Meine ganz persönlichen Lesempfehlungen
Auf der Su­che nach Lese­stoff? Hier fin­dest Du Buch­be­spre­chun­gen mit An­spruch aber oh­ne Al­lü­ren. Ich schrei­be meist über bel­le­tris­ti­sche Ti­tel; über sol­che, die mir ge­fal­len oder auch mal nicht ge­fal­len ha­ben; manch­mal Main­stream, manch­mal ab­seits der aus­ge­tre­te­nen Pfa­de. (Per­sön­li­che Emp­feh­lun­gen und ein paar Wor­te zu die­sem Pro­jekt gibt’s ganz un­ten auf die­ser Sei­te.)

22 Bahnen

Caroline Wahl, 22 Bahnen, 2023
Caroline Wahl, 2023

Die Autorin Caroline Wahl ist erst achtundzwanzig Jahre alt und hat mit ihrem Romanerstling 22 Bahnen einen Überraschungstreffer gelandet. Wahl wurde in Mainz geboren, wuchs in der Nähe von Heidelberg auf, hat Deutsche Literatur studiert und lebt seit einem Jahr im rauen Norden in Rostock. Geschrieben hat sie ihre Romangeschichte während eines Arbeitsaufenthaltes in Zürich. Abends nach dem Job setzte sie sich an den Schreibtisch und tippte sich in nur drei Monaten durch den Text. In einem Interview mit dem NDR erklärte Caroline Wahl, ihr Roman sei keineswegs autobiografisch. Distanz zwischen ihrem Werk und der eigenen Vergangenheit sei ihr wichtig gewesen. Inzwischen schreibt sie in Rostock an ihrem zweiten Roman. „Es gibt wenige Sachen, die mich so erfüllen. Ob ich jetzt eine erfolgreiche oder unerfolgreiche Autorin werde, weiß ich nicht. Aber ich werde eine Autorin bleiben und bin darüber sehr glücklich.“

In Wahls Geschichte geht es um den Anspruch auf Selbstbestimmung der beiden Schwestern Tilda und Ida, die bei ihrer alkoholkranken Mutter in einer namenlosen Kleistadt leben. Tilda ist Mathematikstudentin, jobbt nebenbei bei Edeka an der Kasse und kümmert sich um ihre jüngere Schwester. Fast täglich 22 Bahnen im Schwimmbad hat sich die junge Frau selbst auferlegt, weil: „Ich habe einen strikten Zeitplan, in den ein in 3 von 4 Fällen nicht funktionierender Körper einfach nicht reinpasst.“ (Seite 9)
Die einzigen Momente des Tages, die Tilda allein gehören, sind die Augenblicke vor dem Einschlafen. „Wenn ich nachts auf meiner Matratze liege, dann denke ich, dass ich das Ganze da draußen noch lange aushalten kann. […] Gegen meine Mutter, gegen ihre Launen, gegen diese Kleinstadt. Und für Ida.“ (Seite 15)

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Sind wir nicht Menschen

T. C. Boyle, Sind wir nicht Menschen, 2020
T. C. Boyle, 2020

Zwischen seinen beiden Romanen Das Licht und Sprich mit mir veröffentlichte T. C.Boyle den Erzählband Sind wir nicht Menschen. Der Klappentext spricht vom „Meister der American Short Story“ und verspricht: „Böser, witziger und unterhaltsamer denn je.“ Die Sammlung umfasst neunzehn Kurzgeschichten, von denen jede einzelne im Durchschnitt 21 Buchseiten umfasst. Kurze Texthäppchen, die man schon mal zwischendurch verschlingen und eine Weile darüber nachdenken kann, was uns der Autor da mit auf den Weg geben wollte. Denn Boyles Geschichten sind so gut wie nie lediglich schöner Tand, formale Noblessen. Der US-Schriftsteller hat eigentlich immer eine Moral von der Geschicht‘ zur Hand. Und dieser letzte Erzählband beschäftig sich und die Leserschaft mit der Natur, gegen die der Mensch letztlich machtlos ist. Wen wundert’s? Unser Planet, seine Flora und Fauna ist seit Jahren das zentrale Thema T. C. Boyles.

„Den Menschen lieb‘ ich sehr, mehr noch die Natur.“
(Literarisches Motto; von Lord Byron, Ritter Harolds Pilgerfahrt, 1812)

Die Geschichtensammlung ist in dieser Zusammenstellung übrigens nur auf Deutsch erschienen. Die englischen Originale wurden in verschiedenen Medien bereits zwischen den Jahren 2011 und 2017 veröffentlicht. Dieser Umstand erklärt auch, warum nur die neueren Erzählungen von Dirk van Gunsteren ins Deutsche übersetzt wurde, die älteren hingegen von Anette Grube.

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Fleischeslust

T. C. Boyle, Fleischeslust, 2001
T. C. Boyle, 1999

Ich staune ja über das sehr unterschiedliche Arbeitstempo erfolgreicher Schriftsteller. Da ist zum Beispiel Uwe Tellkamp, dieses One-Hit-Wonder der deutschen Literatur in den Nullerjahren. Der braucht zehn und mehr Jahre, um einen einzigen Roman zu veröffentlichen. Andere, wie etwa  T. C. Boyle, hauen über Dekaden hinweg regelmäßig alle zwei Jahre einen Roman raus. Diese werden alle trotz ihrer relativ kurzen Entstehungszeit keinewegs und niemals als Trivialliteratur abgekanzelt. Und zwischendurch veröffentlichen sie auch noch Bände mit Kurzgeschichten, in sich geschlossenen Erzählungen, die alle nur ein paar Seiten lang sind und vermutlich eine Art von Abfallprodukten aus literarischen Ansätzen für nicht romantaugliche Texte darstellen. Und dennoch veröffentlicht und erfolgreich vermarktet werden.

Der erste solcher boyleschen Erzählbände, den ich zu Lesen bekam, war Fleischeslust aus dem Jahr 1999. Das Bändchen mit schlanken 290 Textseiten wurde 1994 im englischen Original mit dem Titel Without a Hero zwischen den Romanen Willkommen in Wellville und América (dem dritten und vierten Roman des Schriftstellers) veröffentlicht.

Es handelt sich um eine Sammlung von 15 Kurzgeschichten, die sich mit grotesken Auswüchsen westlicher Gesellschaften befassen, insbesondere der US-ame­ri­ka­ni­schen. Ein gruseliges Kompendium zum Zustand der glorreichen Vereinigten Staaten von Amerika.

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