Caesarenblut

Claudia Magerl, Caesarenblut, 2015
Claudia Magerl, 2015

Mit Caesarenblut ha­be ich nun den vier­ten his­to­ri­schen Ro­man der Auto­rin Clau­dia Ma­gerl ge­le­sen. Wie in den drei an­de­ren Bän­den er­zählt sie auch in die­ser Ver­öf­fent­li­chung die Ge­schich­te einer his­to­risch ver­bürg­ten Fi­gur aus der zwei­ten Rei­he des Macht­ge­fü­ges im da­ma­li­gen rö­mi­schen Kai­ser­reich. Ihr Pro­ta­go­nist ist dies­mal Ga­ius Cas­sius Chaerea. Die­ser Chaerea, so nennt Ma­gerl ih­ren Hel­den meist kurz, ist Sohn eines Rit­ter­ge­schlechts, der es bis zum Rang des Tri­buns der kai­ser­li­chen Prä­to­ria­ner­gar­de un­ter dem zwei­ten rö­mi­schen Kai­ser Ti­be­rius brach­te. Als Gar­de­sol­dat war Chaerea al­ler­dings nie­mals der per­sön­li­che Ver­trau­te des Kai­sers. In­so­fern bricht die Auto­rin in der Kon­stel­la­tion des Per­so­nals in ge­wis­ser Wei­se aus dem Sche­ma ih­rer an­de­ren drei Ro­ma­ne aus.

Chro­no­lo­gisch reiht sich Caesarenblut als drit­te Er­zäh­lung naht­los in die Rei­he der an­de­ren Ro­man­bän­de der Auto­rin ein: Bru­der­schwur und Feu­er­tod, die Bän­de 1 und 2, haben Mar­cus Vip­sa­nius Agrip­pa zur Haupt­fi­gur, den Freund und Ver­trau­ten von Ga­ius Oc­ta­vius, dem spä­te­ren Kai­ser Augus­tus (31 v.Chr. bis 14 n.Chr.).
Die hier be­spro­che­ne Ge­schich­te um Ga­ius Cas­sius Chaerea deckt nun die Re­gie­rungs­zei­ten der bei­den Nach­fol­ger des Augus­tus ab; die der Cae­sa­ren Ti­be­rius (14 bis 37) und Ca­li­gu­la (37 bis 41). Sie en­det mit dem Amts­an­tritt von Kai­ser Clau­dius.
Die vier­te Fol­ge schließ­lich, Der Tem­pel des Cas­tor, setzt ein mit der Re­gie­rungs­zeit des Clau­dius und hat die ers­te Le­bens­hälf­te des Mar­cus Sal­vius Otho zum In­halt, des en­gen Freun­des von Kai­ser Ne­ro (54 bis 68).

Die vier Ro­ma­ne Clau­dia Ma­gerls de­cken die ju­lisch-clau­di­sche Dy­nas­tie der rö­mi­schen Cae­sa­ren­zeit ab, al­so knapp die rund hundert Jah­re zwi­schen 30 v. Chr. und 70 nach Christi Geburt.

Caesarenblut – Über den Handlungsablauf

Wenn ich ein­leite, Magerl würde in Caesarenblut die Lauf­bahn Chaereas behan­deln, so ist das nur die halbe Wahr­heit. Tat­säch­lich ist der Roman kom­ple­xer auf­ge­baut. Zwar steigen wir wohl ein mit den Jugend­jah­ren Chaereas, sei­ner Zeit als römi­schem Legio­när und den schreck­li­chen Jah­ren der Ger­manen­feld­züge. Latein­schüler erin­nern sich sicher an die sagen­umwo­bene Varus­schlacht im Teu­tobur­ger Wald, in der der Che­rus­ker­fürst Armi­nius dem Reich mit der Ver­nich­tung von drei Legio­nen eine sei­ner ver­hee­rends­ten Nie­der­la­gen bei­brachte.

Seianus, Präfekt und Konsul

In die­ser Zeit aber ent­schei­det sich die Nach­folge des Augus­tus. Das Ren­nen macht Tibe­rius und mit ihm sein Prä­toria­ner­prä­fekt Lucius Aelius Seia­nus. Genau die­ser Seia­nus ist auch der eigent­li­che Pro­tago­nist der ers­ten 200 Roman­sei­ten. Er ist der glän­zen­de Stern Roms, ein star­ker, freund­li­cher, frei­gebi­ger Mensch, der den Cae­sar in Anse­hen und Ruhm über­strahlt. Tibe­rius wird zum „Insel­kai­ser“, der der Haupt­stadt des Rei­ches den Rücken kehrt und sich nach Capri zurück­zieht.

Wäh­rend Seia­nus‘ Macht­peri­ode rückt dann auch Chaerea mehr und mehr in den Mit­tel­punkt der Gescheh­nisse. Er wird zu einem der Tri­bu­nen des Prä­toria­ner­prä­fek­ten und gewinnt gemein­sam mit sei­nem Vor­gesetz­ten an Ein­fluss und Anse­hen. Doch dann wer­den die Römer und mit die­sen auch die Roman­leser­schaft wie­der ein­mal daran erin­nert: Je hel­ler ein Stern leuch­tet, desto rascher ver­löscht er auch.
Cae­sar Tibe­rius ent­wi­ckelt sich auf sei­ner Insel immer mehr zum miss­traui­schen, von Ver­fol­gungs­ängs­ten geplag­ten Intri­gan­ten und lässt schließ­lich sei­nen Mit­strei­ter Seia­nus, dem er so viel ver­dankt, töten.

„Trotz­dem beschlich ihn in letz­ter Zeit zuneh­mend die Frage, ob nicht auch diese Freund­schaft nur Schein war, wie alles: unecht wie Kat­zen­gold. Das passte haar­genau in den Ver­lauf sei­nes Schick­sals, das nichts ande­res war, als eine Kette ent­täusch­ter Illu­sio­nen.“
(Tibe­rius über sein Ver­häl­tnis zu Seia­nus, Seite 153)

Tiberius Gemellus und Chaerea

Nun hatte aber die­ser Seia­nus mit der Frau von Tibe­rius‘ Sohn einen Nach­kom­men gezeugt, den Tibe­rius Gemel­lus. Der alternde Kai­ser holt die­sen Gemel­lus sowie Cali­gula nach Capri, den Sohns sei­nes einst desi­gnier­ten Nach­fol­gers, des ver­stor­be­nen Germa­nicus. Einen der bei­den jun­gen Män­ner will er zu sei­nem Nach­fol­ger bestimmen. Chaerea schwört der Lebens­gefäh­rtin sei­nes Vor­bil­des Seia­nus, auf den jun­gen Gemel­lus ach­t zu geben.

Kurz vor dem Tod des Cae­sars nimmt die­ser schließ­lich dem Chaerea einen wei­te­ren Eid ab: Gemel­lus soll nun nach ihm römi­scher Kai­ser wer­den. Chaerea muss ver­spre­chen, das Leben des Gemel­lus mit sei­nem eige­nen zu ver­tei­di­gen und nöti­gen­falls zu rächen.

Doch es kommt nicht zur geplan­ten Regent­schaft des Gemel­lus. Sei­nem Cou­sin Cali­gula gelingt es, das Tes­ta­ment des ver­stor­be­nen Tibe­rius anzu­fech­ten. Cali­gula wird selbst zum Kai­ser. Und er lässt Gemel­lus als mög­li­chen Gegen­spie­ler hin­rich­ten.

Caligula und Chaerea

Für Chaerea wer­den seine schlimms­ten Alb­träu­me wahr: Weder konnte er sein Gelübde gegen­über Gemel­lus‘ Mut­ter erfül­len. Noch sieht er sich nun in der Lage, den Tod seines Mün­dels zu rächen, wie er es dem Tibe­rius ver­spro­chen hatte. Denn der Mör­der ist schließ­lich der aktu­elle Cae­sar Roms, dem Chaerea als Prä­toria­ner bedin­gungs­lose Treue schul­det.

Doch Cali­gula über­spannt den Bogen. Er treibt das römi­sche Reich an den Rande des Ruins, lässt Adel und Volk aus­blu­ten, sät Zwie­tracht und mor­det nach Belie­ben. Darü­ber hinaus schi­ka­niert er seine Prä­toria­ner und ins­beson­dere deren Tri­bun Chaerea. Solan­ge bis die­ser eine fol­gen­schwere Ent­schei­dung trifft.

„Jahre­lang war Chaerea dem irri­gen Glau­ben erle­gen, ein Cae­sar habe das Glück sei­nes Vol­kes im Auge. So hatte es ihn sein Vater gelehrt, so schien es unter Cae­sar Augus­tus ja auch gewe­sen zu sein. Schon unter Tibe­rius hatte sich die­ses Bild gewan­delt. Unter Cali­gula war es zer­bro­chen.“
(Seite 370)

Caesarenblut – Bewertung

Ich weiß nicht, ob diese stark geraffte Inhalts­bespre­chung den Tenor des Romans deut­lich macht: Clau­dia Magerl schleppt uns näm­lich in ihrer Ge­schich­te durch einen dunk­len Morast aus Nie­der­tracht, Egois­men, Gewalt und Blut­suppe. Von Anfang bis Ende wird gemeu­chelt. Bis die Schwer­ter stumpf sind. Die Auto­rin zeich­net ein düs­te­res Bild der Regie­rungs­zei­ten des Tibe­rius und beson­ders des Cali­gula.

Man muss aller­dings aner­ken­nend ein­geste­hen, dass die Auto­rin immer dann am bes­ten, am ein­dring­lichs­ten wird, wenn sich wie­der ein­mal ein Kon­flikt zuspitzt. Als Lese­r¦in strau­chelt man stän­dig von einem „Oh Gott, das wird doch nicht!“ zum „Him­mel, wie konnte das nur pas­sie­ren!“ Doch auf­ge­passt: All die Schock­wel­len ver­dan­ken wir zwar mit­tel­bar dem außer­gewöhn­li­chen Erzähl­ta­lent Magerls. Doch tat­säch­lich waren das damals wahr­lich fins­tere Zei­ten, wie die Ge­schichts­schrei­bung es bestä­tigt.

Im Ver­gleich zu den ande­ren drei His­torien­bän­den der Auto­rin war­tet Caesa­ren­blut mit auf­fäl­lig weni­ge­ren Schil­derun­gen römi­scher Gepflo­gen­hei­ten und All­tags­ge­schich­ten auf. Doch das hat durch­aus sei­nen Grund.

Umfang des Romans

Die Ge­schich­te des Agrippa hatte Magerl über die Roman­bände 1 und 2 ver­teilt. Und die Erzäh­lung über Otho in Band 4 endet bereits zehn Jahre vor Ende sei­ner Lebens- und Schaf­fens­zeit; da fehlt also noch etwas.

Ihren Bericht über die Amts­zei­ten der Cae­sa­ren Tibe­rius und Cali­gula sowie über die bei­den Pro­tago­nis­ten Seia­nus und Chaerea hin­ge­gen packt die Auto­rin in einen ein­zi­gen Roman. Da muss der Raum zwangs­läu­fig knap­per wer­den.
Wenn wir uns das Buch ein­mal genauer anse­hen: Der reine Text­teil des Romans allein umfasst 447 Sei­ten. Sieht man aller­dings genau hin, so fällt auf, dass die Aus­gabe in beson­ders klei­ner Schrift und mit engem Zei­len­ab­stand gesetzt ist. Daraus hätte man also durch­aus auch einen Schmö­ker mit sie­ben- oder acht­hun­dert Sei­ten machen kön­nen.

Die Ge­schich­te ist so dicht gepackt, dass Magerl gut daran tat, ans Ende ein drei­sei­ti­ges Per­sonen­regis­ter zu packen. Ab und an hilft es dem Text­ver­ständ­nis, wenn man rasch nach­schla­gen kann, wer da nun wie­der sei­nen Auf­tritt hat.

Caesarenblut – Erfolgsrezept

Ange­sichts der Kom­pakt­heit der Erzäh­lung und des gewal­ti­gen Per­sonal­auf­wan­des könnte man Fra­gen stel­len: Ist der Roman über­haupt noch les­bar? Ver­liert man sich beim Lesen nicht im Kon­strukt der Gescheh­nisse und Deu­tun­gen?

Mit­nich­ten. Ich war ehr­lich gesagt selbst erstaunt, wie flüs­sig ich durch die Ge­schich­te gekom­men bin. Ohne über nebu­löse Details zu stol­pern, die ich zuvor womög­lich über­lesen hätte; oder die womög­lich gar nicht erklärt wor­den wären. Die wohl­tuende Les­bar­keit bei aller Dichte muss ich wohl wie­der ein­mal dem bewun­derns­wer­ten Erzähl­ta­lent der Auto­rin zugute schrei­ben. Clau­dia Magerl kann ein­fach wun­der­bar flüs­sig und schlüs­sig schrei­ben, Respekt!

Außer­dem muss auch dies­mal wie­der fest­ge­stellt wer­den: Die Auto­rin brennt für ihre The­men. Ich emp­fehle drin­gend die minu­tiöse Lek­türe des nur drei­sei­ti­gen Nac­hwor­tes. Daraus geht her­vor, wie viel Auf­wand die Vor­berei­tun­gen des Romans gekos­tet haben müs­sen. Wie viele Quel­len gele­sen, wie viele Abwä­gun­gen getrof­fen, wie viel eigene Skep­sis über­wun­den wer­den muss­ten.

„Heute bin ich froh und dank­bar, dass ich das Wag­nis auf mich genom­men habe. Indem ich mit Chaerea Höhen und Tie­fen erlebte, seine Gedan­ken und Gefühle nach­emp­fand, konnte ich mich Neuem öff­nen, Gren­zen über­win­den, auf­re­gende Ent­deckun­gen machen. Jetzt ist seine Ge­schich­te erzählt, wie sie gewe­sen sein könnte.“
(Seite 455)

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Übrigens: Falls Dir diese Buchbesprechung von Caesarenblut, gefallen hat, interessierst Du Dich vielleicht auch für die anderen Romane der Autorin? Biografische Information und verlinkte Kurzbeschreibungen aller ihrer historischen Erzählungen findest Du im Autorenprofil von Claudia Magerl.

Fazit:

Es sei vor­weg ge­schickt: Ich mag bis­her alle Ro­mane von Clau­dia Ma­gerl. Aber der liebs­te von allen ist mir Caesarenblut. Er ist der dich­tes­te, der span­nends­te und mei­ner Mei­nung nach der abwechs­lungs­reichs­te der vier. Viel­leicht liegt es an der Auf­tei­lung der Erzähl­per­spek­ti­ven zwi­schen den bei­den Pro­tago­nis­ten Seia­nus und Chaerea. Viel­leicht aber auch an der düs­te­ren Grund­stim­mung, die mir beson­ders pas­send scheint.

Jeden­falls gibt es für Cae­sa­ren­blut eine unein­ge­schränk­te Lese­emp­feh­lung. Und es gibt dies­mal auch die vol­len fünf Ster­ne für diese außer­ge­wöhn­li­che Roman­ge­schich­te.

Claudia Magerl: Caesarenblut
Südwestbuch Verlag, 2015

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