
Der Boss der Achtsamkeit kehrt erneut zurück. Karsten Dusse präsentiert uns den dritten Teil seiner Geschichte um Björn Diemel, den Rechtsanwalt, der durch Anwendung buddhistischer Prinzipien der selbstbestimmten Lebensführung zum mehrfachen Mörder und Chef eines Verbrechersyndikats wurde. Achtsam morden am Rande der Welt schließt nahtlos an die beiden Vorgängergeschichten an: Achtsam morden und Das Kind in mir will achtsam morden. Diesmal widmet sich Dusse der Methode des Pilgerns zur Selbstfindung. Es war zu erwarten, dass auch Teil drei der Geschichte wieder in den Bestsellerlisten des Buchhandels landen würde.
Im Großen und Ganzen bleibt der Autor auch im dritten Teil seiner Achtsamkeitsserie dem Konzept der beiden Vorgänger treu. Denn natürlich ist auch diesmal die Figur des Psychogurus Joschka Breitner* mit von der Partie, der wie gewohnt für den spirituellen Unterbau des Romans verantwortlich ist und mit seinen Sinnsprüchen die einzelnen Kapitel einleitet. Dazu gesellen sich erneut die trockenen, aus der Hüfte geschossenen Wortwitze des Autors sowie ein paar scharf gerittene Attacken auf gesellschaftliche Phänomene, die Dusse ein Dorn im Auge sind.
Über den Inhalt
Protagonist Diemel wird fünfundvierzig und ist damit offizieller Kandidat für eine handfeste Midlife-Krise. Den Geburtstagsabend verbringt er im Kreis der Abteilungsleiter des Verbrechersyndikats, das er von zweien seiner Mordopfer, nämlich Dragan und Boris, geerbt hat: mit einer Puffmutter, einem Drogenboss, einem Schlägerkommandeur und einem Kindergartenleiter. Der Abend entgleist, es kommt zu Gewalthandlungen an zwei chinesischen Mafiachefs und Björn Diemel setzt zu guter Letzt sein Auto sturzbesoffen gegen eine Hauswand.
Dies ist die Ausgangsbasis, auf der anderntags Joschka Breitner seine Analyse aufsetzt. Mit sokratischer Rhetorik bringt er Diemel dazu zu erkennen, dass er sein Verhalten ändern muss, wenn er die zweite Lebenshälfte glücklicher verbringen will als die erste. Breitner schickt seinen Klienten auf Pilgerreise:
„Mit dem Jakobsweg ist es wie mit allem anderen im Leben: Es ist der Glaube, der die Faszination ausübt. Nicht die Tatsachen. Der Glaube an die Erlösung ist bereits die halbe Erlösung. Tatsache ist allerdings, dass der Jakobsweg obendrein landschaftlich sehr schön gelegen ist.“
(Seite 103)
Mit den Vorbereitungen haben wir ein Viertel des Romans bereits hinter uns, bevor sich Björn Diemel auf den Weg macht. Doch sehr weit kommt der Protagonist nicht. Bereits auf den beiden ersten Pilgeretappen muss Diemel erkennen, dass ihm jemand nach dem Leben trachtet. Hat es etwa die zu Anfang provozierte Chinesenmafia auf ihn abgesehen und ihm einen Mörder hinterher geschickt?
Wer hinter den Attentaten auf Björn Diemel steckt, werde ich hier nicht verraten. Aber natürlich gibt es wieder Leichen, im Verlauf der Romangeschichte insgesamt sechs.
Erfolgsrezept
Natürlich würzt der Autor seine Geschichte auch diesmal wieder mit den Zutaten, die er meisterlich beherrscht: die Gegenüberstellung spiritueller Motive und schwerstkrimineller Machenschaften sowie seinen trockenen Sprachwitz. Hier kann Dusse erneut punkten. Aber wie schon in Teil zwei nutzt sich das Grundrezept auch im dritten Band weiter ab. Ja, wir können schon noch lachen oder zumindest grinsen.
„Niemand heißt gerne Chayenne. Es gibt im Grunde nur drei Gründe, warum jemand Chayenne heißt: Man ist entweder ein zweimotoriges Propellerflugzeug oder man hat Eltern mit einem zweifelhaften Geschmack in Sachen Namensgebung. Alle anderen Chayennes brauchten auf die Schnelle einen Arbeitsnamen als Prostituierte.“
(Seite 38)
Aber wenn ich ehrlich bin, waren Dusses Späße eben tatsächlich im ersten Band am lustigsten. Wenigstens jedoch verzichtet der Autor diesmal auf Peinlichkeiten, wie ich sie in meiner Besprechung des zweiten Romans angesprochen habe.
Gesellschaftskritik?
Nachdem sich Dusse im zweiten Band noch wortreich über überspannte Kindergartenmütter, Ökostrom, E-Zigaretten und -Roller lustig gemacht hatte, nehmen sich seine gesellschaftskritischen Seitenhiebe nun fast schon zahm aus. Er zieht etwa in aller Kürze gegen das Sprachgendern zu Felde, wenn er seinen Helden eine Randbemerkung über die Schaumküsse eines bekannten Süßigkeitenherstellers machen lässt:
„Die Verpackung kriegen wir auch noch bedingungslos gegendert, oder? […] Sich über verfettete Menschen mit Penis lustig zu machen, geht ja wohl gar nicht. Wenn ›Dickmann’s‹ nicht ab sofort ›Adipös-m/w/divers‹ heißt, esse ich die nicht mehr.“
(Seite 236)
Bewertung
Mit seinen launigen Formulierungen provoziert Karsten Dusse sicher auch im dritten Anlauf noch Lacher und den einen oder anderen Schenkelklopfer. Die Erzählung liest sich größtenteils wieder sehr flüssig. Und auch Joschka Breitners „spiritueller Unterbau“, wie ich diesen Part weiter oben genannt habe, pendelt erneut zwischen informativ und unterhaltsam.
Außerdem hat der Autor nun einige der Fehler vermieden, die den zweiten Band auszeichneten. Die fehlenden Peinlichkeiten habe ich schon erwähnt. Und auch der inzwischen abgenutzte Kontrast zwischen Spiritualität und Kriminalität rückt in den Hintergrund. Björn Diemels Syndikat sorgt zwar anfangs noch für kriminelle Stimmung, verschwindet danach aber praktisch aus der Handlung.
Und dann gelingt es Dusse tatsächlich, eine gewisse Spannung aufzubauen, wenn die Leserschaft gemeinsam mit dem Helden der Geschichte Überlegungen anstellt, wer ihn ermorden will. Allerdings sind die Auflösung des Rätsels und noch mehr der daraus resultierende Showdown an Banalität und abwegiger Motivation kaum mehr zu übertreffen. Was soll ich sagen? Meine Enttäuschung war groß, als die Geschichte zu Ende ging.
Ich bin gespannt, wie weit Karsten Dusse und der Heyne Verlag das Fortsetzungsspiel noch treiben werden. Wenn meine dunklen Vorahnungen wahr werden, dann steht uns im kommenden Jahr sowas wie ein achtsames Bonnie-und-Clyde-Pärchen bevor.
~
Wer diese Buchbesprechung gelesen hat, wird sich vielleicht auch für meine Rezensionen des ersten und zweiten Teils interessieren: Achtsam morden und Das Kind in mir will achtsam morden. Oder gar für den vierten oder den fünften und bislang letzten Teil: Achtsam morden im Hier und Jetzt und Achtsam morden durch bewusste Ernährung.
Fazit:
Wie bereits für den zweiten Band hält sich auch für Achtsam morden am Rande der Welt meine Leseempfehlung in engen Grenzen. Denn an den Witz und Neuheitswert des ersten Teils kommen beide Nachfolger nicht annähernd heran. Gewiss, eingefleischte Fans von Björn Diemel und Joschka Breitner werden auch diesmal wieder auf ihre Kosten kommen. Man kann den Roman natürlich auch als unterhaltsames Nachmittagshäppchen am Strand oder auf dem Sofa konsumieren.
Aber bei allem Respekt vermag ich der Posse drittem Teil auch wieder nicht mehr als zwei von fünf möglichen Sternen zuzusprechen.
Karsten Dusse, Achtsam morden an Rande der Welt
Heyne Verlag, 2021
* * * * *
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Ergänzung:
*) Bereits in meiner ersten Romanbesprechung hatte ich Dusses eigenen Hinweis erwähnt, der Achtsamkeitsguru Joschka Breitner sei frei erfunden. Mit seinem untrüglichen Geschäftssinn hat der Autor aber nun auch diese Lücke geschlossen. Am 15. November 2021 erschien sein Sachbuch Achtsam morden – Das Übungsbuch nach der Joschka-Breitner-Methode. 176 Buchseiten stark, 44 „mordsentspannende Übungen zum Aufräumen der Seele“.
„Selbstfindung ist keine Suche. Selbstfindung ist Aufräumen.“
(Joschka Breitner im Klappentext)
These: Karsten Dusse ist die männliche Marie Kondo deutscher Seelenabgründe.