
John Updike, einer der meistgelesenen amerikanischen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, wurde durch seine Fortsetzungsromane über Harry „Rabbit“ Angstrom weltweit bekannt. In vier Bänden begleitet er seinen Protagonisten über vierzig Jahre hinweg durch dessen Leben, beginnend in der Jugend und abschließend mit seinem Tod. Der dritte und der vierte Band der Romanfolgen wurden jeweils mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Zehn Jahre nach Harrys Tod, schiebt Updike eine abschließende fünfte Folge mit dem Titel Rabbit eine Rückkehr nach. Darin nimmt er einige lose Enden auf, schließt den Reigen und schafft einen letztlich versöhnlichen Abschluss.
Bisher habe ich hier noch keinen der Rabbit-Romane besprochen. Daher beginne ich diese Rezension mit einem knappen Überblick zu den Bänden eins bis vier.
Vorgeschichte
In seiner Tetralogie über den typischen Jedermann Harry Angstrom, genannt Rabbit, skizzierte John Updike im Zehn-Jahres-Rhythmus ein sarkastisches Bild der amerikanischen Mittelschicht. Rabbit ist nämlich unfähig, dauerhafte Bindungen einzugehen oder wahrhaftige zwischenmenschliche Kommunikation aufrecht zu erhalten. Denn er leidet unter dem Verlust seiner Ideale und sucht den Sinn des Lebens in zielloser, konsumorientierter Sexualität.
An der Entwicklung des Protagonisten spiegeln sich die Alltagsbeobachtungen des Autors wider. Objekt seiner Reflexionen: der Verfall amerikanischer Wertvorstellungen und der christlichen Tradition.
Hasenherz
Im ersten Band der Romanfolge, Rabbit, Run (1960, deutsch: Hasenherz), setzt der Autor das Porträt des Harry „Rabbit“ Angstrom auf. Als Mittzwanziger, einst zu High-School-Zeiten ein Basketballtalent, steht er am Beginn seines Erwachsenenlebens und trauert seinen sportlichen Glanzzeiten nach. Denn sein Beruf erfüllt ihn nicht. Auch seine Ehe scheint bereits am Ende zu sein, und er sucht sein Glück bei einer anderen Frau. Doch Glück ist nicht so einfach zu erringen wie Sportmedaillen, und Harry läuft deshalb weiterhin davon: vor seiner Frau, seinem Sohn, seinem Leben und vor sich selbst.
Unter dem Astronautenmond
Der zweite Band, Rabbit Redux (1971, deutsch: Unter dem Astronautenmond), so verrät bereits der englische Originaltitel, lässt Rabbit zurückkehren in die Verantwortlichkeiten seines langweiligen mittelständischen Lebens. Die Romanfolge setzt im Jahr 1969 ein und lässt die Sechziger Jahre am Leser vorbeiziehen.
Harrys Frau betrügt ihn und zieht zu einem anderen. Währenddessen prallen in Rabbits Haus die Gegensätze der Epoche aufeinander: Das achtzehnjährige Hippiemädchen Jill in einer zwiespältigen Tochter-Geliebtenrolle; Skelter, ein farbiger Vietnamveteran und Black-Power-Aktivist; und Harry selbst als Repräsentant des traditionellen, weißen Amerikas.
Bessere Verhältnisse
Rabbit is Rich (1981, deutsch: Bessere Verhältnisse), die dritte Folge, präsentiert dem Leser einen arrivierten Harry Angstrom. Ende der Achtziger Jahre übernimmt er die Toyotavertretung seines Schwiegervaters und ist Mitglied im Golfclub. Doch Geld hat den Protagonisten nicht glücklicher gemacht.
Rabbit in Ruhe
Harry als Großvater – mit diesem Bild beginnt der vierte und bis dato letzte Teil der updikeschen Rabbitserie, Rabbit at Rest (1990, deutsch: Rabbit in Ruhe). Darin besitzt Rabbit eine Ferienwohnung in Florida und kämpft mit beginnenden Herzproblemen. Dennoch bleibt er weiterhin auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Der Band endet mit der Resignation und schließlich dem Tod Harrys.
~
Rabbit Remembered (Rabbit, eine Rückkehr)
Auf der letzten Seite des vierten Teils, als Rabbit im Sterben liegt, versucht er, seinem Sohn Nelson noch mitzuteilen, dass er eine Schwester habe. Dieser jedoch missversteht den Vater. Also nimmt Harry Angstrom das Geheimnis mit ins Grab. Doch der zuletzt nachgeschobene, fünfte Band nimmt genau diesen Punkt wieder auf. Annabelle, Harrys außereheliche Tochter mit seiner ehemaligen Geliebten aus dem ersten Band, Ruth Leonard, sucht nach dem Tod ihrer Mutter die Witwe ihres leiblichen Vaters auf.
Zusammen mit Annabelle treten wir also erneut ein in das Leben der verbliebenen Familie Angstrom. Janice, Harrys Witwe, ist nunmehr verheiratet mit dessen ehemaligen Konkurrenten, mit Ronnie Harrison. Mit dieser Beziehung schließt sich ein Zyklus, den Updike durch alle Bände gewoben hatte: Denn nicht nur Harry hatte einst ein Verhältnis mit Ruth gehabt, auch Ronnie war deren Geliebter gewesen. Harry hatte Janice mit Ronnies Frau Thelma betrogen. Und letztlich, nach dem Tod beider Ehepartner wurden schließlich Janice und Ronnie ein Paar.
Über seine Tochter Annabelle ist Rabbit urplötzlich wieder präsent. Janice und Ronnie stehen dem Eindringling misstrauisch gegenüber. Denn mit Annabell kehrt eine längst abgeschlossene, schmerzhafte Vergangenheit zurück. Doch Nelson, wie einst sein Vater gefrustet von Beruf und Leben, enflammt in plötzlicher Geschwisterliebe und zieht seine Halbschwester in die Familie hinein. Natürlich kommt es zu Spannungen und schließlich zu einem Eklat. Ronnie erkennt in der jungen Frau nicht nur seine und Harrys ehemalige Gespielin wieder. Er sieht in ihr auch das Ergebnis seiner Unterlegenheit gegenüber dem einstigen Rivalen Rabbit.
Erfolgsrezept
Eine Entwicklung der Charaktere findet in Rabbit, eine Rückkehr nicht statt. Dazu ist die letzte Folge deutlich zu kurz. Und darin liegt auch das einzige Manko des Buches. Zu einigen der angesprochenen Punkte hätte ich mir eine explizitere Ausarbeitung gewünscht. In der vorliegenden Form wirkte der Plot direkt im Anschluss an den Familieneklat ein klein wenig hohl, oder überstürzt auf mich.
Die Geschichte läuft gemeinsam mit dem zwanzigsten Jahrhundert ganz sachte aus: Während einer bizarren Autofahrt auf dem Weg ins dritte Jahrtausend, die im Desaster zu enden droht, schafft es Nelson, aus dem Schatten seines Vaters zu treten und ein versöhnliches Ende anzusteuern.
Auch in seiner an die Tetralogie angehängten, ausklingenden Koda glänzt John Updike mit realistischem, präzise geschliffenem Schreibstil. Erneut weiß er den Leser durch gestochen scharfe Darstellungen seines Amerikas, seiner Personen und deren Gedanken in das Gebilde seiner Geschichte hineinzuziehen. Er verwebt dabei geschichtliche Fakten mit Beobachtungen und der Handlung derart gekonnt, dass man hautnah aus der Perspektive einer jeden seiner Figuren mitfühlen kann. So als stünde man selbst inmitten der Geschichte.
Dieses unglaublich geschickte Verweben unterschiedlicher Ebenen ist es, das in meinen Augen Updikes Prosa den größten Reiz verleiht. Meine unangefochtene Lieblingssequenz in Rabbit, eine Rückkehr ist übrigens die bereits angesprochene Autofahrt in der Silvesternacht:
Jahrtausendwechsel
Nelson, seine Frau Pru, Billy Fosnacht, ein Freund aus der Kindheit, und die Schwester Annabelle dinieren am Abend des 31. Dezember 1999. Im Anschluss daran besuchen sie einen Kinofilm und beschließen danach, in die ehemalige Drogenkneipe Laid-back zu fahren, in der Nelson einst verkehrte.
Während der Fahrt spürt Nelson ständig die körperlose Gegenwart seines verstorbenen Vaters, als ob dieser ihm immer noch im Nacken säße. Er verfährt sich, die vier beginnen im Auto zu streiten. Doch schließlich findet Nelson den richtigen Weg. Diese an sich schon deutlich metaphorische Umkehr auf die richtige Bahn untermalt Updike mit passenden Fragmenten aus Rabbits Vergangenheit:
Der Wagen mit den vier Insaßen passiert die längst verkaufte Toyotavertretung, Symbol der angstromschen Vergangenheit. Dabei spricht Billy aus, woran Nelson seit seiner Kindheit gelitten hatte: „Er [Nelson] war ein Jammerlappen, und was für einer. Ein richtiges Mamasöhnchen, hat Angst vor seinem Vater gehabt, dabei war der so ein netter Kerl.“
Mit Wut im Bauch und der Zeit im Nacken (Mitternacht rückt immer näher) steuert Nelson das Gefährt auf das Ziel zu. Kurz vor der Ankunft erreichen sie die Straßenecke, wo sich einst Rabbit und Janice kennengelernt hatten:
„Wenn sie sich nicht begegnet wären, gäbe es ihn nicht, das darf man nicht vergessen!“
Dort fällt die Ampel aus und „Nelson sieht rot“. Wutentbrannt setzt er sich gegen einen rücksichtslosen Verkehrsrowdy durch und wird dadurch mit einem Schlag das Stigma des Jammerlappens los.
„Das Paar auf dem Rücksitz spendet, ein wenig atemlos, Beifall“ und „Pru fällt über ihn her, sie versucht, ihn zu umarmen, bohrt ihm ihre Nase in die Wange, und ihr Atem flattert ihm warm gegen den Hals.“
Unaufdringlich und dennoch unübersehbar, messerscharf formuliernd schafft es Updike, Nelsons Umkehr, das Loslassen vom Vater und den kämpferischen Schritt in eine selbstgesteuerte Zukunft zu beschreiben.
Die Übersetzungen
Einige der Feinheiten in der Formulierung Updikes gehen in der deutschen Übersetzung leider verloren. Als Beispiel seien die wunderbaren lautmalerischen Titel der Romanfolgen genannt: Rabbit, Run; Rabbit Redux; Rabbit is Rich; Rabbit at Rest; Rabbit Remembered.
Ebenso verwaschen sich im Deutschen die punktgenau zusammenfassenden und gleichzeitig weiter führenden Schlussworte der einzelnen Fortsetzungen. Der erste Band endet mit dem Verb „Runs“. Im zweiten Teil verlässt Updike seine Leser mit einer Fragestellung: „O.K.?“ Das letzte Wort in Rabbit is Rich lautete dann „His“, und im vierten Teil verabschiedet sich Rabbit mit seiner Kapitulation: „Enough“.
Das Schlusswort des fünften Teils lässt im Gegensatz zu den vier vorhergehenden Abschlüssen die gesamte Geschichte optimistischer in einem versöhnlichen Licht erscheinen. Nelson antwortet auf Annabelles Frage, ob er ihr Brautführer sein wolle, mit „Gladly“.
Wem die Romanserie um Harry Angstrom gefällt, der interessiert sich vielleicht auch für John Updikes letzten Roman Landleben.
Fazit:
Abgesehen einmal davon, dass ich schlicht und einfach nach mehr gierte, als ich den Roman aus der Hand legte, er mir einfach zu kurz war, darf ich Updikes Rabbit-Nachruf nicht nur der Fangemeinde empfehlen. Denn jeder, der sich auf den großartigen Erzählstil des Autors einlässt, wird seine Freude an Rabbit, eine Rückkehr haben. Auch dann, wenn er die vorausgehenden Bände nicht gelesen hat.
Für mich selbst steht nach der Lektüre fest, ich werde in den kommenden Wintermonaten den gesamten Fünferpack noch einmal von vorne lesen. Denn so ist das mit Updike Prosa: Bei jeder Wiederholung erkennt man mehr Details, interpretiert man Einzelheiten doch noch einmal anders und hat man noch mehr Lesespaß als beim Mal zuvor.
Vier Sterne für den fünften Hasen. Wäre der Roman an einigen Stellen detaillierter ausgearbeitet worden, hätte Updike auf jeden Fall voll mit allen fünf möglichen Sternen gepunktet.
John H. Updike: Rabbit, eine Rückkehr
Rowohlt Verlag, 2002
* * * * *
Wenn Du über diese Links bestellst, erhalte ich eine kleine Provision auf Deinen Einkauf (mehr darüber)