mann ist ganz einfach ein sehr unterhaltsamer Erzähler. Das gilt für seine Romane ebenso wie für dieses Interview. So gibt er zum Besten, wie er zu seinem Frank-Lloyd-Wright-Haus gekommen ist und wie er vor vier Jahren evakuiert wurde und sein Haus um ein Haar den Waldbränden zum Opfer gefallen wäre. Ja klar, der Klimawandel mache die Sache nicht besser. „Wir sind gerade in der Regensaison, aber wir hatten keinen einzigen Tropfen Regen seit Dezember. Hier kann jederzeit ein Feuer ausbrechen.“ (Seite 73)
Auch über die zweite große Katastrophe der letzten Jahre weiß Boyle zu berichten. Nämlich wie er persönlich die COVID-19-Pandemie erlebt hat. Welches Glück er gehabt habe in seiner weitläufigen Umgebung, im Gegensatz zu Menschen, die den Lockdown in verdichteten Hochhaussiedlungen der Großstädte überstehen mussten. Aber leider könne er jetzt nicht mehr in sein Häuschen in den Bergen fahren, weil dort lauter ungeimpfte Rednecks lebten.
Er erzählt auch, dass er inzwischen ein gesundes Leben führe; dass das aber nicht immer so gewesen sei. In seiner Jugend habe er Heroin genommen und Glück gehabt, dass er nicht abhängig geworden sei. „Seine Sucht ist dann das Schreiben geworden, vielleicht gerade noch rechtzeitig.“ (Seite 70). Wir erfahren auch, wie der Schriftsteller zum Schreiben gekommen ist, Ende der Sechzigerjahre. Erst als Lehrer in New York, dann über einen Schreibkurs an der Universität von Iowa.
Boyle macht sich auch Gedanken über die Bedeutungslosigkeit der Menschen auf unserem „mysteriösen Planeten“:
„Wir Menschen können logisch denken, wir wissen, wie die Dinge funktionieren, wir sparen für unsere Rente, wir gehen zum Zahnarzt – aber warum das alles? Wir wissen nicht, was das eigentliche Geheimnis ist. Und dann sind wir tot.“
(Seite 70)
Die politische Orientierung Boyles ist bekannt. Er war und bleibt ein vehementer Gegner Donald Trumps, wie so viele andere kalifornische Prominente auch. Aber er beschäftigt sich nicht gerne mit Politik. Viel lieber spricht er über seine Naturverbundenheit. Dass er im Garten seines Hauses Milchkraut anpflanzt, um den Raupen des Monarchfalters Futter anzubieten, wissen wir schon von Twitter. Und auch den Teich hinter seinem Haus haben wir dort schon oft gesehen.
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Das Interview im ZEITmagazin ist eine wunderbare, runde Sache für alle, die ein wenig mehr und vor allem mehr Persönliches nachlesen möchten, als sie zum Beispiel in der Wikipedia finden können. Das Gespräch endet mit einer Erkenntnis Boyles, die die Bescheidenheit des Mannes widerspiegelt, die er stets gern zur Schau trägt:
„Ich habe in meinem Leben drei große Fehler gemacht. Erstens dachte ich, dass Literatur wichtig ist. Zweitens dachte ich, dass ich wichtig bin. Und drittens dachte ich, dass irgendetwas auf der Welt auch nur das Geringste bedeutet. Aber abgesehen davon ist alles gut.“
(Seite 75)
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Meine Buchbesprechungen zu T. C. Boyles Romanen findet man im Autorenprofil des Schriftstellers, das ich im Sommer 2023 angelegt habe.
Christoph Amend: T. C. Boyle
Zeitverlag, 2022