Dr. Kathleen Reichs arbeitet als forensische Anthropologin im US-Bundesstaat North Carolina und in der kanadischen Provinz Quebec. Außerdem schreibt Kathy Krimis, in denen Sie ihr Alter Ego unter dem Namen Temperence Brennan bei der Aufklärung von Mordfällen auftreten lässt. Hier und heute: Knochenarbeit.
Zum Hintergrund: Auf dem Gebiet der forensischen Anthropologie, also der wissenschaftlichen Begutachtung von menschlichen Leichenresten, hauptsächlich Skeletten zum Zweck der Bestimmung der Identität und der Todesumstände, hat die Autorin internationales Renommee erworben. Sie war schon im Auftrag der UN in Ruanda. Sie half auch bei der Identifizierung von Personen aus guatemaltekischen Massengräbern. Und sie arbeitete nach dem 11. September in New York auf Ground Zero. Ihre Umsetzung der beruflichen Erfahrungen in einer mittlerweile fünf Romane umfassenden Serie um Tempe Brennan hat Kathy Reichs zu einer der bekanntesten Schriftstellerinnen in den USA gemacht. Sie tritt in Fernsehshows auf und veranstaltet regelmäßig Verkaufstouren im gesamten Bundesgebiet.
Knochenarbeit, im Original 1999 erschienen unter dem Titel Death du Jour, ist das zweite Buch der Reihe.
Tatsächlich ist der Einblick bemerkenswert, den der Leser in die Arbeit forensischer Anthropologen erhält. Denn man kann davon ausgehen, dass Reichs nicht fabuliert, wenn sie von ihrer Tätigkeit erzählt. Zweifellos sind diese Szenen die Highlights des Buches. Auch wenn den in Sachen Tod und Verwesung wenig versierten Leser ab und zu der Grusel packt, wenn Tempe Brennan in verkohlten Kadavern popelt oder grausige Todesumstände rekonstruiert.
Auch die Exhumierung und Untersuchung des Skeletts einer Nonne, das anlässlich ihrer bevor stehenden Seligsprechung identifiziert werden soll, lesen sich interessant. Zur Seite legen möchte man also das Buch an solchen Stellen gewiss nicht.
Bewertung
Leider aber gelingt es der Autorin nicht, die Spannung auch über die Rahmenhandlung ihres Romans auszudehnen. Schrieb Der Spiegel noch über den Vorgänger: „Neben dem intelligenten, gut konstruierten Plot hat Kathy Reichs mit ihrer Heldin eine sowohl sympathische als auch eigensinnige Figur geschaffen“, so lässt sich dieses Lob für den zweiten Teil nicht wiederholen.
Die Nonnenuntersuchung erweist sich als Parallelgeschichte, die mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun hat. Diese besteht nämlich aus dem Auffinden verschiedener Leichen an verschiedenen Orten in Kanada und den USA. Im Laufe der Ermittlungen gelingt es Tempe Brennan, dabei Parallelen zwischen den Fällen aufzudecken und so die kriminalpolizeilichen Schritte in die richtige Richtung zu lenken. Am Ende steckt hinter den Morden eine obskure Sekte mit einer „neuen Ordnung“, die den Übergang in die bessere Welt plante. Abtrünnige oder unwillige Mitglieder wurden deshalb auf grausame Weise ins Jenseits befördert. Zuletzt soll eine „kosmische Quote“ durch Massenselbstmord erreicht werden.
Unglaubwürdigkeiten
Unglaubwürdig wirkt zunächst das zufällige Auftauchen immer neuer Leichen ausgerechnet an den Orten, an denen sich die Heldin des Romans jeweils gerade aufhält. Während des Lesens hatte ich mehrmals das Gefühl, als schriebe sich Kathy Reichs die inhärente Langeweile ihrer Arbeit vom Leibe. Ihr Alter Ego lässt sie jedenfalls von einem martialischen Todesfall zum nächsten taumeln.
Den Gipfel der Unglaubwürdigkeit erreicht schließlich die Handlung kurz vor Schluss. Alle nur erdenklichen Katastrophen treffen zusammen. Tempe Brennan gerät gar in Gefangenschaft der Sekte. Dennoch gelingt es ihr, nicht nur sich selbst, sondern darüber hinaus auch noch ihre Schwester (zufällig ebenfalls ein Sektenopfer) zu retten, obwohl doch ihr Polizeipartner zuvor angeschossen im Schneesturm zu verenden droht.
Die Auflösung der Hintergründe nach dem Showdown besteht leider in einem willkürlich wirkenden, konstruierten Versuch, unter allen Umständen die vielen losen Enden, die die Autorin während der Handlungen hatte liegen lassen, doch noch zusammen zu knüpfen. Würde das Buch verfilmt, mehr als ein C-Movie käme sicher nicht heraus.
Noch nicht einmal die kleinen Geschichten in der Geschichte schaffen es, den Roman amüsanter und interessanter zu machen. Alles ist so vorhersehbar. Die Heldin Tempe macht etwa keinen Hehl aus Ihrer Abneigung gegen den gut aussehenden Polizisten Ryan, der ihr im Buch zur Seite steht. Und trotzdem ahnt der Leser sofort: Stimmt nicht, das gibt noch ein Happy End! – Tatsächlich tritt dieses schließlich ein, so unerbittlich wie das Amen in der Kirche.
Sprachliche Plattitüden
Über derartige Unausweichlichkeiten hinaus schafft es die Autorin, durch die Art Ihrer Formulierungen Unwillen in der Leserschaft zu erzeugen. Denn ob nun die Rede von Ryans Augen ist, die „blau wie eine Windows-95-Oberfläche“ sind, oder die „Bügelfalten seines Partners so scharf [waren], dass man damit Diamanten hätte schneiden können“. Ob der Tanzpartner der Schwester aussieht, „als bräuchte er ein Beatmungsgerät“. Oder ob Tempe nach einem sexuellen Techtelmechtel am nächsten Tag vorsichtshalber Unterwäsche trägt, um nicht erneut in Gefahr zu geraten, verführt zu werden; man kommt kaum umhin, sich angesichts solcher Textstellen die Haare zu raufen.
Für einen absoluten Verriss des Romans aber reicht die Banalität von Handlung und Schreibe dann doch nicht. Es finden sich immer wieder Perlen im Text, die zum Weiterlesen animieren.
Ich komme nochmals darauf zurück: Reichs ist wirklich am besten, wenn sie über ihr Handwerk schreibt. Dabei erfährt man erstaunliche Details über Möglichkeiten zur Bestimmung der postmortalen Liegezeit einer Leiche, Interessantes zu Geschlecht, Alter und Rasse eines Skeletts und vor allen Dingen ziemlich gute Beschreibungen zu den Arbeitsabläufen der forensischen Anthropologie.
Fazit:
Als Krimi taugt Knochenarbeit leider nicht viel. Aber um Schulabgänger für den Beruf des forensischen Anthropologen zu begeistern, ist das Buch die bestmögliche aller Werbebroschüren. Das ist mir immerhin noch zwei von fünf möglichen Sternen wert.
Kathy Reichs: Knochenarbeit
Goldmann Verlag, 2001
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