Die Schwedische Akademie gab heute Mittag bekannt: Der Nobelpreis für Literatur geht mit einer Dotierung von knapp einer Million Euro in diesem Jahr an die Südkoreanerin Han Kang (53). Das Komitee begründete seine Wahl mit der „intensiven poetischen Prosa, die sich mit historischen Traumata auseinandersetzt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens aufzeigt“. Frau Han ist die 121. Preisträger¦in, die 18. Frau unter allen Erstplatzierten und schließlich der/die erste Träger¦in des Preises in Korea.
Grattis, fru Han!
Im Jahr 2023 war die Auszeichnung an den Norweger Jon Fosse und im Jahr davor an die Französin Annie Ernaux verliehen worden.
Über die Nobelpreisträgerin 2024
Han Kang wurde 1970 in der südkoreanischen Provinzhauptstadt Gwangju, gut dreihundert Kilometer südlich von Seoul, als Tochter eines Schriftstellers geboren. In Seoul wuchs Frau Han auf und studierte dort das Fach Koreanische Literatur. Ihren ersten literarischen Preis erhielt die junge Schriftstellerin im Alter von 24 Jahren von der Hauptstadtzeitung Seoul Shinmun. Es folgten weitere koreanische Auszeichnungen und schließlich im Jahr 2016 den Man Booker International Prize für ihren Romanerstling Die Vegetarierin, die Geschichte einer Verweigerung. Darin geht es um eine koreanische Hausfrau, die beschließt, sich ausschließlich vegetarisch zu ernähren. Sie verweigert sich zunächst ihrem Eheman, dann ihrer Familie und entschwindet schließlich in einer Art Selbstauslöschung.
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Woanders kommentiert:
- Literaturnobelpreis 2024 für Han Kang, Deutschlandfunk Kultur, 10.10.2024
„Beobachter hatten bereits vor der Bekanntgabe mit einer Preisträgerin gerechnet. Auch war spekuliert worden, dass der Preisträger nach 2023 und 2022 wahrscheinlich nicht weiß sein werde. Die Schwedische Akademie hatte vor Längerem angekündigt, bei ihrer Auswahl diverser werden zu wollen.“ - Wie in großen persönlichen Dramen große politische anklingen, FAZ NET, 10.10.2024
„Das ist nach den beiden letzten Preiszuteilungen […] eine Abkehr von Hochprominenz. Davor hatte es aber bei den Literaturnobelpreisen zwei große Überraschungen gegeben: die amerikanische Lyrikerin Louise Glück (2020) und den tansanisch-britischen Schriftsteller Abdulrazak Gurnah (2021). Letzterer war in den vergangenen zehn Jahren der einzige Autor, der nicht komplett einer westlichen Literaturtradition entstammt […]. Zuvor hatte als letzter asiatischer Autor 2012 der Chinese Mo Yan den Literaturnobelpreis erhalten, aber immer noch sind Asien und Afrika gemessen am Reichtum ihrer Literaturen unterrepräsentiert im Reigen dieser Auszeichnung. Der diesjährige Preis für Han Kang hilft da wenigstens etwas ab.“ - Zerbrechlich und verspielt – die Literaturnobelpreisträgerin Han Kang ist die Repräsentantin eines selbstbewussten neuen Korea, NZZ, 10.10.2024
„Fast überall mischt Südkorea heute in der populären Weltkultur vorne mit. Nur die Literatur fand bisher trotz vielen originellen Talenten vergleichsweise wenig Berücksichtigung. […] Die 1970 geborene Han Kang gehört einer […] politisch entspannten und weltoffenen Generation von Südkoreanern an. Diese hat es seit der Jahrtausendwende geschafft, das Wirtschaftswunder vom Han-River in einen popkulturellen Aufbruch zu transformieren. […] Gewalt ist ein Thema, das in den Büchern Han Kangs wiederkehrt. […] Sie beschreibe Gewalt, sagte Han Kang einmal, weil sie verstehen wolle, was den Menschen ausmache, aber auch, wo die Grenzen der Verstehbarkeit des menschlichen Handelns lägen. Darüber hinaus gehe es ihr darum zu erkunden, ob und wie wir die Welt, in der Schrecken und Schönheit so hoffnungslos vermengt sind, umarmen könnten.“ - Literaturnobelpreis geht an südkoreanische Autorin Han Kang, SZ, 10.10.2024
„Seit der ersten Preisvergabe im Jahr 1901 wurden insgesamt 120 Literaturnobelpreisträgerinnen und -preisträger benannt. Zu ihnen gehören weltbekannte Literaten wie Ernest Hemingway, Selma Lagerlöf und Jean-Paul Sartre, aber auch Persönlichkeiten wie der frühere britische Premier Winston Churchill und der US-Musiker Bob Dylan, die zunächst nicht unbedingt mit der Weltliteratur in Verbindung gebracht werden. Die letzten deutschen Preisträger waren Herta Müller vor 15 und Günter Grass vor 25 Jahren, der letzte deutschsprachige der Österreicher Peter Handke vor fünf Jahren.“ - All die versehrten Seelen, ZEIT ONLINE, 10.10.2024
„Genau dafür, für so ein leises, eindringliches, niemals von selbst auftrumpfendes literarisches Werk, wurde einstmals der Nobelpreis erfunden. Um mit größtmöglicher Lautstärke und institutioneller Kraft der Welt von der Bedeutung und der Schönheit und der lebensverändernden Kraft einer Autorin zu künden, von der viele Menschen zuvor vielleicht noch gar nichts gehört hatten. […] Han Kangs Thema ist die Gewalt und was von ihr bleibt, in den Seelen der Überlebenden, in der Luft, die wir atmen, den Gespräche, die wir führen, den Schlägen, verbal oder körperlich, die wir austeilen. ‚Es ist wie ein radioaktiver Fallout nach einem Atombombenabwurf‘, sagte Han Kang im Gespräch. ‚Das Gift, der Tod, die Erinnerung, das steckt in allem, in der Natur, in den Menschen, in der Welt von heute liegt es im Verborgenen und strahlt.'“