
Du-weißt-schon-wer hat nach zweijähriger Wartezeit den fünften Band ihrer Serie um den Zaubererlehrling Harry Potter veröffentlicht, Harry Potter und der Orden des Phönix. Mit 766 Seiten ist der neuste Teil dicker denn je, die deutsche Ausgabe, die für den 8. November angekündigt ist, soll sich über tausend Seiten erstrecken. Die Originalausgabe wurde in einer Erstauflage von 13 Millionen Stück gedruckt, allein in den USA ging der Roman bereits am Erscheinungstag über fünf Millionen Mal über den Verkaufstresen, der Weg zum meist verkauften Buch aller Zeiten ist beschritten.
Ob die Erzählkunst der Autorin ausreichte, die gespannten Erwartungen der Fangemeinde zu erfüllen? Ob er gut ist, der neue Harry Potter? – Also bitte, Silencio!
Einstieg in die Handlung
Nach dem Showdown im vorausgegangenen Teil, Harry Potter und der Feuerkelch, in dem der Held nur knapp dem erneuten Mordversuch durch seinen erstarkten Gegenspieler Voldemort entgangen war, beginnt der fünfte Teil, wie wir es seit Teil zwei gewohnt sind:
Sommerferien im Ligusterweg, Harry unter der Fuchtel von Onkel und Tante, ödes Vorgeplänkel zum Zauberstart an der Hexenschule Hogwarts. Dass es diesmal jedoch ein wenig anders laufen würde, wird dem Leser recht bald klar.
Was sich im vierten Band bereits andeutete, setzt Rowling im fünften konsequent fort. Harry bleibt nicht der alterslose Held vieler hunderter Fortsetzungsgeschichten. Er entwickelt sich altersgemäß zum pubertierenden, wütenden jungen Mann. Zweifel quälen ihn. Zweifel an der Loyalität seiner Freunde, an der seines Mentors Dumbledore und seines Paten Black. Und nicht zuletzt auch Zweifel an sich selbst.
Nachdem der Leser auf dem besten Wege ist, sich von der üblichen Eingangspassage einlullen zu lassen, geht auf einmal alles sehr schnell. Gerade stellen wir fest, dass Dudley immer noch das dumme Ekelpaket von früher ist. Inzwischen wurde er allerdings unter dem Kampfnamen „Big D“ zum halbstarken Chef einer Rowdybande. Da droht ein abendlicher Streit zwischen den Cousins zu eskalieren. Er wird jedoch durch den Angriff zweier Dementoren – ach, du Schreck, wie kommen die denn in die Muggelwelt? – unterbrochen.
Der Orden des Phönix
Harry gelingt es zwar, das Leben Dudleys zu retten, der bei der Attacke allerdings psychisch Schaden nimmt. Von da an geht es Schlag auf Schlag. Die alte Nachbarin der Dursleys entpuppt sich als Hexe. Harry wird zunächst vom Zaubereiministerium unter Anklage nicht erlaubter Zauberei in Gegenwart von Muggeln gestellt. Doch er entkommt, eskortiert durch eine ganze Schar von Auroren, in das Hauptquartier des Ordens des Phönix. In London, im Haus der Familie Black, trifft er nicht nur seinen Paten wieder, sondern auch seine Freunde, die Weasleys und Hermine.
Dort entlädt sich Harrys ganzer Frust, der sich über die Ferien in ihm aufgestaut hatte. In einigen großbuchstabig gedruckten und dadurch als Gebrüll gekennzeichneten Streitgesprächen holt Potter aus zum Rundumschlag gegen alles und jeden. Im Besonderen gegen sein Ausklammern aus den Geschehnissen der Zaubererwelt, die nun teilweise den Kampf gegen den Dunklen Lord aufgenommen hat.
War es nicht er, Harry, der Voldemort zum zweiten Mal entkommen war? Hatte er nicht Tapferkeit bewiesen? Wieso behandelten ihn dann alle als Außenstehenden, als Kind, ließen ihn bei seiner Muggelfamilie allein?
Harrys Selbstmitleid, sein Misstrauen gegenüber Ron und Hermine mäandern weiter durch den Roman. Als das Schuljahr beginnt und beide Freunde zu Vertrauensschülern ernannt werden, er selbst außen vor bleibt, keimen erneut Wut und Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit der Erwachsenenwelt in ihm. Daneben hadert er mit der vermeintlichen Gleichgültigkeit, mit der ihn Dumbledore zu behandeln scheint.
Pubertierende Zauberlehrlinge
Zu pubertären Zornausbrüchen gesellen sich auch die sonstigen Merkmale des Erwachsenwerdens. Lange hatte die Fangemeinde spekuliert. Wird Harry küssen? Wenn ja, wen? Wen alles? Passiert sonst noch Erotisches?
Es sei verraten, dass Harry Potter im fünften Band seine erste Freundin findet, mit ihr allerdings die zu erwartenden Verständnisprobleme hat: „Frauen!“, ruft er verständnislos nach einem Streit mit der jungen Frau aus.
Aber auch die anderen jugendlichen Zauberer und Hexen entwickeln sich. Ron und Hermine laborieren an Testosteron- und Östrogenschüben, wobei die junge Miss Granger dabei nicht unangenehme Züge von Abenteuerlust entwickelt. Und selbst die kleine Schwester der Weasleys, Ginny, „geht“ nun mit Jungs.
Während eines Besuches in der Vergangenheit – man erinnere sich an das Denkarium aus dem vorangegangenen Band – erleidet Potter den Zusammenbruch seines heilen Familientraumes. Als fünfzehnjähriger Jüngling entpuppt sich sein Vater als dümmlicher Egomane, der grundlos Mitschüler quälte und so gar nicht dem Heldenbild seines Sohnes entsprach. Auch Sirius, der Pate, kommt in der Retrospektive nicht besonders gut weg. Harrys Welt geht gründlich in die Brüche.
Dunkle Parallelen
Dies bezieht sich nicht nur auf das Seelenleben des heranwachsenden Zauberers, sondern auch auf sein vermeintliches Zuhause. Hogwarts gerät in die Mühlen des Zaubereiministeriums. Minister Fudge misstraut dem Schulleiter Dumbledore und installiert eine Aufpasserin, die durch verschiedene Erlässe immer mehr Einfluss gewinnt. Sie entlässt Lehrer, untersagt Harry das Quidditchspiel und zwingt schließlich sogar Dumbledore zur Flucht. Ohnmacht gegenüber staatlicher Autorität ruft erneut Harrys Zorn auf den Plan. Er und seine Freunde opponieren zunächst offen, dann im Geheimen gegen die Großinquisitorin von Hogwarts.
Die treibende Kraft der Erzählung entwickelt sich in einer anfangs nur erahnten, später offensichtlichen Verbindung zwischen Potter und Voldemort. Taten und Gedanken des dunklen Herrschers erlebt Harry in einer Art von Halbträumen. Dadurch gelingt es ihm zunächst, das Leben des Vaters der Weasleys zu retten. Allerdings jagt er danach nicht nur sich selbst, sondern auch eine ganze Schar seiner Freunde in ein finales Abenteuer, das an dramatischer Spannung kaum zu überbieten ist.
Warner Brothers lassen grüßen! Der Disney-Konkurrent hatte 1998 die globalen Rechte an der Marke Harry Potter für einen ungenannten Betrag erworben. Viele der Szenen im neuen Roman lassen den Leser unwillkürlich an die Adaptionsfähigkeit im Genre des Films denken. Vor allen Dingen der Showdown wirkt, als habe die Autorin dabei bereits die Umsetzbarkeit in Filmszenen im Kopf gehabt. Harry mutiert zu Luke Skywalker, Voldemort ist Darth Vader.
Kritische Einordnung
Musste das sein, Frau Rowling? – Bei aller Spannung, die zweifellos im Überfluss vorhanden ist, gefallen mir andere Passagen im Orden des Phönix besser. Wie bereits in allen bisherigen Romanfolgen liegt eine der stärksten Seiten der Erzählung in den Beschreibungen der Geschehnisse an der Schule. Den Weasley-Zwillingen erlaubt Rowling, diesmal richtig Schwung in den Laden zu bringen. Dies lässt uns über die ellenlangen Seiten hinwegsehen, die unsäglich langweiligen Hausaufgaben gewidmet sind. Oder auf denen Hermine wieder einmal ihrem ansonsten ziellosen Projekt zur Befreiung der Hauselfen nachgeht.
Auch muss festgehalten werden, dass Harry Potter offenbar ein Magenproblem hat. Alle Gemütsbewegungen äußern sich stets in wahlweise heißen oder eisigen Klumpen im Leib, der sich dann zusammenzieht oder zu rumoren beginnt. Ich empfehle Harry dringend den Besuch des St. Mungo Hospitals für magische Krankheiten, um einem Geschwür vorzubeugen. Alternativ könnte aber auch Frau Rowling ein Training ihrer kreativen Fähigkeiten belegen.
Beschreibungen sind sicher nicht die Stärke der Autorin. Aber einige ihrer Dialoge sind durchaus lesens- und erinnernswert. Als etwa Harry gefragt wird, wie sein erster Kuss gewesen sei, antwortet er in Fortführung des berühmten Rainman Zitates: „Nass. Weil Sie dabei weinte.“ Darauf antwortet Ron: „Oh, so schlecht küsst du also?“ – Man kann sich das Kichern und Prusten unter Teenagern weltweit vorstellen, das derartige Unterhaltungen nach sich ziehen.
Die Hintergrundhandlungen des Romans bleiben in mancher Hinsicht blass. Zum Beispiel wird nicht so recht klar, worin die Aktivitäten des namensgebenden Ordens des Phönix eigentlich bestehen. Von Missionen ist die Rede, von Bewachung. Worin aber die Missionen bestehen, was alles bewacht wird, ist auch nach dem Schluss unklar.
Ebenso vermisste ich den Anknüpfungspunkt an die Pläne Dumbledores aus dem vierten Teil. Professor Snape sollte Voldemort ausspionieren; dies erwähnt der Lehrer zwar, darin erschöpft sich seine Aktivität jedoch schon. Auch den angekündigten Besuch Hagrids bei den Riesen benutzt Rowling für schaurig filmreife, jedoch leider nicht zielführende Effekte.
Die Moral von der Geschicht‘
Was nun die Moral der Geschichte anbetrifft, muss sich der Leser schon fragen, ob das Geschriebene ernst gemeint sein soll. Beständig wird Harry zum Wahren der Disziplin aufgefordert, mit seinem Geist solle er siegen. Andererseits soll die Tatsache, dass er angesichts des Todes einer ihm sehr nahe stehenden Person Schmerz fühlen kann, seine größte Stärke sein. Schließlich lernt Harry am Ende des Buches, dass das Band des Blutes der stärkste Schild sei. Deshalb habe er während der unterrichtsfreien Zeit stets bei den Dursleys leben müssen.
Derart schwülstige Auswüchse gipfeln in der Prophezeiung, die Potter seit seiner Geburt mit Voldemort verbindet und die einen Grund für die Verfolgung des Helden durch den Dunklen Lord liefert:
„… und einer muss von der Hand des anderen sterben, denn keiner von beiden kann leben, während der andere am Leben bleibt.“
Es kann nur einen geben! Liegt es am schottischen Blut der Autorin, dass man dabei unweigerlich an Sean Connory, Christopher Lambert und den Highlander denken muss?
Überhaupt verdichtet sich der Eindruck beim Lesen der neusten Folge, dass Rowling so einiges zwar nicht gerade abgeschrieben, aber zumindest als Impressionen andernorts geborgt hat. Zur bereits bekannten Parallele zwischen Potter/Voldemort und Skywalker/Vader gesellen sich der Highlander, der Rainman, sowie noch ein paar weitere bekannte Szenen. Wenn etwa die Drachenpferde beschrieben werden, die die Kutschen von Hogwarts ziehen, denkt man rasch an die schwarzen Rösser der Ringgeister aus Tolkiens Herrn der Ringe.
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Hat Dir diese Buchbesprechung gefallen? Dann interessierst Du Dich vielleicht auch für meine Rezensionen zu den anderen sechs Harry-Potter-Romanen? Du findest sie auf meiner Autorenseite über Joanne K. Rowling.
Fazit:
Bei aller Kritik am Orden des Phönix sei hinzugefügt, dass der Roman trotzdem hinuntergeht wie Butter. Spätestens nach der ersten Hälfte sind Leseunterbrechungen nicht nur unerwünscht. Fremdeinwirkung wird schlicht und einfach ignoriert. Das empfundene Lesevergnügen ist verantwortlich dafür, dass Joanne K. Rowlings letztes Werk immerhin drei von fünf möglichen Sternen erhält.
Wir bleiben gespannt drauf, wie die Autorin das Epos aus Blutbanden, Weissagungen, arischen Rein- und muggeligen Schlammblütern in den beiden noch ausstehenden Bänden auflösen wird.
Joanne K. Rowling: Harry Potter and the Order of the Phoenix
| Harry Potter und der Orden des Phönix
🇬🇧 Bloomsbury Publishing, 2003
🇩🇪 Carlsen Verlag, 2003
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