Bruderschwur

Claudia Magerl, Bruderschwur, 2009
Claudia Magerl, 2009

Nach der gelun­ge­nen Über­ra­schung durch Der Tempel des Castor werde ich mich lang­sam aber sicher auch durch die frü­he­ren his­tori­schen Romane der Auto­rin Clau­dia Magerl durch­ar­bei­ten. Zehn Jahre vor dem Tem­pel, näm­lich im Jahr 2009, wurde Magerls ers­ter Roman mit dem Titel Bruderschwur ver­öffent­licht. Bereits in die­sem Roman behan­delt die Auto­rin das his­tori­sche Rom. Wir tau­chen ein in das letzte vor­christ­li­che Jahr­hun­dert. Haupt­fi­gur der Ge­schich­te ist Agrip­pa, Feld­herr, Freund und Ver­trau­ter des ers­ten römi­schen Kai­sers Augus­tus.

Zum Einstieg ler­nen wir sogleich, dass der wich­tig­ste Name im alten Rom nach Vor- und Fami­lien­name eigent­lich der dritte ist. Mit die­sem Namen gaben damals Väter ihren Kin­dern eine Bot­schaft mit auf den Lebens­weg. Mar­cus Vip­sanius „Agrippa“ bekam von sei­nem Vater Lucius kein gutes Omen ver­lie­hen. Agrippa lei­tet sich ab von Aeger Partus, dem „schwer Gebo­re­nen“, wegen sei­ner Steiß­ge­burt.

Bruderschwur – Beginn der Handlung

Mit diesem Namen belas­tet beginnt also Mar­cus Vip­sanius sein Leben auf dem Hof sei­ner Eltern. Vom Vater unge­liebt und von der krän­keln­den Mut­ter ver­nach­läs­sigt, klam­mert sich Agrippa an den älte­ren Bru­der Polli­anus. Doch die­ser schließt sich dem Heer des Pom­peius an, der mit Gaius Julius Cae­sar um die Herr­schaft in Rom kon­kur­riert. Die Mut­ter ver­stirbt bald, und der Vater gibt dem Unglücks­brin­ger Agrippa die Schuld. Es kommt zum Eklat, Agrippa ver­lässt den Rest der Fami­lie und beginnt ein neues Leben.

Claudia Magerl beginnt ihren ers­ten Roman ganz ähn­lich wie spä­ter auch den vier­ten, den Tem­pel des Cas­tor. Auch dort ist der Pro­tago­nist der jüngste Sohn einer Fami­lie, der mit sei­nem Vater haderte. Und auch jener Sohn, Otho, sorgt für ein güns­ti­ges Schick­sal der Fami­lie durch seine persön­li­chen Ver­bin­dun­gen zum dama­li­gen Herr­scher Nero.

Agrippa ergeht es ähn­lich wie spä­ter im vier­ten Roman der Auto­rin dem Otho. In Atti­cus, einem begü­ter­ten Römer, fin­det der Junge einen Mäzen, der ihn auf die Rhe­torik­schule des Apollo­doros von Per­ga­mon schickt. Dort lernt Agrippa den jun­gen Gaius Octa­vius kennen, einen Groß­nef­fen Julius Caesars.

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So weit, so gut. – Aus die­ser Aus­gangs­lage heraus webt Clau­dia Magerl mit einer erstaun­li­chen Beharr­lich­keit, außer­gewöhn­li­chem Erzähl­ta­lent und auf Basis einer bewun­derns­wert gründ­li­chen Recher­che­ar­beit unter­schied­liche Hand­lungs­stränge zu einem dich­ten Tep­pich aus Per­sön­lich­kei­ten, Gescheh­nis­sen und Befind­lich­kei­ten. Dabei gelingt es ihr, aus meh­re­ren Per­spek­ti­ven eine zusam­men­hän­gende und doch facet­ten­rei­che Erzäh­lung zu stricken.

Bruderschwur – Machtkämpfe und Politik

Den Hinter­grund oder Takt der Geschichte gibt die his­tori­sche Rah­men­hand­lung vor. Der noch heute bekann­teste römi­sche Macht­ha­ber, Gaius Julius Cae­sar, besiegt sei­nen Wider­sacher Pom­peius. Der sucht in Ägyp­ten Zuflucht, wird dort jedoch aus Macht­kal­kül hin­gerich­tet. Caesar trium­phiert – und wird den­noch wenig später ganz unspek­taku­lär ermor­det. Ja, daran erinnern wir uns alle noch: Die Iden des März, „auch Du, mein Sohn Bru­tus“. Und damit sind wir knapp bei der Hälfte des Romans ange­langt.

Die maßgeb­lichen Mörder des Caesar, allen voran Cassius und Bru­tus, flie­hen in den Osten nach Grie­chen­land. Zwei poten­zielle Nach­fol­ger des Cae­sa­ren, sein Stell­ver­tre­ter Mar­cus Anto­nius und der Zieh­sohn Octa­vius tas­ten sich zunächst ab. Da kei­ner von bei­den Vor­teile erlan­gen kann, schlie­ßen sie sich gemein­sam mit einem Drit­ten, Lepi­dus, zum zwei­ten römi­schen Trium­virat, dem Drei­männer­bund, zusam­men. Ihr erklär­tes Ziel ist, Cae­sars geflo­hene Mör­der Bru­tus und Cassius zu stel­len und zu rich­ten.

Nachdem dies gelun­gen ist, belau­ern sich Octa­vius und Anto­nius erneut. Diese Kon­fron­ta­tion nutzt der abtrün­nige Fürst Sex­tus und wird zum Dorn im Flei­sche Roms. Er wird zum „See­könig“ im Mittel­meer und unter­bin­det die Ver­sor­gung des Rei­ches. Die gespal­tene Regie­rungs­macht kann ihn nicht in die Schran­ken wei­sen.

Die beiden Macht­haber verzet­teln sich und unter­minie­ren sich gegen­sei­tig. Folge ist eine bei­spiel­lose Schwä­chung Roms. Ver­schie­dene Möchte­gern-Poten­taten nut­zen die ver­fah­rene Situ­ation, um Auf­stand zu pro­ben.

Bruderschwur – Agrippas Positionierung

In dieses schwer über­schau­bare poli­ti­sche Geflecht hin­ein pflanzt die Auto­rin den Pro­tago­nis­ten Mar­cus Vip­sanius Agrippa. Der ist und bleibt die ganze Erzäh­lung über mit Leib und Seele Freund und treuer Gefolgs­mann des Octa­vius.

Was auch immer der Zieh­sohn des Julius Cae­sar ihm abver­langt, Agrippa erfüllt stets die Wün­sche und Vor­stel­lun­gen sei­nes Freun­des nach bes­ter Mög­lich­keit: Kriegs­ein­sätze in allen Ecken und Enden des römi­schen Rei­ches, gegen wech­selnde Kon­tra­hen­den des Rei­ches – Immer wie­der gelingt es Agrippa, bei­nahe Unmög­li­ches doch mög­lich zu machen und Octa­vius‘ Pläne durch­zuset­zen.

Zwar erspart er dem Freund und Vor­gesetz­ten nie seine (abwei­chende) Mei­nung, erfüllt aber den­noch immer des­sen Auf­träge. Ohne Agrippas auf­opfern­de Unter­stüt­zung, so berich­tet Magerl, wäre Octa­vius nie soweit gekom­men, wie es uns die Geschichte lehrt.

Tatsäch­lich beschreibt Magerl den römi­schen Kai­ser oft als äußerst ent­schei­dungs­schwach. In ande­ren Situ­atio­nen erscheint Octa­vius hin­ge­gen berech­nend auf Kos­ten sei­ner wohl­mei­nend­sten Rat­ge­ber und Freunde. Unter­stellt sie dem Octa­vius Kal­kül zu Las­ten seiner Unter­gebe­nen? – Wahr­schein­lich nicht zu Unrecht.

Dank akribi­scher Vor­berei­tun­gen und ent­schei­den­der tech­ni­scher Ver­bes­serun­gen sei­ner Schlacht­schiffe gelingt es Agrippa letzt­lich, in einer Ent­schei­dungs­schlacht an der Süd­küste Sizi­liens die Flotte des abtrün­ni­gen Sex­tus auf­zurei­ben. Damit fin­det der römi­sche Bür­ger­krieg end­lich ein Ende.

Bruderschwur – Agrippa privat

Glücklicher­weise han­delt es sich beim Bruderschwur nicht um einen Wiki­pedia-Ein­trag son­dern um eine Roman­erzäh­lung. Des­halb darf Agrippa auch Pri­vat­le­ben ent­wickeln. Von sei­nem uner­bitt­li­chen Vater hat er sich bereits zu Anfang los­gesagt. Den gelieb­ten Bru­der Pollo­nius ver­liert er in einer Kriegs­schlacht in Gal­lien.

Doch sein Lebtag lang bleibt er sei­nem Men­tor, Mäze­nen und Ersatz­vater Atti­cus herz­lich ver­bun­den. Im letz­ten Teil der Erzäh­lung lässt er sich gar mit der Toch­ter des Atti­cus verhei­raten. Ganz frei­wil­lig ent­steht die­ses Bünd­nis zwar nicht. Und so haf­tet die­ser Ehe trotz bes­ten Wil­lens aller Betei­lig­ten ein stets unter­schwel­lig spür­ba­rer Makel an. Eine Unzu­frie­den­heit, die sich gewiss noch irgend­wann ihren Weg bah­nen wird …
Letzt­lich bleibt es Agrippa nicht erspart, sei­nen über alles geschätz­ten und gelieb­ten Schwie­ger­va­ter zu Grabe zu tra­gen.

Von all diesen persön­li­chen Schick­sals­fügun­gen abge­se­hen gelingt es dem Pro­tago­nis­ten, einen sei­ner heh­ren Träu­me wenigs­tens ansatz­weise zu ver­wirkli­chen. Unter groß­zügi­gem Ein­satz eige­ner Mit­tel beschert er den Bür­gern Roms durch Auf­bau einer zeit­gemä­ßen Was­ser­ver­sor­gung eine merk­li­che Ver­bes­se­rung der Lebens­um­stände. – Agrippa, ein wah­rer Wohl­tä­ter Roms.

Bruderschwur – Das Ende

Nun dürfen wir nicht den Feh­ler bege­hen, hier pathe­tisch zu wer­den. Denn sol­ches Pathos bleibt dem Roman vor­behal­ten: Octa­vius, Agrippa und der Rest der wahr­lich Getreuen schla­gen den letzten aller Geg­ner, Mar­cus Anto­nius, in einer gewal­ti­gen See­schlacht vor Grie­chen­land. Doch Anto­nius und Kleo­pa­tra ent­kom­men und flie­hen zurück nach Ägyp­ten.
Agrippa erbit­tet drauf­hin seine Frei­gabe. Er will kein römi­sches Blut mehr ver­gie­ßen, obwohl doch der end­gül­tige Sieg so nahe liegt. Octa­vius gibt also groß­zü­gig den Freund frei und eilt selbst dem flie­hen­den Kon­tra­hen­den nach. Agrippa aber kehrt nach Rom zurück.

Das Ende der Geschichte bleibt offen, die Fortsetzung wartet auf uns Leser im zweiten Teil.

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Bruderschwur – Erfolgsrezept

Es ist ein klu­ger Schach­zug der Auto­rin, sich als Pro­tago­nis­ten für ihre his­tori­schen Romane jeweils einen Mann aus der zwei­ten Reihe zu suchen. Das macht die Hand­lung span­nen­der und ist wahr­schein­lich wesent­lich inte­ressan­ter als just another Bio­gra­phie einer ohne­hin bekann­ten Per­sön­lich­keit, näm­lich des jewei­li­gen Herr­schers.

Meist aus der Per­spek­tive des zwei­ten oder drit­ten Man­nes gelingt es Clau­dia Magerl, die Leser­schaft bei der Stange zu hal­ten. Über 385 Buch­sei­ten hin­weg peitscht sie uns durch eine der schreck­lichs­ten Perio­den der römi­schen Herr­schafts­ge­schichte. Und trotz­dem wird es uns nie­mals fade.

Wer aufmerk­sam mit­liest, nimmt am Stu­den­ten­leben im alten Rom teil. Wir neh­men das römi­sche Recht und his­to­risch bedeu­tende Ent­schei­dun­gen wahr, etwa die Kalen­der­reform nach ägyp­ti­schem Vor­bild. Oder die noch heute gül­tige Umbe­nen­nung des Monats Quin­tilis in Julius, den Monat Juli. Hoch­zei­ten, Schei­dun­gen, Bünd­nisse, Ver­rat – all das unter­schei­det sich mehr oder weni­ger von moder­nen Gege­ben­hei­ten.
Sogar über die Küche im alten Rom unter­rich­tet uns Magerl so ganz neben­bei. Was habe ich jetzt noch alles ver­ges­sen?

Bruderschwur ist ein wah­rer Quell der Erkennt­nis für jeden, der sich für die Her­kunft unse­rer noch immer aktu­el­len Gebräu­che und Wert­vor­stel­lun­gen inte­res­siert. Man kann es der Auto­rin gar nicht hoch genug anrech­nen, wie sie hin­be­kommt, aus einer Lehr­stunde über antike Üblich­kei­ten und histo­ri­sche Tat­sa­chen einen packen­den Roman zu kon­struie­ren. – Cha­peau!

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Übrigens: Falls Dir diese Buchbesprechung von Bruderschwur, gefallen hat, interessierst Du Dich vielleicht auch für die anderen Romane der Autorin? Biografische Information und verlinkte Kurzbeschreibungen aller ihrer historischen Erzählungen findest Du im Autorenprofil von Claudia Magerl.

Fazit:

Ich habe lange über­legt. Der Bruderschwur ist inhalt­lich noch um eini­ges dich­ter als etwa Der Tempel des Castor. Geschicht­lich Inte­res­sierte dürf­ten jubeln ange­sichts der monu­men­ta­len Trag­weite des Bruderschwurs. Zurecht wür­den sie die fünf vol­len Sterne für den ers­ten Roman Magerls for­dern. Und genau des­halb emp­fehle ich den Roman unbe­dingt & unein­ge­schränkt für alle, die sich für die His­to­rie des Abend­lan­des inte­res­sie­ren. – Ein tol­les Aben­teuer!

Aber im Ressort Belle­tris­tik geht es eben nicht nur allein um gekonnte histo­ri­sche Über­lie­fe­rung und deren unter­halt­same Dar­bie­tung. Es geht auch um den gesamt­heit­li­chen Unter­hal­tungs­wert. In die­ser Hin­sicht hat der Bruderschwur ein paar unüber­seh­bare Län­gen.
Es bleibt trotz­dem ein sehr, sehr guter Roman um eine Zeit, die längst aus unse­rem Auf­merk­sam­keits­hori­zont ent­wi­chen ist. Des­halb ver­gebe ich für den Bruderschwur vier sehr solide Sterne von fünf mög­li­chen.

Claudia Magerl: Bruderschwur,
Südwestbuch Verlag, 2009

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