Knochenarbeit

Knochenarbeit
Kathy Reichs, 2001

Dr. Kath­leen Reichs ar­bei­tet als fo­ren­si­sche An­thro­po­lo­gin im US-Bun­des­staat North Ca­ro­li­na und in der ka­na­di­schen Pro­vinz Que­bec. Außer­dem schreibt Ka­thy Kri­mis, in de­nen Sie ihr Al­ter Ego un­ter dem Na­men Tem­pe­ren­ce Bren­nan bei der Auf­klä­rung von Mord­fäl­len auf­tre­ten lässt. Hier und heu­te: Knochenarbeit.

Zum Hin­ter­grund: Auf dem Ge­biet der fo­ren­si­schen An­thro­po­lo­gie, al­so der wis­sen­schaft­li­chen Be­gut­ach­tung von mensch­li­chen Lei­chen­res­ten, haupt­säch­lich Ske­let­ten zum Zweck der Be­stim­mung der Iden­ti­tät und der To­des­um­stän­de, hat die Auto­rin in­ter­na­tio­na­les Re­nom­mee er­wor­ben. Sie war schon im Auf­trag der UN in Ruan­da. Sie half auch bei der Iden­ti­fi­zie­rung von Per­so­nen aus gua­te­mal­te­ki­schen Mas­sen­grä­bern. Und sie ar­bei­te­te nach dem 11. Sep­tem­ber in New York auf Ground Ze­ro. Ih­re Um­set­zung der be­ruf­li­chen Er­fah­run­gen in einer mitt­ler­wei­le fünf Ro­ma­ne um­fas­sen­den Se­rie um Tem­pe Bren­nan hat Ka­thy Reichs zu einer der be­kann­tes­ten Schrift­stel­le­rin­nen in den USA ge­macht. Sie tritt in Fern­seh­shows auf und ver­an­stal­tet re­gel­mä­ßig Ver­kaufs­tou­ren im ge­sam­ten Bun­des­ge­biet.

Knochenarbeit, im Ori­gi­nal 1999 er­schie­nen un­ter dem Ti­tel Death du Jour, ist das zwei­te Buch der Rei­he.

Tatsäch­lich ist der Ein­blick bemer­kens­wert, den der Leser in die Arbeit foren­si­scher Anthro­po­lo­gen erhält. Denn man kann davon aus­ge­hen, dass Reichs nicht fabu­liert, wenn sie von ihrer Tätig­keit erzählt. Zwei­fel­los sind diese Sze­nen die High­lights des Buches. Auch wenn den in Sachen Tod und Ver­we­sung wenig ver­sier­ten Leser ab und zu der Gru­sel packt, wenn Tempe Bren­nan in ver­kohl­ten Kada­vern popelt oder grau­sige Todes­um­stände rekon­stru­iert.
Auch die Exhu­mie­rung und Unter­su­chung des Ske­letts einer Nonne, das anläss­lich ihrer bevor ste­hen­den Selig­spre­chung iden­tifi­ziert wer­den soll, lesen sich inte­res­sant. Zur Seite legen möchte man also das Buch an sol­chen Stel­len gewiss nicht.

Knochenarbeit – Bewertung

Leider aber gelingt es der Auto­rin nicht, die Span­nung auch über die Rah­men­hand­lung ihres Romans aus­zudeh­nen. Schrieb Der Spiegel noch über den Vor­gän­ger: „Neben dem intel­ligen­ten, gut kons­truier­ten Plot hat Kathy Reichs mit ihrer Hel­din eine sowohl sym­pathi­sche als auch eigen­sin­nige Figur geschaf­fen“, so lässt sich die­ses Lob für den zwei­ten Teil nicht wie­der­holen.

Die Nonnen­unter­su­chung erweist sich als Paral­lel­ge­schich­te, die mit der eigent­li­chen Hand­lung nichts zu tun hat. Diese besteht näm­lich aus dem Auf­fin­den ver­schie­de­ner Lei­chen an ver­schie­de­nen Orten in Kanada und den USA. Im Laufe der Ermitt­lun­gen gelingt es Tempe Bren­nan, dabei Paral­lelen zwi­schen den Fäl­len auf­zude­cken und so die kri­minal­poli­zei­li­chen Schri­tte in die rich­tige Rich­tung zu len­ken. Am Ende steckt hin­ter den Mor­den eine obs­kure Sekte mit einer „neuen Ord­nung“, die den Über­gang in die bes­sere Welt plante. Abtrün­nige oder unwil­lige Mit­glie­der wur­den des­halb auf grau­same Weise ins Jen­seits beför­dert. Zuletzt soll eine „kos­mi­sche Quote“ durch Mas­sen­selbst­mord erreicht wer­den.

Knochenarbeit – Unglaubwürdigkeiten

Unglaub­würdig wirkt zu­nächst das zufäl­lige Auf­tau­chen immer neuer Lei­chen aus­gerech­net an den Orten, an denen sich die Hel­din des Romans jeweils gerade auf­hält. Wäh­rend des Lesens hatte ich mehr­mals das Gefühl, als schriebe sich Kathy Reichs die inhä­rente Lan­ge­weile ihrer Arbeit vom Leibe. Ihr Alter Ego lässt sie jeden­falls von einem mar­tia­li­schen Todes­fall zum nächs­ten tau­meln.

Den Gip­fel der Unglaub­wür­dig­keit erreicht schließ­lich die Hand­lung kurz vor Schluss. Alle nur erdenk­li­chen Katas­tro­phen tref­fen zusam­men. Tempe Bren­nan gerät gar in Gefan­gen­schaft der Sekte. Den­noch gelingt es ihr, nicht nur sich selbst, son­dern darü­ber hin­aus auch noch ihre Schwes­ter (zufäl­lig eben­falls ein Sek­ten­opfer) zu ret­ten, obwohl doch ihr Poli­zei­part­ner zuvor ange­schos­sen im Schnee­sturm zu ver­en­den droht.

Die Auf­lö­sung der Hin­ter­gründe nach dem Show­down besteht lei­der in einem will­kür­lich wir­ken­den, kons­tru­ier­ten Ver­such, unter allen Umstän­den die vie­len losen Enden, die die Auto­rin wäh­rend der Hand­lun­gen hatte lie­gen las­sen, doch noch zusam­men zu knüp­fen. Würde das Buch ver­filmt, mehr als ein C-Movie käme sicher nicht her­aus.

Noch nicht ein­mal die klei­nen Ge­schich­ten in der Ge­schich­te schaf­fen es, den Roman amü­san­ter und inte­res­san­ter zu machen. Alles ist so vor­her­seh­bar. Die Hel­din Tempe macht etwa kei­nen Hehl aus Ihrer Abnei­gung gegen den gut aus­sehen­den Poli­zis­ten Ryan, der ihr im Buch zur Seite steht. Und trotz­dem ahnt der Leser sofort: Stimmt nicht, das gibt noch ein Happy End! – Tat­säch­lich tritt die­ses schließ­lich ein, so uner­bitt­lich wie das Amen in der Kir­che.

Knochenarbeit – Sprachliche Plattitüden

Über der­ar­tige Unaus­weich­lich­kei­ten hin­aus schafft es die Auto­rin, durch die Art Ihrer For­mulie­run­gen Unwil­len in der Leser­schaft zu erzeu­gen. Denn ob nun die Rede von Ryans Augen ist, die „blau wie eine Win­dows-95-Ober­flä­che“ sind, oder die „Bügel­fal­ten sei­nes Part­ners so scharf [waren], dass man damit Dia­man­ten hätte schnei­den kön­nen“. Ob der Tanz­part­ner der Schwes­ter aus­sieht, „als bräuchte er ein Beat­mungs­ge­rät“. Oder ob Tempe nach einem sexu­el­len Tech­tel­mech­tel am nächs­ten Tag vor­sichts­hal­ber Unter­wä­sche trägt, um nicht erneut in Gefahr zu gera­ten, ver­führt zu wer­den; man kommt kaum umhin, sich ange­sichts sol­cher Text­stel­len die Haare zu rau­fen.

Für einen abso­lu­ten Ver­riss des Romans aber reicht die Bana­li­tät von Hand­lung und Schreibe dann doch nicht. Es fin­den sich immer wie­der Per­len im Text, die zum Wei­ter­le­sen ani­mie­ren.
Ich komme noch­mals darauf zurück: Reichs ist wirklich am besten, wenn sie über ihr Hand­werk schreibt. Dabei erfährt man erstaun­li­che Details über Mög­lich­kei­ten zur Bestim­mung der post­mor­ta­len Liege­zeit einer Lei­che, Inte­res­san­tes zu Geschlecht, Alter und Rasse eines Ske­letts und vor allen Din­gen ziem­lich gute Beschrei­bun­gen zu den Arbeits­abläu­fen der fo­ren­si­schen Anthro­polo­gie.

Fazit:

Als Krimi taugt Knochenarbeit lei­der nicht viel. Aber um Schul­abgän­ger für den Beruf des foren­si­schen Anthro­polo­gen zu begeis­tern, ist das Buch die best­mög­li­che aller Wer­bebro­schü­ren. Das ist mir immer­hin noch zwei von fünf mög­li­chen Ster­nen wert.

Kathy Reichs: Knochenarbeit
Goldmann Verlag, 2001

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