Harry Potter und der Feuerkelch

Joanne K. Rowling, Harry Potter and the Goblet of Fire, 2000
Joanne K. Rowling, 2000

Ten years after: Auf den Tag ge­nau vor zehn Jah­ren be­gann in Groß­bri­tan­nien der Ver­kauf des vier­ten Har­ry-Pot­ter-Ro­mans, Harry Potter und der Feuerkelch. Be­reits am Er­schei­nungs­tag ver­kauf­te sich der Ro­man über 370.000 Mal. Auch ich hat­te mir an die­sem hei­ßen Som­mer­sams­tag kurz nach der Jahr­tau­send­wen­de in al­ler Frü­he die ak­tu­ells­te Fol­ge der row­ling­schen Zau­be­rer­ge­schich­te be­sorgt und fraß mich über das Wo­chen­en­de hin­weg durch die gut 630 Buch­sei­ten. Denn auch mich und mei­ne Kin­der hat­te der Hy­pe um Har­ry Pot­ter, sei­ne Freun­de und sei­ne Fein­de ge­packt; auf die deut­sche Über­set­zung woll­ten wir nicht war­ten. Wie wür­de es wei­ter­ge­hen nach den ver­blüf­fen­den Er­kennt­nis­sen über Har­rys Fa­mi­lien­his­to­rie im drit­ten Band?

Den ers­ten Band hat­te die Auto­rin einer Ein­füh­rung in die Welt der Zau­be­rer ge­wid­met, einer Welt, über die wir ge­wöhn­li­chen, un­ma­gi­schen „Mug­gel“ nur stau­nen konn­ten. Der zwei­te Teil ver­tief­te das The­ma der Ras­sen­theo­rie, al­so die Ein­tei­lung der Men­schen in Zau­ber­kun­di­ge und -un­kun­di­ge. Und im drit­ten Band ver­riet uns Jo­anne Row­ling so eini­ge Ge­heim­nis­se über Her­kunft und Ge­schich­te der Pot­ters und ih­ren Fa­mi­lien­kampf ge­gen den bö­sen Lord Vol­de­mort.

Harry Potter und der Feuerkelch – Worum geht es im vierten Roman?

Nun also ist die Leser­schaft mit allem, was die Welt des Zau­ber­lehr­lings Harry Potter aus­macht, ver­traut. Des­halb kann die Auto­rin das bekannte Ablauf­mus­ter der drei ers­ten Bände getrost vari­ieren und das Pub­li­kum auf das unaus­weich­li­che Grauen des Res­tes der Saga ein­stim­men. Fol­gerich­tig setzt die Ge­schich­te dies­mal nicht wie­der mit einem Som­mer des Schre­ckens ein, den der Held im Ligus­ter­weg bei sei­ner unma­gi­schen Durs­ley-Ver­wandt­schaft ver­brin­gen muss. Viel­mehr machen wir im ers­ten Kapi­tel end­lich per­sön­lich Bekannt­schaft mit dem, „des­sen Name nicht genannt wer­den darf“. Der dunkle Lord Vol­de­mort kehrt zurück in die magi­sche Welt. Zu schwach noch, um sich erneut zu zei­gen; aber doch als der Schre­ckens­herr­scher, der nicht gewillt ist, sich geschla­gen zu geben, auch wenn er vier­zehn Jahre zuvor so über­ra­schend aus­geschal­tet wor­den war.

Die Quidditch-WM

Davon ahnt Jung­zau­be­rer Harry aller­dings noch wenig, auch wenn ihm Nar­ben­schmer­zen auf­zie­hen­des Übel ankün­di­gen. Zunächst ist er näm­lich viel zu sehr damit beschäf­tigt, sich mit sei­nen magi­schen Freun­den, Her­mine Gran­ger und der Weas­ley-Fami­lie, auf ein sport­li­ches Groß­ereig­nis zu freuen. Denn Her­mine und die ganze Weas­ley­bande haben Ein­tritts­kar­ten für das Finale der Quid­ditch-Welt­meis­ter­schaft und besu­chen das 422. End­spiel zwi­schen Irland und Bul­ga­rien. Diese Pas­sage erin­nert schwer an ganz reale bri­ti­sche Erfah­run­gen beim nicht-magi­schen Fuß­ball. Denn in der Vor­aus­schei­dung sind die Eng­län­der

„[…] gegen Trans­sil­va­nien unter­gegan­gen, drei­hun­dert­neun­zig zu zehn“, sagte Char­lie trüb­se­lig. „War grau­sam mit anzu­se­hen. Und Wales hat gegen Uganda ver­lo­ren, und Luxem­burg hat Schott­land abge­schlach­tet.“
(Seite 69)

Soviel sei ver­ra­ten: Das iri­sche Quid­ditch­team besiegt die Ungarn trotz deren her­aus­ragen­den Suchers. Doch die Sie­ges­feier in der fol­gen­den Nacht mün­det in eine Macht­demon­stra­tion der dunk­len Seite der Magie.

Das Trimagische Turnier

Quid­ditch hin, Quid­ditch her; auch das anschlie­ßende Schul­jahr an Hog­warts bie­tet eine außer­gewöhn­li­che sport­li­che Attrak­tion. Die Schule rich­tet eine Art olym­pi­schen Drei­sprung aus, näm­lich das inter­natio­nale Tri­magi­sche Tur­nier.

Das Tri­magi­sche Tur­nier fand erst­mals vor etwa sie­ben­hun­dert Jah­ren statt, als freund­schaft­li­cher Wett­streit zwi­schen den drei größ­ten euro­päi­schen Zau­be­rer­schu­len – Hog­warts, Beaux­ba­tons und Durm­strang. Jede Schule wählte einen Cham­pion aus, der sie ver­trat, und diese drei muss­ten im Wett­be­werb drei magi­sche Auf­ga­ben lösen.
(Seite 197)

Wir ahnen es alle längst: Für die Hog­warts­schule wer­den aus zunächst nicht erklär­li­chen Grün­den zwei Ver­tre­ter aus­ge­lost, näm­lich Cedric Diggory und Harry Pot­ter, auch wenn die­ser sich gar nicht bewor­ben hatte. Wer hätte das gedacht.

Natür­lich kommt es, wie es kom­men muss. Harry laviert sich nicht nur durch sein vier­tes Schul­jahr son­dern auch mit viel Glück und Unter­stüt­zung durch das Tur­nier. Zum Schluss ste­hen Cedric und Harry Seit‘ an Seit‘ vor dem Triumph und …
(Aber das Ende ver­rate ich jetzt nicht. Wer es unbe­dingt wis­sen mag, der lese eben den hier ver­deck­ten Spoi­ler.)

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Harry und Cedric errei­chen also zeit­gleich den Pokal des Tri­magi­schen Tur­niers, nach­dem sie zuvor gemein­sam das aller­letzte Hin­der­nis über­win­den konn­ten. Sie beschlie­ßen, den Tur­nier­sieg zu tei­len und grei­fen beide zugleich nach den Hen­keln der Tro­phäe.

Was jedoch als geteil­ter Triumph geplant war, erweist sich als töd­li­che Falle. Der Pokal ist ver­hext und trans­por­tiert die bei­den Schü­ler auf einen fer­nen Fried­hof. Dort war­tet Lord Vol­de­mort mit sei­nen Getreuen. Cedric wird sogleich ermor­det. Und Harry soll anschlie­ßend zur Macht­demons­tra­tion des bösen Schwarz­ma­giers im unglei­chen Duell hin­gerich­tet wer­den. Doch der Todes­fluch Vol­de­morts schei­tert dabei ein zwei­tes Mal. Denn die Zau­ber­stäbe der bei­den Kon­tra­hen­ten ver­bin­den sich und rufen die Geis­ter der letz­ten Opfer Vol­de­morts auf den Plan.

Im fol­gen­den Tumult gelingt es Harry, mit der Lei­che des Schul­freun­des im Schlepp­tau erneut den ver­hex­ten Pokal zu grei­fen und damit zurück nach Hog­warts zu gelan­gen. Zwar ist sein fins­te­rer Gegen­spie­ler wie­der erstarkt. Doch Harry Pot­ter kann erneut ent­kom­men.

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Harry Potter und der Feuerkelch – Zusammenfassung und Einordnung

Der vierte Pot­ter-Roman ist ein Aus­bruch aus dem Struk­tur­ge­rüst der drei Vor­läu­fer. Der bis­her ewig glei­che Jah­res­ab­lauf weicht einer weg­wei­sen­den, wenn auch schreck­li­chen Zukunfts­aus­sicht. Gleich­zei­tig wird aus dem klei­nen Harry unüber­seh­bar ein Heran­wach­sen­der – mit allen Freu­den und Pro­ble­men eines Jugend­li­chen an der Schwelle zur Puber­tät. Und die über­schau­bare Welt der engli­schen Zau­be­rei öff­net sich in inter­natio­nale Wei­ten.

Beauxbaton und Durmstrang

Man muss der Auto­rin Respekt zol­len für ihren gelun­ge­nen Ansatz der Inter­natio­nali­tät. Schon die Namen der bei­den Geschwis­ter­schu­len zau­bern der Leser­schaft ein Grin­sen in die Gesich­ter. Die hoch­näsi­gen „Schön­stäbe“ aus dem fran­zösi­schen Beaux­ba­ton tref­fen auf Ost­euro­päer mit sla­wi­schen Namen aus den eisi­gen Gefil­den von Durm­strang, das man durch­aus als Ver­ball­hor­nung des deut­schen Begriffs „Sturm und Drang“ lesen kann.

In den späte­ren Roman­fol­gen wer­den wir schließ­lich auf die von Row­ling skiz­zier­ten Paral­le­len zwi­schen ras­sis­ti­schen Schwarz­ma­giern und der Nazi­herr­schaft sto­ßen, siehe etwa im Orden des Phö­nix.

Rückkehr des dunklen Lords

Das für die wei­tere Ent­wick­lung der Ge­schich­te wich­tigste Hand­lungs­ele­ment stellt natür­lich die Rück­kehr Vol­de­morts in seine schau­erli­­che Gestalt dar. Die Klam­me­rung durch das erste Buch­kapi­tel und das dritt­letzte mit dem Titel Priori Incan­ta­tem, stellt das zen­trale Ereig­nis dar, das die Gescheh­nisse der drei fol­gen­den Bände ankün­digt.

Der Feuerkelch ist im Sinne einer klas­si­schen Plot­vor­lage also der Höhe­punkt der gesam­ten Ge­schich­te. Nach Expo­si­tion und auf­stei­gen­der Hand­lung in den drei ers­ten Tei­len errei­chen wir im vier­ten Band den Wen­de­punkt, auf des­sen Basis die abfal­len­de Hand­lung und die Auf­lö­sung in den drei Fol­gero­ma­nen auf­bauen.

Harry Potter und der Feuerkelch – Zauber- und Grauenhaftes

Nach den über hun­dert Zau­ber­sprü­chen und -objek­ten, die wir schon in den Vor­gän­ger­bän­den ken­nen­ge­lernt haben, führt Frau Row­ling zwei wei­tere magi­sche Kon­zepte ein. Bis­lang reis­ten Zau­be­rer ent­we­der auf Besen oder mit Hilfe von Floh­pul­ver von einem Kamin zum ande­ren. Fort­geschrit­tene beherrsch­ten das Appa­rie­ren, also das Auf­lö­sen am Start­ort und das Erschei­nen wie aus dem Nichts am Ziel­ort. Und für weni­ger Ver­sier­te gab es da noch den Fah­ren­den Rit­ter, eine Art Nacht­bus-on-demand für gestran­dete Zau­be­rer.
Nun kommt noch der Orts­wech­sel mit Hilfe von soge­nann­ten Port­schlüs­seln hinzu. Dies sind ver­hexte All­tags­gegen­stände, die jeden, der sie berührt, in Sekun­den­schnelle an einen zuvor fest­geleg­ten Lan­de­punkt zer­ren – „Beam me up, Scotty!“

Einen solchen Port­schlüs­sel braucht die Auto­rin, um Harry nach dem Tri­magi­schen Tur­nier in die Hände seines Gegen­spie­lers und danach wie­der zurück nach Hog­warts zu beför­dern. Noch wich­ti­ger als Port­schlüs­sel aber sind Den­ka­rien. Dabei han­delt es sich um Auf­bewah­rungs­schüs­seln für Erinne­run­gen, also eine Art Tup­per­do­sen für 3D-Erleb­nis­vi­deos in der Zau­berer­welt. Frau Row­ling ver­wen­det sol­che Den­ka­rien infla­tio­när in den Bän­den fünf bis sie­ben, um der Leser­schaft längst ver­gan­gene Ereig­nisse rasch, plas­tisch und mit einem Anstrich von Objek­tivi­tät zu erklä­ren.

Magische Paparazzi

Bis­lang wurde die Hand­lung der row­ling­schen Ge­schich­te von einer kla­ren Bipo­lari­tät getra­gen: Harry Pot­ter vs. Vol­de­mort, zau­ber­hafte Phi­lan­tro­pen vs. Schwarz­ma­gier, Gryf­fin­dor vs. Sly­the­rin. Im vor­lie­gen­den Band erwei­tert die Auto­rin diese klare Front und fügt den Kon­fron­tatio­nen eine gehäs­sige Gueril­lakom­po­nente hinzu. In unse­rer freud­losen Mug­gel­welt ope­rie­ren Bou­levard­repor­ter mit Agen­ten­metho­den, Tele­objek­ti­ven und Wan­zen, um an Mate­rial für die Regen­bogen­presse zu kom­men.

In der magi­schen Welt ste­hen den Papa­razzi noch ganz andere Mög­lich­kei­ten offen. Da bekommt das Wort „Wanze“ gleich eine ganz andere Bedeu­tung. Als Per­soni­fizie­rung der rück­sichts­lo­sen Sen­sations­schrei­ber­linge sorgt von nun an die ver­abscheu­ungs­wür­dige Rita Kimm­korn dafür, dass sich für Harry und die Sei­nen noch ein weite­rer, nur schwer zu ver­tei­digen­der Kriegs­schau­platz auf­tut.

Harry Potter und der Feuerkelch – Erfolgsrezept

Bei mei­nem letz­ten Lese­durch­gang ist es mir ganz beson­ders auf­gefal­len: Frau Row­ling peitscht ihre Leser­schaft gera­dezu durch die Roman­hand­lung. Da fin­det sich nir­gends auch nur der Hauch eines über­flüs­si­gen Satz­teils, kein Wort zuviel. Sogar das Spit­zen­spiel der Quid­ditch-WM packt sie in gerade mal elf Buch­seiten. (Wofür man der Auto­rin dank­bar sein muss. Denn die Quid­ditch-Pas­sa­gen der ers­ten drei Romane hat­ten die Sport­begeis­te­rung der Lese­r¦in­nen bis an die Gren­zen aus­ge­reizt.)

Dieser kom­pri­mierte Schreib­stil hat zwei Aus­wir­kun­gen: Zum Einen gelingt es der Auto­rin, eine unge­heure Fülle von Ereig­nis­sen in die 630 🇬🇧 bezie­hungs­weise 750 🇩🇪 Text­sei­ten zu packen. Und zum Zwei­ten sorgt sie damit dafür, dass die Leser­schaft das Buch kaum mehr zur Seite legen will. Der Sucht­fak­tor ist enorm.

Da verzeiht man Frau Row­ling schon mal eine ihrer Schreib­schwä­chen. Gemüts­ver­fas­sun­gen der han­deln­den Per­so­nen in ihre Texte ein­flie­ßen zu las­sen, ist nicht ihr Ding. Denn wann immer Harry mit psy­chisch Belas­ten­dem kon­fron­tiert wird, lei­det er sogleich unter schrump­fen­den Ein­gewei­den, die sich womög­lich mit Blei fül­len oder durch herab­fal­lende Gewichte zer­quetscht wer­den.

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Hat Dir diese Buch­bespre­chung gefal­len? Dann inte­res­sierst Du Dich viel­leicht auch für meine Rezen­sio­nen zu den anderen sechs Harry-Potter-Romanen? Du findest sie auf meiner Autorenseite über Joanne K. Rowling.

Fazit:

Mit Harry Potter und der Feuerkelch hat Joanne K. Row­ling einen über­raschen­den, umfang- und inhalts­rei­chen vier­ten Roman­band ihrer Serie über den Jung­zau­be­rer mit Ver­gan­gen­heit abge­lie­fert. Struk­turell bleibt sie ihrem ange­kün­dig­ten Kon­zept treu, nach wel­chem die Serie mit dem sieb­ten Band enden soll. Und sie öff­net die zuvor in sich geschlos­sene Ge­schich­te für alle mög­li­chen zukünf­tigen Wen­dun­gen.

Aus meiner Sicht ist das ein sehr gelun­ge­ner Über­gangs­roman. Wegen der unge­heu­ren Per­sonal­dich­te der Vor­gän­ger­bände eig­net sich der Feuerkelch aller­dings nicht als Ein­stiegs­lek­türe in den Pot­ter-Zyklus, obwohl tat­säch­lich ein neues Kapi­tel auf­geschla­gen wird. Wegen eini­ger for­ma­ler Schwä­chen gibt es Punk­teab­zug, so dass Harry Pot­ters Feuer­kelch knapp an den vier Ster­nen vor­bei­schrammt. Sehr gute drei der fünf mög­li­chen Sterne bekommt er jedoch alle­mal.

Joanne K. Rowling: Harry Potter and the Goblet of Fire
| Harry Potter und der Feuerkelch
🇬🇧 Bloomsbury Publishing, 2000
🇩🇪 Carlsen Verlag, 2000

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