Pompeji

Pompeji
Robert Harris, 2004

Wir schreiben das Jahr 79 n.Chr. Die Welt­macht Rom erlebt eine Zeit histo­ri­scher Blüte. Erfüllt von Stolz auf das poli­ti­sche Sytem, kultu­relle Errun­gen­schaf­ten und wissen­schaft­liche Glanz­leis­tungen zeh­ren die römi­schen Bür­ger von den Anstren­gun­gen ihrer Ahnen, denen sie ihr zufrie­denes und sattes Leben verdan­ken. Die Er­war­tungs­hal­tung der Römer ist groß; die Bereit­schaft des Einzel­nen, eigene Bei­trä­ge zur Erneue­rung zu leisten, hinge­gen mini­mal. Denn über der Gesell­schaft der Rei­chen und Arri­vier­ten liegt der modrige Geruch von Übersät­tigung, Gleich­gültig­keit und Ego­zentri­zität.
Pompeji: Ein Modell dieser selbst­gefäl­ligen Wohl­stands­gesell­schaft findet sich in den Sommer­mona­ten am Golf von Neapel ein. Dank der Aqua Augusta, einer bau­techni­schen Meister­leistung, die den ausge­dörr­ten Süden mit fri­schem Wasser im Über­fluss versorgt, führt die römi­sche Ober­schicht in ihren Ferien­domi­zilen ein aus­schwei­fendes Leben. Doch mit einem Donner­schlag zerstört der Aus­bruch des Vulkans Vesuv den römi­schen Mikro­kosmos am Golf.

Pompeji – Historische Parallelen

Das Szena­rio kommt auch dem Leser bekannt vor, der in seiner Schul­zeit nicht in den Genuss eines mehr­jähri­gen Latein­unter­richts kam. Denn der Autor Robert Harris baut unüber­seh­bar bereits in den Vor­bemer­kungen Paral­lelen zu New York und impli­zit auch zum Atten­tat am 11. September 2001 auf. Harris basiert seinen Erfolgs­roman ganz bewusst auf Ähn­lich­keiten zwi­schen der histori­schen Welt­macht Rom und den gegen­wärtigen Verhält­nissen in den USA.

Damit gibt er dem Buch trotz der weit in der Ver­gangen­heit liegen­den Handlungs­zeit eine aktu­elle Kompo­nente, die dazu bei­trägt, das Inter­esse der Leser­schaft zu steigern. Wer möchte, kann den Kon­text durch­aus auch auf andere trauma­tische Begeben­heiten der neue­ren Geschichte ausdeh­nen: Zum Unter­gang der Titanic oder dem Schock nach dem Angriff Japans auf Pearl Harbour lassen sich durch­aus Paral­lelen ziehen.

Pompeji – Über die Handlung

Worum geht es also in Pompeji? – Vor dem beschrie­benen geschicht­lichen Hinter­grund findet sich nur vier Tage vor dem voll­kommen über­raschen­den Unter­gang der Stadt Pompeji der Wasser­bau­ingeni­eur Marcus Attilus in der Region am Fuße des Vesuv ein. Denn das Bau­amt in Rom hat ihm die Verant­wor­tung für das Aquädukt Aqua Augusta über­tra­gen. Über die Wasser­leitung wird die gesam­te Gegend mit Frisch­wasser versorgt.

Eine der ersten Amts­hand­lungen des „Aquarius“ besteht in der Repa­ra­tur einer Stö­rung, durch die der Nord­west­zweig des Aquä­dukts ohne Wasser bleibt. Getrie­ben zunächst von der Dring­lich­keit der Wasser­versor­gung, später durch die nahen­de Natur­katastro­phe jagt der Prota­gonist durch die rasante Ab­folge der Ereig­nisse. Dabei erspart ihm sein gei­stiger Vater nichts.
Attilus kämpft gegen die Ableh­nung durch seine Arbei­ter­schaft. Er muss sich außer­dem bei den lokalen Polit- und Militär­größen durch­setzen. Und er ver­liebt sich unglück­lich und deckt darüber hinaus ganz neben­bei einen Korrup­tions­skandal um das kost­bare Nass in Pompeji auf. Dieser Skan­dal endet aller­dings ange­sichts des drama­ti­schen Endes der Stadt in rela­tiver Bedeutungs­losig­keit.

Pompeji – Bewertung

Harris‘ Roman kämpft von vorne herein gegen eine Schwie­rig­keit an: Der Aus­gang der histo­ri­schen Rahmen­hand­lung ist einer über­wiegen­den Mehr­heit der Leser bekannt. Er birgt also keiner­lei Über­raschungs­moment. Auch die per­sonen­gebun­denen Hand­lungs­stränge der Geschichte sind nicht in der Lage, das Buch in die Kate­gorie des Thrillers einzu­ordnen.

Trotzdem gehört Pompeji zu den Tex­ten, die man kaum aus der Hand legen kann, wenn man ein­mal zu lesen begon­nen hat. Dies liegt sicher am Talent des Autors, Span­nung nicht nur auf­bauen, son­dern auch über län­gere Strecken auf­recht erhal­ten zu können. Darin liegt eine der Stär­ken des Romans.

Das zweite Plus der Geschichte besteht in der gründ­li­chen Recher­che­arbeit, auf die Robert Harris sein Buch aufbaut. Jedes Kapi­tel wird mit einem Zitat aus einer natur­wissen­schaftli­chen Arbeit zu den Abläu­fen und Zusammen­hän­gen bei Vulkan­ausbrü­chen einge­leitet. Schnell wird klar, dass die Inhal­te der Zita­te im zeit­lichen Zusammen­hang mit den Gescheh­nissen des Kapi­tels stehen. Allein schon dadurch gewinnt ein jeder der Ab­schnit­te an Moment, noch bevor die Hand­lung sich entwickelt hat.

Das größte Lese­vergnü­gen berei­teten jedoch – zumin­dest mir – weder die histo­rische, noch die erfun­dene Roman­hand­lung. Die eindrucks­voll­sten Passa­gen gelin­gen Harris, wenn er das Lokal­kolorit wieder­gibt. Ob es sich nun um Beschrei­bungen der Gebäu­de, der Klei­dung oder der Gewohn­heiten der anti­ken, römi­schen Bevöl­kerung handelt, stets hat der Leser den Ein­druck, er stünde direkt neben dem Prota­gonisten.

Pompeji – Einordnung

Dies bedeutet aller­dings nicht, dass man beim Lesen stets lust­voll am römi­schen Leben teil­nähme. Einige der geschil­derten Szenen sind eher dazu geeig­net, den Leser sich mit Grau­sen abwen­den zu lassen. Wenn Skla­ven bei leben­digem Leib an Murä­nen verfüt­tert wer­den, oder wenn sich deka­dente Römer durch abwe­gige sexu­elle Prakti­ken aus ihrer Über­sätti­gung be­freien wollen, dann ertappt man sich schon mal beim Gedan­ken, dass man selbst glück­licher­weise nicht in sol­chen Zei­ten lebt. (Obwohl es die Ehr­lich­keit geböte einzu­räumen, dass Grau­samkeit heute schlicht und ein­fach andere Rah­men und Dimen­sio­nen bekommen hat.)

Das römische Sitten­gemälde, das Harris so plas­tisch entste­hen lässt, gehört auf jeden Fall zu den Glanz­lich­tern seines Romans. Glei­ches gilt im übri­gens für techni­sche Einzel­heiten, die Robert Harris zum Bei­spiel über die beruf­lichen Kennt­nisse seines prota­gonis­ten Attilus an die Leser vermit­telt.

Die personelle Handlung um den Aqua­rius, um den histo­ri­schen Feld­herrn Gaius Plinius, den skrupel­losen Katastro­phen­profi­teur Ampliatus und dessen Tochter Corelia kommt in der rasan­ten Hand­lung zu kurz. Was Harris an Persön­lich­keits­bil­dern und -bezie­hun­gen ent­wickelt, ent­spricht lei­der nur dem Niveau eines Groschen­romans.
Damit verspielt er die Möglich­keit, seinem Buch wirk­lich impo­sante Dimen­sionen zu verlei­hen. Zum bereits ange­sproche­nen Kon­text etwa von Pearl Harbour zeigt Schnee, der auf Zedern fällt, was mög­lich gewe­sen wäre. Hätte sich der Autor nur seiner Mög­lich­keiten beson­nen und das Thema nicht durch einen zu kurz gera­tenen Schnell­schuss abge­fackelt.

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Übrigens: Wem Pompeji in seiner histo­ri­schen Dimen­sion gefällt, der hat viel­leicht auch Interesse an meiner Buch­be­spre­chung von Claudia Magerls Der Tempel des Castor.

Fazit:

Pompeji ist ein spannungs­gela­dener Roman, den man am lieb­sten an einem Stück verschlin­gen möchte. Die Detail­verliebt­heit des Autors macht das Buch darü­ber hinaus zu einem Lecker­bissen für geschicht­lich, wie auch populär­wissen­schaft­lich interes­sierte Leser. Selbst wer weiß, was aus dem histori­schen Pompeji wurde, wird von der bild­haften Schil­derung des Unter­gangs beein­druckt sein.

Leider gestattet es der Autor Harris seinen Roman­figuren nicht, sich zu Persön­lich­keiten zu ent­wickeln, deren Gedan­ken und Hand­lungen man nach­voll­ziehen oder auch ableh­nen könnte. Die Figu­ren der Geschichte kommen nicht über das Stadium stereo­typischer Schwarz­weiß-Gestal­ten hinaus. Dies ist um so bedauer­licher, als Robert Harris eine derar­tige Ein­schränkung nicht nötig hätte. Schade; so kommt sein Pompeji leider nicht über drei von fünf Ster­nen hinaus.

Robert Harris: Pompeji
Heyne Verlag, 2004

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