Rabbit, eine Rückkehr

Die Rückkehr
John Updike, 2002

John Updike, einer der meist­gele­se­nen ameri­kani­schen Auto­ren des zwan­zig­sten Jahr­hun­derts, wurde durch seine Fort­setzungs­romane über Harry „Rabbit“ Ang­strom wel­tweit bekannt. In vier Bänden beglei­tet er seinen Prota­gonisten über vier­zig Jahre hinweg durch dessen Leben, begin­nend in der Jugend und abschlie­ßend mit seinem Tod. Der dritte und der vierte Band der Roman­folgen wurden je­weils mit dem Pulitzer Preis ausge­zeichnet. Zehn Jahre nach Harrys Tod, schiebt Updike eine abschlie­ßende fünfte Folge mit dem Titel Rabbit eine Rückkehr nach. Darin nimmt er einige lose Enden auf, schließt den Rei­gen und schafft einen letzt­lich ver­söhn­lichen Ab­schluss.

Bisher habe ich hier noch keinen der Rabbit-Romane besprochen. Daher beginne ich diese Rezen­sion mit einem knap­pen Über­blick zu den Bänden eins bis vier.

Rabbit, eine Rückkehr – Vorgeschichte

In seiner Tetra­logie über den typi­schen Jeder­mann Harry Ang­strom, genannt Rabbit, skizzierte John Updike im Zehn-Jahres-Rhyth­mus ein sarka­sti­sches Bild der ameri­kani­schen Mittel­schicht. Rabbit ist nämlich unfähig, dauer­hafte Bin­dun­gen einzu­gehen oder wahr­haftige zwischen­mensch­liche Kommuni­kation auf­recht zu erhal­ten. Denn er lei­det unter dem Ver­lust seiner Ideale und sucht den Sinn des Lebens in ziel­loser, konsum­orien­tierter Sexu­alität.
An der Entwick­lung des Prota­gonisten spie­geln sich die All­tags­beob­achtun­gen des Autors wider. Objekt sei­ner Reflexi­onen: der Ver­fall ameri­kani­scher Wert­vorstel­lungen und der christ­lichen Tradi­tion.

Hasenherz

Im ersten Band der Roman­folge, Rabbit, Run (1960, deutsch: Hasen­herz), setzt der Autor das Porträt des Harry „Rabbit“ Angstrom auf. Als Mitt­zwan­ziger, einst zu High-School-Zeiten ein Basket­ball­talent, steht er am Beginn seines Erwach­senen­lebens und trau­ert seinen sport­lichen Glanz­zeiten nach. Denn sein Beruf erfüllt ihn nicht. Auch seine Ehe scheint bereits am Ende zu sein, und er sucht sein Glück bei einer ande­ren Frau. Doch Glück ist nicht so ein­fach zu errin­gen wie Sport­medaillen, und Harry läuft deshalb weiter­hin davon: vor seiner Frau, seinem Sohn, seinem Leben und vor sich selbst.

Unter dem Astronautenmond

Der zweite Band, Rabbit Redux (1971, deutsch: Unter dem Astro­nauten­mond), so verrät bereits der engli­sche Original­titel, lässt Rabbit zurück­kehren in die Verant­wort­lich­keiten seines lang­weiligen mittel­ständi­schen Lebens. Die Roman­folge setzt im Jahr 1969 ein und lässt die Sech­ziger Jahre am Leser vorbei­ziehen.
Harrys Frau betrügt ihn und zieht zu einem anderen. Während­dessen prallen in Rabbits Haus die Gegen­sätze der Epoche aufein­ander: Das achtzehn­jährige Hippie­mädchen Jill in einer zwie­späl­tigen Tochter-Geliebten­rolle; Skelter, ein farbiger Viet­nam­veteran und Black-Power-Aktivist; und Harry selbst als Reprä­sentant des tradi­tionel­len, weißen Ameri­kas.

Bessere Verhältnisse

Rabbit is Rich (1981, deutsch: Bessere Verhält­nisse), die dritte Folge, präsen­tiert dem Leser einen arri­vier­ten Harry Angstrom. Ende der Acht­ziger Jahre über­nimmt er die Toyota­vertre­tung seines Schwieger­vaters und ist Mit­glied im Golf­club. Doch Geld hat den Prota­gonisten nicht glück­licher gemacht.

Rabbit in Ruhe

Harry als Groß­vater – mit diesem Bild beginnt der vierte und bis dato letzte Teil der updike­schen Rabbit­serie, Rabbit at Rest (1990, deutsch: Rabbit in Ruhe). Darin besitzt Rabbit eine Ferien­wohnung in Flori­da und kämpft mit begin­nenden Herz­problemen. Dennoch bleibt er weiter­hin auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Der Band endet mit der Resi­gnation und schließ­lich dem Tod Harrys.

~

Rabbit Remembered (Rabbit, eine Rückkehr)

Auf der letzten Seite des vierten Teils, als Rabbit im Ster­ben liegt, ver­sucht er, seinem Sohn Nelson noch mit­zu­teilen, dass er eine Schwe­ster habe. Dieser jedoch miss­versteht den Vater. Also nimmt Harry Ang­strom das Geheim­nis mit ins Grab. Doch der zu­letzt nach­gescho­bene, fünfte Band nimmt genau diesen Punkt wieder auf. Anna­belle, Harrys außer­ehe­liche Tochter mit seiner ehe­mali­gen Gelieb­ten aus dem ersten Band, Ruth Leonard, sucht nach dem Tod ihrer Mutter die Witwe ihres leib­lichen Vaters auf.

Zusammen mit Anna­belle treten wir also er­neut ein in das Leben der ver­blie­benen Familie Angstrom. Janice, Harrys Witwe, ist nun­mehr verhei­ratet mit dessen ehema­ligen Kon­kurren­ten, mit Ronnie Harri­son. Mit dieser Beziehung schließt sich ein Zyklus, den Updike durch alle Bände gewo­ben hatte: Denn nicht nur Harry hatte einst ein Verhält­nis mit Ruth gehabt, auch Ronnie war deren Gelieb­ter gewesen. Harry hatte Janice mit Ronnies Frau Thelma betro­gen. Und letztlich, nach dem Tod bei­der Ehe­part­ner wur­den schließ­lich Janice und Ronnie ein Paar.

Über seine Tochter Anna­belle ist Rabbit urplötz­lich wieder präsent. Janice und Ronnie stehen dem Ein­dring­ling miss­trauisch gegen­über. Denn mit Annabell kehrt eine längst abge­schlos­sene, schmerz­hafte Vergan­gen­heit zurück. Doch Nelson, wie einst sein Vater gefrustet von Beruf und Leben, enf­lammt in plötz­licher Geschwister­liebe und zieht seine Halb­schwester in die Fami­lie hinein. Natür­lich kommt es zu Spannun­gen und schließ­lich zu einem Eklat. Ronnie erkennt in der jungen Frau nicht nur seine und Harrys ehema­lige Gespie­lin wieder. Er sieht in ihr auch das Ergeb­nis seiner Unter­legen­heit gegen­über dem einstigen Riva­len Rabbit.

Rabbit, eine Rückkehr – Erfolgsrezept

Eine Entwick­lung der Charak­tere findet in Rabbit, eine Rückkehr nicht statt. Dazu ist die letzte Folge deutlich zu kurz. Und darin liegt auch das einzige Manko des Buches. Zu einigen der ange­sproche­nen Punkte hätte ich mir eine expli­zitere Aus­arbei­tung gewünscht. In der vor­liegen­den Form wirkte der Plot direkt im An­schluss an den Familien­eklat ein klein wenig hohl, oder über­stürzt auf mich.

Die Geschichte läuft gemein­sam mit dem zwanzig­sten Jahr­hun­dert ganz sachte aus: Während einer bizarren Auto­fahrt auf dem Weg ins drit­te Jahr­tausend, die im De­saster zu enden droht, schafft es Nelson, aus dem Schat­ten seines Vaters zu tre­ten und ein versöhn­liches Ende anzu­steuern.

Auch in seiner an die Tetra­logie ange­häng­ten, aus­klingen­den Koda glänzt John Updike mit realisti­schem, präzise geschlif­fenem Schreib­stil. Erneut weiß er den Leser durch gestochen scharfe Dar­stellun­gen seines Ameri­kas, seiner Perso­nen und deren Gedan­ken in das Gebil­de seiner Geschichte hinein­zu­ziehen. Er verwebt dabei geschicht­liche Fakten mit Beobach­tungen und der Hand­lung derart gekonnt, dass man haut­nah aus der Perspek­tive einer jeden seiner Figu­ren mitfüh­len kann. So als stünde man selbst in­mitten der Geschichte.

Rabbit, eine Rückkehr –

Dieses unglaublich geschick­te Verwe­ben unter­schied­licher Ebe­nen ist es, das in meinen Augen Updikes Prosa den größten Reiz ver­leiht. Meine unange­foch­tene Lieblings­sequenz in Rabbit, eine Rückkehr ist übrigens die bereits ange­spro­chene Auto­fahrt in der Sil­vester­nacht:

Rabbit, eine Rückkehr – Jahrtausendwechsel

Nelson, seine Frau Pru, Billy Fos­nacht, ein Freund aus der Kind­heit, und die Schwester Anna­belle dinie­ren am Abend des 31. Dezem­ber 1999. Im Anschluss daran besu­chen sie einen Kino­film und beschlie­ßen danach, in die ehe­malige Drogen­kneipe Laid-back zu fah­ren, in der Nel­son einst ver­kehrte.

Während der Fahrt spürt Nelson ständig die körper­lose Gegen­wart seines verstor­benen Vaters, als ob dieser ihm immer noch im Nacken säße. Er ver­fährt sich, die vier begin­nen im Auto zu strei­ten. Doch schließ­lich findet Nel­son den rich­tigen Weg. Diese an sich schon deut­lich meta­phori­sche Umkehr auf die rich­tige Bahn unter­malt Updike mit passen­den Frag­menten aus Rabbits Ver­gangen­heit:
Der Wagen mit den vier Insaßen passiert die längst ver­kaufte Toyota­vertre­tung, Symbol der angstrom­schen Ver­gangen­heit. Dabei spricht Billy aus, woran Nel­son seit seiner Kind­heit gelit­ten hatte: „Er [Nelson] war ein Jammer­lappen, und was für einer. Ein rich­tiges Mama­söhn­chen, hat Angst vor seinem Vater gehabt, dabei war der so ein netter Kerl.“

Mit Wut im Bauch und der Zeit im Nacken (Mitter­nacht rückt immer näher) steu­ert Nelson das Gefährt auf das Ziel zu. Kurz vor der Ankunft errei­chen sie die Straßen­ecke, wo sich einst Rabbit und Janice kennen­gelernt hatten:
„Wenn sie sich nicht begegnet wären, gäbe es ihn nicht, das darf man nicht vergessen!“
Dort fällt die Ampel aus und „Nel­son sieht rot“. Wut­ent­brannt setzt er sich gegen einen rück­sichts­losen Verkehrs­rowdy durch und wird dadurch mit einem Schlag das Stigma des Jammer­lappens los.

„Das Paar auf dem Rück­sitz spendet, ein wenig atem­los, Bei­fall“ und „Pru fällt über ihn her, sie ver­sucht, ihn zu umar­men, bohrt ihm ihre Nase in die Wan­ge, und ihr Atem flat­tert ihm warm gegen den Hals.“

Unauf­dring­lich und dennoch unüber­sehbar, messer­scharf formu­liernd schafft es Updike, Nel­sons Umkehr, das Los­lassen vom Vater und den kämpfe­rischen Schritt in eine selbst­gesteu­erte Zukunft zu beschrei­ben.

Rabbit, eine Rückkehr – Die Übersetzungen

Einige der Fein­heiten in der Formu­lierung Updikes gehen in der deut­schen Über­setzung lei­der verlo­ren. Als Bei­spiel seien die wunder­baren laut­maleri­schen Titel der Roman­folgen genannt: Rabbit, Run; Rabbit Redux; Rabbit is Rich; Rabbit at Rest; Rabbit Remembered.

Ebenso verwaschen sich im Deut­schen die punkt­genau zusammen­fassenden und gleich­zeitig weiter führen­den Schluss­worte der einzel­nen Fort­setzungen. Der erste Band endet mit dem Verb „Runs“. Im zweiten Teil verlässt Updike seine Leser mit einer Frage­stellung: „O.K.?“ Das letzte Wort in Rabbit is Rich lau­tete dann „His“, und im vier­ten Teil ver­ab­schie­det sich Rabbit mit seiner Kapitu­lation: „Enough“.
Das Schluss­wort des fünften Teils lässt im Gegen­satz zu den vier vorher­gehenden Abschlüs­sen die gesamte Geschichte opti­misti­scher in einem versöhn­lichen Licht erschei­nen. Nelson antwor­tet auf Anna­belles Frage, ob er ihr Brautf­ührer sein wolle, mit „Gladly“.

Wem die Roman­serie um Harry Ang­strom gefällt, der interes­siert sich viel­leicht auch für John Updikes letz­ten Roman Landleben.

Fazit:

Abgesehen einmal davon, dass ich schlicht und ein­fach nach mehr gier­te, als ich den Roman aus der Hand legte, er mir einfach zu kurz war, darf ich Updikes Rabbit-Nach­ruf nicht nur der Fan­gemein­de emp­fehlen. Denn jeder, der sich auf den groß­artigen Erzähl­stil des Autors ein­lässt, wird seine Freude an Rabbit, eine Rück­kehr haben. Auch dann, wenn er die voraus­gehen­den Bände nicht gele­sen hat.

Für mich selbst steht nach der Lektüre fest, ich werde in den kommen­den Winter­monaten den gesamten Fünfer­pack noch einmal von vorne lesen. Denn so ist das mit Updike Prosa: Bei jeder Wieder­holung erkennt man mehr Details, inter­pretiert man Einzel­heiten doch noch einmal anders und hat man noch mehr Lese­spaß als beim Mal zuvor.

Vier Sterne für den fünf­ten Hasen. Wäre der Roman an einigen Stellen detail­lierter ausgear­beitet worden, hätte Updike auf jeden Fall voll mit allen fünf mög­li­chen Sternen gepunk­tet.

John H. Updike: Rabbit, eine Rückkehr
Rowohlt Verlag, 2002

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