Der Abgrund

Der Abgrund
David C. Baldacci, 2003

Mehr als drei­und­drei­ßig Mil­lio­nen Bü­cher konn­te der ame­ri­ka­ni­sche Thril­ler­autor Da­vid Bal­dac­ci in­ner­halb von nur acht Jah­ren in über acht­zig Län­dern der Welt ab­set­zen. In sei­nem vor­letz­ten Ro­man, Der Abgrund, der im Ori­gi­nal vor zwei Jah­ren un­ter dem Ti­tel Last Man Stan­ding ver­öf­fent­licht wur­de, schreibt Bal­dac­ci über den FBI-Agen­ten Web Lon­don. Der ist Mit­glied einer Spe­zial­ein­heit, das als ein­zi­ger Über­le­ben­der sei­nes Teams die Hin­ter­grün­de eines bi­zar­ren Hin­ter­halts durch­leuch­tet, der sei­ne Kol­le­gen das Le­ben kos­te­te.

Was mag Da­vid Bal­dac­cis Thril­ler aus­zeich­nen, die sich ganz of­fen­sicht­lich so über­durch­schnitt­lich gut ver­kau­fen? – In posi­ti­ver Hin­sicht fällt zu­nächst auf, dass der Autor an­läss­lich sei­ner Ge­schich­te weit rei­chen­des Quel­len­stu­dium be­trie­ben zu ha­ben scheint. Denn das Hos­ta­ge Res­cue Team, die Spe­zial­ein­heit des FBI, für die der Pro­ta­go­nist ar­bei­tet, ist real. Die hin­ter ihr ste­hen­de Or­ga­ni­sa­tion wird zu­min­dest plau­si­bel dar­ge­stellt. Auch wenn für In­si­der die Be­richt­er­stat­tung schein­bar nicht nach­voll­zieh­bar ist.

Darüber hin­aus las­sen die im Abspann auf­geführ­ten Dank­sagun­gen ver­mu­ten, dass sich Bal­dacci auch mit ande­ren rea­len Details und Hin­ter­grün­den sei­ner Roman­ge­schich­te aus­ein­ander­ge­setzt hat.

Der Abgrund – Bewertung

Die genann­ten Quel­len ver­lei­hen also der Hand­lung eine gewisse Authen­tizi­tät. Ohne diese wäre der Roman kaum zu ver­kraf­ten. Denn das Kon­strukt aus Action, his­tori­schen Fak­ten, Sozial­psy­cho­lo­gie und erfun­de­nen Per­sön­lich­keits­bil­dern und -stö­run­gen, das der Autor zusam­men­gebos­selt hat, grenzt hart an Para­noia. Held und Neben­dar­stel­ler sind alle­samt Fälle für den Psy­chia­ter. Und ein sol­cher kommt dann ganz fol­gerich­tig nicht nur am Rande vor, son­dern spielt eine tra­gen­de Rolle in der Ge­schich­te.
Lei­der aber wischt Bal­dacci bei der Psy­cho­ana­lyse der Cha­rak­tere stets nur über die Ober­flä­che. Dabei blei­ben Nach­voll­zieh­bar­keit und Glaub­wür­dig­keit auf der Stre­cke.

Dieses Manko ist einem grund­sätz­li­chen Kon­flikt in der Anlage der Ge­schich­te zuzu­schrei­ben. Denn zum einen bemüht sich Bal­dacci, dem Plot durch Ein­fü­gen psy­cho­logi­scher Ele­mente und his­to­risch realer Trau­mata Echt­heit zu ver­lei­hen. Doch auf der ande­ren Seite wid­met er sich mit einer gera­dezu puber­tä­ren Begeis­te­rung der Schil­de­rung von Gewalt- und Kampf­sze­nen. Für den Leser ent­steht so eine Kluft, die der Autor nicht zu über­brü­cken ver­mag.

Der Abgrund – Ein Groschenroman?

Damit habe ich auch mei­nen haupt­säch­li­chen Kri­tik­punkt am bespro­che­nen Roman erreicht. Bal­dac­cis Schil­derun­gen sind über weite Stre­cken der­ar­tig ein­fäl­tig abge­fasst, dass man sich beim Le­sen des Ein­drucks nicht erweh­ren kann, sie müss­ten aus Gro­schen­roma­nen abge­schrie­ben sein. Allein schon der Name des Pro­tago­nis­ten, Web Lon­don, wird gebets­müh­len­ar­tig wie eine Pri­mär­qua­lifi­ka­tion für Elite­kämp­fer wie­der­holt. So müs­sen Hel­den hei­ßen! Irgendwo im Roman fragt sich sogar dieser Web selbst, wie er zu sei­nem Namen gekom­men sein mochte. Eine Ant­wort fehlt aller­dings.

Darü­ber hin­aus klebt Bal­dacci mit einer kin­di­schen Liebe an waf­fen­tech­ni­schen Ein­zel­hei­ten und auto­mobi­lem Potenz­geba­ren. Man fragt sich unwill­kür­lich nach dem Alter des Autors. Immer­hin ist der Mann über vier­zig, schreibt aber über seine mensch­li­chen Kampf­maschi­nen, als ob er der Puber­tät noch nicht ent­wach­sen sei. So erfah­ren wir bei­spiels­weise, dass es zu den Tugen­den von Spe­zial­agen­ten die Fähig­keit gehört, stun­den­lang klag­los im kal­ten Schlamm zu lie­gen und sich dabei von Schlan­gen über­krie­chen zu las­sen. Außer­dem müs­sen sie laut­los in Kon­ser­ven­do­sen pin­keln kön­nen. Und wenn der Held wie­der ein­mal einen Geg­ner liqui­diert, heißt es, als ob es sich um ein Ten­nis- oder Fuß­ball­spiel han­delte: „Profi eins, Ama­teur tot.“

Solche For­mulie­run­gen mag die Leser­schaft ein­fach nur als ärger­lich emp­fin­den, ich halte sie für nichts ande­res als pein­lich.

Wie es von Beginn der Lek­türe an nicht anders zu erwar­ten war, endet die Ge­schich­te schließ­lich mit dem tota­len mili­täri­schen Tri­umph von Web Lon­don, einem Happy End auf der gan­zen Linie, sowie (oh Schreck!) mit einem offe­nen Ende im per­sön­li­chen Bereich des Hel­den.

Fazit:

Man muss wirk­lich nicht alles lesen. Vor allen Dingen kann man sich Romane erspa­ren, die so offen­sicht­lich in ers­ter Linie auf ihre Adap­tier­bar­keit durch den Film ange­legt sind. Die mit Waf­fen­klir­ren und pseu­dohe­roi­schem Macho­gehabe dem Leser zuset­zen und dabei nach der Lek­türe den her­ben Nach­ge­schmack abso­lu­ter Bedeu­tungs­losig­keit hin­ter­las­sen. Dass Der Abgrund zumin­dest noch einen von fünf mög­li­chen Ster­nen bekommt, ver­dankt der Autor ledig­lich mei­nem Ein­druck, der Roman könne dank sei­ner durch­aus vor­han­de­nen Span­nung wenigs­tens zum Über­brü­cken schlaf­lo­ser Nacht­stun­den oder quä­len­der War­temi­nu­ten in Zahn­arzt­pra­xen die­nen.

Wie Bal­dacci per­sön­lich in sei­nem Dis­kus­sions­fo­rum ankün­digt, ist eine Fort­set­zung des Romans bereits geplant. Auf deren Rezen­sion wird man an die­ser Stelle jedoch sicher ver­zich­ten müs­sen.

David C. Baldacci: Der Abgrund
Bastei Lübbe Verlag, 2003

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