„Die Tinte ist das fünfte Element und die Presse die Artillerie der Gedanken.“ Das wusste bereits vor zweihundert Jahren Karl Julius Weber. Nun hat Karsten Dusse den fünften Roman über seinen Dauerhelden Björn Diemel veröffentlicht. Und tatsächlich: Wenn wir von Seite zu Seite blättern, begeben wir uns unter heftigen Artilleriebeschuss durch den Autor. Zwar hat Dusse sein Grundrezept aus den drei ersten Bänden nicht wesentlich verändert; das Personal der Romane hat nach einem vorübergehenden Rollentausch in Band vier wieder seine angestammten Plätze eingenommen. Also bleibt Diemel, der ehemalige Anwalt und inzwischen Chef eines Verbrechersyndikats, auf seinem Schlingerkurs zwischen spiritueller Achtsamkeit und Kapitalverbrechen. Und Joschka Breitner kehrt zu seiner Rolle als therapeutischer Beistand Diemels zurück. Wie nicht anders zu erwarten war, landete der aktuelle achtsame Mordroman aus dem Stand wieder weit oben auf den Bestsellerlisten.
In diesem fünften Romanband geht es um Ernährungsbewusstsein. Denn Diemel ist nach ein paar Jahren als Mafiaboss doch recht füllig geworden. Sein Guru Breitner weiß selbstverständlich nicht nur in Sachen Achtsamkeit Rat, sondern auch in Hinblick auf die ernährungstechnische Läuterung seines Patienten.
Worum geht es?
Die eigentliche Geschichte ist wahrlich schnell umrissen. Dem Helden aller bisherigen Bände ist inzwischen langweilig. Da kommt ihm die Idee eines seiner Mitarbeiter gelegen: Er will in einem weitläufigen, aufgelassenen Keller unter dem Tigergehege im Zoo eine Marihuanaplantage einrichten. Dank seiner Langeweile ist Björn Diemel allerdings inzwischen zum Vielfraß und dank zu geringer Aktivität und zu viel Homeoffice speckig um die Hüften geworden. Er hat ein „Knopf-Problem“ an seinen Hosen und ein „Rilke-Gefühl“ (eingesperrter Panther) im Kopf. Bei einem Ausflug in den Zoo – ja, in eben den Zoo mit der Marihuanaplantage! – entgeht seine Tochter nur durch pures Glück einer Entführung. Auf Grund seiner Leibesfülle hätte Diemel das nämlich niemals verhindern können. Also beschließt der Mann, diesen persönlichen Mangel nachhaltig zu beheben.
Und damit sind wir beim Titel der Geschichte. Es geht natürlich einerseits um achtsames Morden im Nachgang zu der missglückten Kindesentführung sowie andererseits um bewusste Ernährung, damit Björn Diemel künftig nicht nur achtsam, sondern auch federleicht durchs Leben schweben kann. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Aber die Leserschaft weiß ja längst, was sie von Dusse zu erwarten hat: Es wird Leichen geben. Und der Held der Geschichte wird abnehmen. Dass die Tiger eine nicht unbedeutende Rolle spielen werden, kann man sich auch von Anfang an denken.
Artilleriebeschuss?
In der Einleitung habe ich darauf hingewiesen, dass uns Dusse in seiner aktuellen Geschichte mit heftigem Artilleriefeuer eindeckt. Bereits in seinen früheren Romanen hatte er sich gesellschaftliche Phänomene herausgepickt, an denen er – unabhängig von der Handlung – seine Fänge wetzte. Im ersten Roman kritisierte er noch recht verhalten die prototypischen Kindergartenmütter (und -väter). Im zweiten Band geißelte er zusätzlich noch unreflektierte Klimaschützer, die E-Mobilität und E-Zigaretten. Im dritten Roman wirkte Dusse fast schon wieder zahm mit seinen knapp gehaltenen, wenn auch unmissverständlichen Attacken gegen das Sprachgendern, die er in Teil vier noch einmal festigte.
Bis dahin waren das immer kurze, bissige Gemeinheiten, über die man wenigstens schmunzeln konnte; selbst dann, wenn man anderer Meinung war. Der vorliegende fünfte Teil jedoch gerät zu einem heftigen Rundumschlag gegen gravierende Mängel im Schulsystem, fehlende Erziehung, die in Verdummung und Aggressionen mündet. Gegen das Phänomen non-binärer Geschlechterrollen, gegen die vermeintliche CO₂-Hysterie, oder über die Proteinversorgung auf Insekten- statt Fleischbasis. Oder gegen die Unsitten der Saunakultur. Ich habe einmal die reinen Textseiten nach verschiedenen Romanschwerpunkten durchgezählt¹. Immerhin ein Viertel seiner Erzählung deckt Dusse mit solchen scharmützelartigen Attacken ab.
Bewertung
Glücklicherweise werden weder die inhaltlichen Erzählstränge noch die gesellschaftlichen Attacken des Autors langweilig. Denn eines kann er zweifellos, der Herr Dusse: pointiert und mit scharfer Klinge treffsicher schreiben. Der „Kriminalfall“ um die Entführer von Diemels Tochter kommt dabei noch am schlechtesten weg. Ich muss leider sagen, dass ich schon nach wenigen Buchseiten eine klare Vorstellung davon hatte, was da überhaupt passiert ist; und sogar davon, wie das alles enden würde. Als Krimi oder Thriller ist das Buch schwach.
Meine beste Bewertung bekommt der ernährungstheoretische Teil. Der deckt immerhin mehr als ein Drittel des Gesamttextes ab¹. Und noch nie wurde mir das Konzept einer ausgewogenen Ernährung besser, verständlicher und dabei unterhaltsamer erklärt als in diesem Roman. (Aber ich gebe zu, ich habe zuvor noch keine Ernährungsratgeber gelesen.)
Der dritte Anteil, also der mit den Attacken gegen gesellschaftliche Phänomene, hat mich leider ziemlich genervt. Man kann von den Argumenten, die Karsten Dusse seine Protagonisten ausbreiten lässt, halten, was man will. Man kann zustimmen, oder man kann im Widerspruch stehen. Was mich allerdings wirklich daran stört, ist die Tatsache, dass Björn Diemels (oder Herrrn Dusses?) Einstellung stets einseitig und auf Kosten argumentativ schwach angelegter Gegner vorgebracht wird. Das kann man schon machen, etwa so wie in den Romanvorgängern. Aber in diesem Umfang und in der tendenziösen Darstellungsweise ist es mir eindeutig zu viel.
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Wer diese Buchbesprechung gelesen hat, wird sich vielleicht auch für meine Rezensionen der vorangegangenen vier Teile interessieren: Achtsam morden, Das Kind in mir will achtsam morden, Achtsam morden am Rande der Welt und Achtsam morden im Hier und Jetzt?
Fazit:
Wer nach witzig geschriebener, unterhaltsamer Lektüre zum Thema gesunde Ernährungs sucht, für die oder den könnte Achtsam morden durch bewusste Ernährung ein echtes Amuse-Gueul sein. Aber Vorsicht, zart besaitete selbst Betroffene könnten durch den rauen Ton der Geschichte ab und an getriggert werden. Als Krimi taugt die Handlung wenig, die Auflösung ist alles andere als eine neue Idee. Am pointiertesten schreibt der Autor, wenn er seine Figuren gesellschaftliche Problemthemen geißeln lässt. Das kann man durchaus sehr lustig finden. Mir waren die Späße allerdings in sehr vielen Fällen zu flach.
Leider bleibt mir nichts anderes übrig, als dem fünften Teil der Achtsam-morden-Serie nicht mehr als zwei von fünf möglichen Sternen zuzusprechen. Und wenn ich ehrlich bin, geht die Tendenz eher noch nach unten als nach oben. Das ist ohne Zweifel der schwächste achtsame Mord der gesamten Serie.
Karsten Dusse, Achtsam morden durch bewusste Ernährung
Heyne Verlag, 2024
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Fußnote:
¹ — Der reine Text umfasst ohne Vor- und Abspann, ohne Zwischenseiten und Kapiteltrenner rund 290 Seiten. Davon entfallen 120 Seiten auf das Thema Ernährung und Ernährungsberatung, 86 Seiten auf den Entführungsfall, und 53 Seiten auf den gesellschaftlichen Artilleriebeschuss. (Der Rest besteht hauptsächlich aus Hinweisen auf die vorhergehenden Romanteile.)
