
Mit seinem Erstlingswerk Schnee, der auf Zedern fällt hat sich der amerikanische Autor David Guterson aus dem Stand in die englischsprachigen Bestsellerlisten geschrieben. Sein Roman handelt von einen Mordfall, der 1954 auf einer kleinen Pazifikinsel an der US-Küste begangen wurde. Das eigentliche Thema des Buches aber ist das schwierige Verhältnis zwischen Amerikanern europäischer und japanischer Abstammung.
Den Rahmen der Handlung bildet eine Gerichtsverhandlung auf der Insel San Piedro im Puget Sound vor der amerikanischen Nordwestküste auf Höhe von Seattle. Dort ist der japanischstämmige Fischer Kabuo Miyamoto angeklagt, seinen Kollegen und ehemaligen Freund Carl Heine umgebracht zu haben. Heines Familie war einst aus Deutschland zugewandert. Es gibt keine Zeugen, nur Indizien und ein Motiv: nämlich Rache wegen einer persönlichen Fehde, die durch Geschehnisse aus der Zeit um den Zweiten Weltkrieg entstand. Zu dieser Zeit unterlagen die aus Japan stammenden Amerikaner starken Repressionen.
Über die Romangeschichte
Unter den Prozessbeobachtern ist Ishmael Chambers, Herausgeber der Lokalzeitung San Piedros. Er kennt alle Beteiligten von Kindheit an. Darüber hinaus verbindet ihn mit der Frau des Angeklagten eine viele Jahre dauernde, interkulturelle Jugendliebe. Während des Prozesses, der die Abgründe aufdeckt, die zwischen den Heines und den Miyamotos entstanden waren, findet Chambers mehr oder weniger zufällig entscheidendes Beweismaterial.
Der Ablauf des Gerichtsverfahrens wird geklammert durch einen gewaltigen Schneesturm, der das Inselleben während des gesamten Prozesses zum Erliegen bringt. Mit den Schilderungen im Zusammenhang mit Naturgewalten lockert der Autor unaufdringlich die kriminalistische Handlung auf, gibt ihr einen Rahmen.
In den Handlungsstrang um Unwetter und Gerichtsverhandlung hinein webt Guterson seine eigentliche Erzählung. Diese handelt vom Leben der Inselbevölkerung hauptsächlich in den Vierziger- und Fünfziger-Jahren. Der Autor versteht es dabei, die Erdverbundenheit der Menschen, die Schönheit der Landschaft in wunderbaren, poetischen Bildern plastisch zu schildern. Fast riecht der Leser zusammen mit den Romanfiguren den Duft der Zedern, den Geruch des Mooses, des Schnees und des Salzwassers.
Clash der Kulturen
Aber auch die Probleme, die aus dem Zusammenleben von Menschen verschiedener Hautfarbe entstehen, weiß Guterson auf eindringliche Weise zu schildern. Die Entwicklung der Liebe zwischen zwei der Hauptfiguren des Romans, der Japanerin Hatsue und dem Amerikaner Ishmael, macht deutlich, welchen Einfluss unterschiedliche Abstammung, Kultur und gesellschaftlicher Druck auf persönliche Beziehungen haben.
Denn aus unbekümmerter, kindlicher Freundschaft wird zunächst starke, sich gegen Konventionen auflehnende, jugendliche Liebe. Durch historische und gesellschaftliche Ereignisse in der Kriegszeit schlägt diese Liebe in Hass und zuletzt in Gleichgültigkeit um. Sowohl die Ansichten und Denkungsweise der japanischen Einwanderer, als auch die der westlichen Amerikaner schildert der Autor dabei einfühlsam und nachvollziehbar. Sehr bedächtig, behutsam und ohne Partei zu ergreifen erzählt David Guterson von den Schwierigkeiten im Verhältnis zwischen Amerikanern und Japanern.
Diese historische Problematik baut Guterson in das Gemeinschaftsleben der Inselbevölkerung seines Buches ein. Das, was seine Romanfiguren erleben, transportiert er über die Berichterstattung der Inselzeitung, die zunächst Ishmaels Vater und später er selbst herausgeben, auf eine allgemein gültige Ebene. Zeitungsartikel und die Reaktionen der Bevölkerung geben die Entwicklung der amerikanischen Stimmungslage in den Jahrzehnten wieder, die die Lebensläufe der handelnden Hauptpersonen umfassen.
Die Botschaft
Über dieses komplexe Gerüst vermittelt Guterson seine Botschaften: Den Wert von Schönheit und Kraft der Natur gegenüber der Hässlichkeit und unfassbaren Gewalt des Krieges. Die historischen Gegensätze zwischen menschlichen Kulturen und die schiere Unmöglichkeit, diese Kluft zu überwinden. Die persönliche Entwicklung von Charakteren über Jahrzehnte hinweg vor dem Hintergrund der Tatsache, dass man als Einzelner seinen Lebensweg nur wenig beeinflussen kann. Aber auch die Gefahr, die eine politisch entschlossene Regierung für das Individuum und die Gesellschaft darstellen kann.
Denn als am 7. Dezember 1941 wie aus heiterem Himmel Flugzeuge Pearl Harbour angriffen, war Amerika entrüstet über die Heimtücke der Japaner. Heute sagen Historiker: Präsident Franklin Delano Roosevelt wusste im Voraus von dem Angriff, hatte ihn sogar provoziert. Roosevelt wollte in den Zweiten Weltkrieg eintreten. Doch bis Pearl Harbour waren fast neunzig Prozent der Amerikaner dagegen gewesen. Danach schlugen Patriotismus und Xenophobie Kapriolen in der amerikanischen Gesellschaft.
Angesichts der Situation, in der sich die US-amerikanische Außenpolitik derzeit befindet – nach dem Attentat am 11. September 2001 und am Vorabend eines Agriffskrieges auf den Irak – drängen sich parallele Schlüsse geradezu auf. Wusste nicht auch die Bush-Regierung von den bevorstehenden Terrorattacken? Wie weit ist es von dieser Feststellung bis zum Verdacht, man könne wie damals während des Zweiten Weltkrieges die Kriegsbereitschaft des eigenen Volkes schüren, indem man gegnerische Angriffe bewusst in Kauf nimmt?
Fazit:
Ein aus vielerlei Gründen äußerst lesenswertes Buch. Nicht nur wegen der eben angesprochenen historischen Parallelen. Sondern vor allen Dingen wegen der unparteiischen und dadurch so glaubwürdigen Schilderung kultureller Gegensätze innerhalb einer Gesellschaft. Dass darüber hinaus die ausdrucksvoll geschilderte Kraft und Schönheit der Natur als verbindendes Element derart gekonnt eingebracht wird, das ist mir insgesamt ohne jede Einschränkung die vollen fünf Sterne Wert.
David Guterson: Schnee, der auf Zedern fällt
btb Verlag, 2001
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