Backflash Zufallsrezension: Jeden Sonntag eine neu & zufällig ausgewählte Buchbesprechung aus der Vergangenheit — Gute Bücher altern nicht!
Auf der Su­che nach Lese­stoff? Hier fin­dest Du Buch­be­spre­chun­gen mit An­spruch aber oh­ne Al­lü­ren. Ich schrei­be meist über bel­le­tris­ti­sche Ti­tel; über sol­che, die mir ge­fal­len oder auch mal nicht ge­fal­len ha­ben; manch­mal Main­stream, manch­mal ab­seits der aus­ge­tre­te­nen Pfa­de. (Per­sön­li­che Emp­feh­lun­gen und ein paar Wor­te zu die­sem Pro­jekt gibt’s ganz un­ten auf die­ser Sei­te.)

Nobelpreis für Literatur 2022

Annie Ernaux, Nobelpreis für Literatur 2022
Annie Ernaux, 2019

Der Schrift­stel­lerin Annie Ernaux (82) wur­de heu­te Mit­tag kurz nach 13 Uhr der No­bel­preis für Li­te­ra­tur des Jah­res 2022 ver­lie­hen. Das No­bel­komi­tee der Schwe­di­schen Aka­de­mie, das die­ses Jahr aus sechs Mit­glie­dern be­stand – einem Pro­fes­sor für Li­te­ra­tur­ge­schich­te, vier Schrift­stel­le­r¦in­nen und einem ko­op­tier­ten Li­te­ra­tur­his­to­ri­ker, be­grün­dete die Wahl von Ernaux zum 119. Preis­trä­ger mit fol­gen­der Wür­di­gung: „Für den Mut und die kli­ni­sche Schärfe, mit der sie die Wur­zeln, Ent­frem­dun­gen und kol­lek­ti­ven Zwän­ge der per­sön­li­chen Er­in­ne­rung auf­deckt.“

Grattis, fru Ernaux!

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Die Reise nach Rom

Alberto Moravia, Die Reise nach Rom, 1988
Alberto Moravia, 1988

Die Reise nach Rom ist der letz­te Ti­tel des einst wich­tigs­ten italie­ni­schen Ro­man­ciers der Nach­kriegs­zeit, Al­ber­to Mo­ra­via. Er wur­de zwei Jah­re vor dem Tod des Autors ver­öf­fent­licht. Die Ge­schich­te han­delt von von einem Wit­wer und einer Wit­we, die je­weils von ih­ren ver­stor­be­nen Ehe­part­nern be­tro­gen und ge­de­mü­tigt wor­den wa­ren. Bei­de Über­le­ben­de – Wit­wer wie Wit­we – ver­su­chen, sich des jun­gen Mario als Werk­zeug zu be­die­nen, um ih­re Ehe­trau­ma­ta zu über­win­den. Doch Mario ist selbst Op­fer eines in­zes­tuö­sen Sexu­al­trau­mas, das er zu be­wäl­ti­gen ver­sucht. Noch ein­mal brei­tet Mo­ra­via sein Vor­zugs­the­ma Se­xus vor sei­ner Le­ser­schaft aus und hält der prü­den und selbst­be­zo­ge­nen Ge­sell­schaft einen Spie­gel vor.

Der in Rom ge­bo­re­ne Mario de Sio ist zwan­zig Jahre alt. Im Al­ter von fünf hat­te sei­ne Mut­ter Leo­pol­di­na mit ihm, dem Jun­gen, das Haus des Va­ters Ric­car­do nach einem hef­ti­gen Streit ver­las­sen. Mut­ter und Sohn zo­gen nach Pa­ris zu Di­nas Bru­der. Doch nur zwei Jah­re spä­ter stirbt die Mut­ter an einer Bauch­fell­ent­zün­dung, Ma­rio wächst mit den Kin­dern sei­nes On­kels auf. Zu sei­nem Va­ter hat der Jun­ge fünf­zehn Jah­re lang kei­nen Kon­takt ge­habt, als er mit zwan­zig aus einer Lau­ne her­aus be­schließt, Ric­car­do de Sio in Rom auf­zu­su­chen.

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1934 oder Die Melancholie

Alberto Moravia, 1934 oder Die Melancholie, 1982
Alberto Moravia, 1982

Nur vier Jahre nach sei­nem di­cken Bro­cken De­si­de­ria ver­öf­fent­lich­te Al­ber­to Mo­ra­via eine sehr per­sön­li­che Ge­schich­te un­ter dem Ti­tel 1934 oder Die Melancholie. Sei­ne vor­her­ge­hen­den Ro­ma­ne han­del­ten in den Jah­ren der se­xu­el­len Re­vo­lu­tion oder da­nach. Be­reits der Ti­tel die­ses Tex­tes macht je­doch deut­lich, dass der Autor dies­mal wei­ter zu­rück in die Ver­gan­gen­heit geht. Näm­lich in die Jah­re der Hoch-Zei­ten des euro­päi­schen Fa­schis­mus in Spa­nien, Ita­lien und Deutsch­land. Fran­co, Mus­so­li­ni und Hit­ler ha­ben ih­re Macht ge­fes­tigt und ko­ope­rie­ren be­reits. Um der Ver­zweif­lung dies­er Zeit zu ent­flie­hen, be­gibt sich der jun­ge ita­lie­ni­sche Schrift­stel­ler Lu­cio nach Ca­pri. Bei die­sem Auf­ent­halt macht er die Be­kannt­schaft der deut­schen Thea­ter­schau­spie­le­rin Bea­te Mül­ler, die mit ih­rem Mann Alois, einem NSDAP-Funk­tio­när, dort Ur­laub macht. Eine höchst bi­zar­re Be­zie­hung nimmt ih­ren Lauf.

Bereits auf der Fähre von Nea­pel nach Capri wer­fen sich Lucio und Beate – ohne zuvor über­haupt Bekannt­schaft zu schlie­ßen – aus der Fer­ne sehn­süch­tige Bli­cke zu. Im blo­ßen Blick­kon­takt mit der jun­gen Frau glaubt der junge Römer, eine Lei­dens­genos­sin aus­ge­macht zu haben. Sie scheint ebenso ver­zwei­felt zu sein wie er selbst. Also mie­tet er sich in der glei­chen Pen­sion im Insel­ort Ana­capri ein wie das deut­sche Ehe­paar. Lucio hofft, dadurch eine Mög­lich­keit zur nähe­ren Kon­takt­auf­nahme mit dem unbe­kann­ten Objekt seiner pla­toni­schen Begierde machen zu kön­nen.

Der Ro­man ist in­zwi­schen vier­zig Jah­re alt, die Hand­lung spielt vor bei­nahe neun­zig Jah­ren. Doch nach den Er­geb­nis­sen der Par­la­ments­wah­len in Ita­lien am ver­gan­ge­nen Wo­chen­en­de Ende Sep­tem­ber 2022, ge­winnt die Ge­schich­te un­er­freu­li­che Ak­tua­li­tät.

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