Mit Caesarenblut habe ich nun den vierten historischen Roman der Autorin Claudia Magerl gelesen. Wie in den drei anderen Bänden erzählt sie auch in dieser Veröffentlichung die Geschichte einer historisch verbürgten Figur aus der zweiten Reihe des Machtgefüges im damaligen römischen Kaiserreich. Ihr Protagonist ist diesmal Gaius Cassius Chaerea. Dieser Chaerea, so nennt Magerl ihren Helden meist kurz, ist Sohn eines Rittergeschlechts, der es bis zum Rang des Tribuns der kaiserlichen Prätorianergarde unter dem zweiten römischen Kaiser Tiberius brachte. Als Gardesoldat war Chaerea allerdings niemals der persönliche Vertraute des Kaisers. Insofern bricht die Autorin in der Konstellation des Personals in gewisser Weise aus dem Schema ihrer anderen drei Romane aus.
Chronologisch reiht sich Caesarenblut als dritte Erzählung nahtlos in die Reihe der anderen Romanbände der Autorin ein: Bruderschwur und Feuertod, die Bände 1 und 2, haben Marcus Vipsanius Agrippa zur Hauptfigur, den Freund und Vertrauten von Gaius Octavius, dem späteren Kaiser Augustus (31 v.Chr. bis 14 n.Chr.).
Die hier besprochene Geschichte um Gaius Cassius Chaerea deckt nun die Regierungszeiten der beiden Nachfolger des Augustus ab; die der Caesaren Tiberius (14 bis 37) und Caligula (37 bis 41). Sie endet mit dem Amtsantritt von Kaiser Claudius.
Die vierte Folge schließlich, Der Tempel des Castor, setzt ein mit der Regierungszeit des Claudius und hat die erste Lebenshälfte des Marcus Salvius Otho zum Inhalt, des engen Freundes von Kaiser Nero (54 bis 68).
Die vier Romane Claudia Magerls decken die julisch-claudische Dynastie der römischen Caesarenzeit ab, also knapp die rund hundert Jahre zwischen 30 v. Chr. und 70 nach Christi Geburt.
Über den Handlungsablauf
Wenn ich einleite, Magerl würde in Caesarenblut die Laufbahn Chaereas behandeln, so ist das nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich ist der Roman komplexer aufgebaut. Zwar steigen wir wohl ein mit den Jugendjahren Chaereas, seiner Zeit als römischem Legionär und den schrecklichen Jahren der Germanenfeldzüge. Lateinschüler erinnern sich sicher an die sagenumwobene Varusschlacht im Teutoburger Wald, in der der Cheruskerfürst Arminius dem Reich mit der Vernichtung von drei Legionen eine seiner verheerendsten Niederlagen beibrachte.
Seianus, Präfekt und Konsul
In dieser Zeit aber entscheidet sich die Nachfolge des Augustus. Das Rennen macht Tiberius und mit ihm sein Prätorianerpräfekt Lucius Aelius Seianus. Genau dieser Seianus ist auch der eigentliche Protagonist der ersten 200 Romanseiten. Er ist der glänzende Stern Roms, ein starker, freundlicher, freigebiger Mensch, der den Caesar in Ansehen und Ruhm überstrahlt. Tiberius wird zum „Inselkaiser“, der der Hauptstadt des Reiches den Rücken kehrt und sich nach Capri zurückzieht.
Während Seianus‘ Machtperiode rückt dann auch Chaerea mehr und mehr in den Mittelpunkt der Geschehnisse. Er wird zu einem der Tribunen des Prätorianerpräfekten und gewinnt gemeinsam mit seinem Vorgesetzten an Einfluss und Ansehen. Doch dann werden die Römer und mit diesen auch die Romanleserschaft wieder einmal daran erinnert: Je heller ein Stern leuchtet, desto rascher verlöscht er auch.
Caesar Tiberius entwickelt sich auf seiner Insel immer mehr zum misstrauischen, von Verfolgungsängsten geplagten Intriganten und lässt schließlich seinen Mitstreiter Seianus, dem er so viel verdankt, töten.
„Trotzdem beschlich ihn in letzter Zeit zunehmend die Frage, ob nicht auch diese Freundschaft nur Schein war, wie alles: unecht wie Katzengold. Das passte haargenau in den Verlauf seines Schicksals, das nichts anderes war, als eine Kette enttäuschter Illusionen.“
(Tiberius über sein Verhältnis zu Seianus, Seite 153)
Tiberius Gemellus und Chaerea
Nun hatte aber dieser Seianus mit der Frau von Tiberius‘ Sohn einen Nachkommen gezeugt, den Tiberius Gemellus. Der alternde Kaiser holt diesen Gemellus sowie Caligula nach Capri, den Sohns seines einst designierten Nachfolgers, des verstorbenen Germanicus. Einen der beiden jungen Männer will er zu seinem Nachfolger bestimmen. Chaerea schwört der Lebensgefährtin seines Vorbildes Seianus, auf den jungen Gemellus acht zu geben.
Kurz vor dem Tod des Caesars nimmt dieser schließlich dem Chaerea einen weiteren Eid ab: Gemellus soll nun nach ihm römischer Kaiser werden. Chaerea muss versprechen, das Leben des Gemellus mit seinem eigenen zu verteidigen und nötigenfalls zu rächen.
Doch es kommt nicht zur geplanten Regentschaft des Gemellus. Seinem Cousin Caligula gelingt es, das Testament des verstorbenen Tiberius anzufechten. Caligula wird selbst zum Kaiser. Und er lässt Gemellus als möglichen Gegenspieler hinrichten.
Caligula und Chaerea
Für Chaerea werden seine schlimmsten Albträume wahr: Weder konnte er sein Gelübde gegenüber Gemellus‘ Mutter erfüllen. Noch sieht er sich nun in der Lage, den Tod seines Mündels zu rächen, wie er es dem Tiberius versprochen hatte. Denn der Mörder ist schließlich der aktuelle Caesar Roms, dem Chaerea als Prätorianer bedingungslose Treue schuldet.
Doch Caligula überspannt den Bogen. Er treibt das römische Reich an den Rande des Ruins, lässt Adel und Volk ausbluten, sät Zwietracht und mordet nach Belieben. Darüber hinaus schikaniert er seine Prätorianer und insbesondere deren Tribun Chaerea. Solange bis dieser eine folgenschwere Entscheidung trifft.
„Jahrelang war Chaerea dem irrigen Glauben erlegen, ein Caesar habe das Glück seines Volkes im Auge. So hatte es ihn sein Vater gelehrt, so schien es unter Caesar Augustus ja auch gewesen zu sein. Schon unter Tiberius hatte sich dieses Bild gewandelt. Unter Caligula war es zerbrochen.“
(Seite 370)
Bewertung
Ich weiß nicht, ob diese stark geraffte Inhaltsbesprechung den Tenor des Romans deutlich macht: Claudia Magerl schleppt uns nämlich in ihrer Geschichte durch einen dunklen Morast aus Niedertracht, Egoismen, Gewalt und Blutsuppe. Von Anfang bis Ende wird gemeuchelt. Bis die Schwerter stumpf sind. Die Autorin zeichnet ein düsteres Bild der Regierungszeiten des Tiberius und besonders des Caligula.
Man muss allerdings anerkennend eingestehen, dass die Autorin immer dann am besten, am eindringlichsten wird, wenn sich wieder einmal ein Konflikt zuspitzt. Als Leser¦in strauchelt man ständig von einem „Oh Gott, das wird doch nicht!“ zum „Himmel, wie konnte das nur passieren!“ Doch aufgepasst: All die Schockwellen verdanken wir zwar mittelbar dem außergewöhnlichen Erzähltalent Magerls. Doch tatsächlich waren das damals wahrlich finstere Zeiten, wie die Geschichtsschreibung es bestätigt.
Im Vergleich zu den anderen drei Historienbänden der Autorin wartet Caesarenblut mit auffällig wenigeren Schilderungen römischer Gepflogenheiten und Alltagsgeschichten auf. Doch das hat durchaus seinen Grund.
Umfang des Romans
Die Geschichte des Agrippa hatte Magerl über die Romanbände 1 und 2 verteilt. Und die Erzählung über Otho in Band 4 endet bereits zehn Jahre vor Ende seiner Lebens- und Schaffenszeit; da fehlt also noch etwas.
Ihren Bericht über die Amtszeiten der Caesaren Tiberius und Caligula sowie über die beiden Protagonisten Seianus und Chaerea hingegen packt die Autorin in einen einzigen Roman. Da muss der Raum zwangsläufig knapper werden.
Wenn wir uns das Buch einmal genauer ansehen: Der reine Textteil des Romans allein umfasst 447 Seiten. Sieht man allerdings genau hin, so fällt auf, dass die Ausgabe in besonders kleiner Schrift und mit engem Zeilenabstand gesetzt ist. Daraus hätte man also durchaus auch einen Schmöker mit sieben- oder achthundert Seiten machen können.
Die Geschichte ist so dicht gepackt, dass Magerl gut daran tat, ans Ende ein dreiseitiges Personenregister zu packen. Ab und an hilft es dem Textverständnis, wenn man rasch nachschlagen kann, wer da nun wieder seinen Auftritt hat.
Erfolgsrezept
Angesichts der Kompaktheit der Erzählung und des gewaltigen Personalaufwandes könnte man Fragen stellen: Ist der Roman überhaupt noch lesbar? Verliert man sich beim Lesen nicht im Konstrukt der Geschehnisse und Deutungen?
Mitnichten. Ich war ehrlich gesagt selbst erstaunt, wie flüssig ich durch die Geschichte gekommen bin. Ohne über nebulöse Details zu stolpern, die ich zuvor womöglich überlesen hätte; oder die womöglich gar nicht erklärt worden wären. Die wohltuende Lesbarkeit bei aller Dichte muss ich wohl wieder einmal dem bewundernswerten Erzähltalent der Autorin zugute schreiben. Claudia Magerl kann einfach wunderbar flüssig und schlüssig schreiben, Respekt!
Außerdem muss auch diesmal wieder festgestellt werden: Die Autorin brennt für ihre Themen. Ich empfehle dringend die minutiöse Lektüre des nur dreiseitigen Nachwortes. Daraus geht hervor, wie viel Aufwand die Vorbereitungen des Romans gekostet haben müssen. Wie viele Quellen gelesen, wie viele Abwägungen getroffen, wie viel eigene Skepsis überwunden werden mussten.
„Heute bin ich froh und dankbar, dass ich das Wagnis auf mich genommen habe. Indem ich mit Chaerea Höhen und Tiefen erlebte, seine Gedanken und Gefühle nachempfand, konnte ich mich Neuem öffnen, Grenzen überwinden, aufregende Entdeckungen machen. Jetzt ist seine Geschichte erzählt, wie sie gewesen sein könnte.“
(Seite 455)
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Übrigens: Falls Dir diese Buchbesprechung von Caesarenblut, gefallen hat, interessierst Du Dich vielleicht auch für die anderen Romane der Autorin? Biografische Information und verlinkte Kurzbeschreibungen aller ihrer historischen Erzählungen findest Du im Autorenprofil von Claudia Magerl.
Fazit:
Es sei vorweg geschickt: Ich mag bisher alle Romane von Claudia Magerl. Aber der liebste von allen ist mir Caesarenblut. Er ist der dichteste, der spannendste und meiner Meinung nach der abwechslungsreichste der vier. Vielleicht liegt es an der Aufteilung der Erzählperspektiven zwischen den beiden Protagonisten Seianus und Chaerea. Vielleicht aber auch an der düsteren Grundstimmung, die mir besonders passend scheint.
Jedenfalls gibt es für Caesarenblut eine uneingeschränkte Leseempfehlung. Und es gibt diesmal auch die vollen fünf Sterne für diese außergewöhnliche Romangeschichte.
Claudia Magerl: Caesarenblut
Südwestbuch Verlag, 2015