Der Tempel des Castor

Der Tempel des Castor
Claudia Magerl, 2019

Eine Mann­heimer Süd­ameri­kanerin mit Wohn­sitz im Schwei­zer Tes­sin hat einen his­tori­schen Roman über das anti­ke Rom ver­öffent­licht. Claudia Magerl schreibt über die Regie­rungs­zeit des übel beleu­munde­ten Kai­sers Nero. Dabei rückt sie in ihrem bis­lang vier­ten römi­schen Roman, Der Tem­pel des Castor, so einige der bis heute nicht aus­geräum­ten Vor­urtei­le über ein angeb­lich wahn­sinni­ges Mon­ster zu­recht. Aus ver­schie­denen Grün­den lohnt es sich unbe­dingt, der Auto­rin in die Zeit des ersten Jahr­hun­derts nach Christi Geburt zu fol­gen.

Um dem Schwer­punkt der Erzäh­lung gerecht zu wer­den, möchte ich es nicht versäu­men darauf hinzu­weisen, dass der Prota­gonist des Romans nicht Caesar Nero selbst ist son­dern Marcus Salvius Otho, Freund und Ver­trau­ter Neros – zumin­dest in den ersten Jahren der Regie­rungs­zeit des Kai­sers.

Der Tempel des Castor – Worum also geht es?

Der Roman setzt ein mit den letz­ten Kaiser­jah­ren von Neros Vor­gän­ger, des Caesar Claudius. Als Claudius ver­stirbt, womög­lich vergif­tet durch die eigene Gattin Agrip­pina, muss sich die kaiser­treue Fami­lie des Feld­herrn Lucius Sal­vius Otho um ihre Stel­lung im poli­ti­schen Staats­gefüge sorgen. Doch dann gelingt es dem jüng­sten Spross der Othos, Marcus Sal­vius, zum ein­fluss­rei­chen Freund des neuen Caesars Nero zu avan­cieren. Den eng­sten Freun­des­kreis um Nero ver­bin­det die gemein­same Liebe zur Kunst und der Volks­nähe des jugend­lichen Kaisers.

In der ersten Hälf­te, auf rund zwei­hun­dert Buch­sei­ten des histo­ri­schen Romans, eman­zipiert sich Kaiser Nero – nicht zuletzt dank der Unter­stüt­zung durch seine Freun­de – von seiner intri­gan­ten Mutter Agrip­pina. Er wird zum Lieb­ling des römi­schen Vol­kes. Von Neros wach­sen­der Beliebt­heit profi­tiert in erster Linie auch Marcus Otho. In ihrer Begei­sterung bezeich­nen sich Marcus und Nero gegen­sei­tig als aktu­elle Verkör­perung des Zwil­lings­paares Castor und Pollux.

Der Tempel des Castor – Aufstieg und Niedergang

Wir ahnen es bereits: Soviel Harmo­nie kann nicht von ewi­ger Dauer sein. Marcus lernt seine Liebe auf den ersten Blick ken­nen, Poppaea Sabina. Sein bester Freund Nero unter­stützt Marcus bei der Befrei­ung der Gelieb­ten aus ihrer schreck­lichen ersten Ehe.

Marcus und Popaea treffen sich heim­lich auf einem römi­schen Anwe­sen des Caesar, in den Gärten des Maece­nas. Dort, in einem abge­lege­nen Winkel der Gärten, nämlich im Tem­pel des Castor, pla­nen sie die Tren­nung der Frau von ihrem unge­lieb­ten Gat­ten Crispi­nus und die gemein­same Zu­kunft.
Doch der Tem­pel, Namens­geber des Romans, ist nicht nur dem Castor son­dern auch des­sen Zwil­ling Pollux geweiht. – Welch ein Omen! Poppaea soll­te also nicht nur dem „Castor“ Marcus gehö­ren. Auch „Pollux“ wür­de Ansprü­che auf die Schö­ne erhe­ben.

Als Otho schließ­lich dem kaiser­lichen Freund die Frau sei­nes Lebens vor­stellt, geht alles in die Brü­che. Pollux begeht Ver­rat an seinem Zwil­ling Castor. Caesar Nero ver­führt Othos Frau Poppaea, die leis­tet nur kurz Wider­stand: „Da war’s um ihn gescheh’n. Halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ – Oder war es umge­kehrt?
Um einen Eklat zu verhin­dern, beför­dert Nero den ehe­ma­ligen Freund ins Exil. Als Statt­halter soll Otho die fer­ne Provinz Lusi­tanien verwal­ten, das heuti­ge Portu­gal. Wider­wil­lig aber ohne Alter­nati­ve vor Au­gen willigt der Gehörn­te ein. Mit der Ab­rei­se Othos aus Rom en­det die Roman­hand­lung.

Der Tempel des Castor – Historischer Hintergrund

Wir alle kennen Kaiser Nero in erster Linie als gei­stes­kran­kes, unbe­rechen­bares Scheu­sal. Er habe Rom anzün­den las­sen und dafür die Schuld den Chri­sten in die Schu­he gescho­ben. An dieser Ein­schät­zung tra­gen nicht zuletzt Ver­fil­mun­gen wie die mit Peter Usti­nov in der Rolle des kom­plett wahn­sinni­gen Nero ihren Schuld­anteil. Histori­sche For­schun­gen des letz­ten Jahr­zehnts zeich­nen je­doch ein ganz ande­res Bild des verru­fenen Caesa­ren.

Die Autorin Claudia Magerl hat all diese neue­ren Erkennt­nisse auf dem Schirm. Sie zeich­net des­halb ein sehr dif­feren­zier­tes Bild des anti­ken römi­schen Kai­sers. Ins­beson­dere die ers­ten Jahre seiner Regent­schaft zäh­len bei ihr zu den glück­lich­sten und geglück­tes­ten der über­liefer­ten römi­schen Kaiser­zei­ten.

Doch auch sie befreit Nero nicht vom Makel seiner ganz und gar unkai­serli­chen Schwä­che für das schö­ne Geschlecht. Der mäch­tige Caesar zögert nur ansatz­weise, seine einst unver­brüch­li­che Freund­schaft zu Marcus Salvius Otho über Bord zu kip­pen, um die schöne Poppaea zu sei­ner Frau zu machen.

Der Tempel des Castor – Erfolgsrezept

Claudia Magerl hat ein ganz beson­deres Erzähl­talent. Es gelingt der Auto­rin auf der einen Sei­te, eine schlüs­sige Roman­hand­lung auf­zu­bauen. Stets hält sie den Span­nungs­bogen auf­recht. Und nie glei­tet sie dabei ins Schnul­zige oder Kon­struier­te ab. (Die gruse­ligen Ver­kaufs­texte der Online-Buch­händ­ler hätten ande­res vermu­ten las­sen!)

Auf der anderen Seite schafft sie es schein­bar mühe­los, histori­sche Fak­ten und andere beleg­bare gesell­schaft­liche Beson­der­heiten in die Hand­lung einzu­flech­ten, die dem Leser bis dahin unbe­kannte Ein­sich­ten ver­schaf­fen. Sol­che Dar­stel­lungen hät­ten wir uns für unse­ren Latein­unter­richt gewünscht! – Von Abläu­fen römi­scher Senats­sit­zungen und römi­scher Recht­sprechung berich­tet Magerl. Sie nimmt die Eti­ket­te am kaiser­li­chen Hof aufs Korn. Sie schil­dert Stel­lung und Auf­gaben von Skla­ven, Frei­gelas­senen und von römi­schen Bür­gern. Detail­reich erzählt die Auto­rin von der Durch­füh­rung von Zir­kus­attrak­tionen, Fami­lien­feiern und reli­giö­sen Kult­veran­staltun­gen …

Diese Aufzählung ist leider unvoll­ständig. Es gäbe noch so vie­les anzu­sprechen, was wir aus dem Tempel des Castor zum römi­schen Leben erfah­ren könn­ten. Meine Empfeh­lung: selber lesen!

Wahrheit und Dichtung

Natürlich ist es der geschicht­lich eher schwach bewan­der­ten Leser­schaft nur schwer mög­lich, zwi­schen rea­ler Histo­rien­schil­derung und Roman­hand­lung zu unter­schei­den. Aber gera­de diese Unschär­fe zeich­net mei­nes Erach­tens gut gelun­gene histo­ri­sche Romane aus. Wer hier eine höhe­re Trenn­schär­fe benötigt, kommt um eine zusätz­liche, fach­kun­dige Kommen­tierung durch Histo­riker wohl nicht umhin.
Aber um zu erken­nen, dass sich die Geschich­te um Otho und Nero ziem­lich genau so zuge­tra­gen haben mag, reicht ein Blick in histo­ri­sche Archi­ve. Taci­tus und Plu­tarch sind hier gute Quel­len.

Zweifel­los ist es hoch anzu­rech­nen­der Ver­dienst der Auto­rin, dem Leser eine gelun­gene Mischung aus Geschich­te (im Sinne von Histo­rie) einer­seits und Geschich­te (im Sinne von Erzäh­lung) anderer­seits zu kreden­zen. Für diese Leis­tung gibt es unzäh­lige Bei­spie­le in Der Tem­pel des Castor.

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Übrigens: Falls Dir diese Buchbesprechung von Der Tempel des Castor, gefallen hat, interessierst Du Dich vielleicht auch für die anderen Romane der Autorin? Biografische Information und verlinkte Kurzbeschreibungen aller ihrer historischen Erzählungen findest Du im Autorenprofil von Claudia Magerl.

Fazit:

Der Tempel des Castor ist ein Lese­vergnü­gen, das sich an histo­risch Inter­essierte rich­tet, die auch eine gute Rahmen­erzäh­lung zu schät­zen wissen. Die Roman­hand­lung gibt dem Geschichts­unter­richt eine zusätz­liche, sehr gut austa­rierte Kom­ponen­te mit auf den Weg. 377 Buch­sei­ten, die nie lang­wei­lig wer­den; bei­lei­be nicht!

Im Nachwort zum Roman kündigt Claudia Magerl eine Fort­set­zung der Geschich­te von Marcus Sal­vius Otho an. Darauf dür­fen wir schon jetzt ge­spannt sein. Ich für mei­nen Teil stehe schon jetzt in den Lese-Start­lö­chern. – Dem Tem­pel des Castor jeden­falls möch­te ich unbe­dingt ver­dien­te 4 von möglichen fünf Bewer­tungs­sternen zu­spre­chen.

Einer der Korrekturleser des Romans Der Tempel des Castor vor seiner Veröffentlichung war ich selbst.

Claudia Magerl: Der Tempel des Castor,
Südwestbuch Verlag, 2019

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