The Tortilla Curtain lautet der englische Originaltitel des sechsten Romans von T. C. Boyle. Mit diesem „Tortillavorhang“ ist die durchlässige Grenze zwischen den USA und Mexiko gemeint, über die seit Jahrzehnten verzweifelte illegale Einwanderer in das wohlhabende Nachbarland im Norden strömen, um sich ihren Traum von der Beteiligung am US-amerikanischen Wohlstand zu erfüllen. In der deutschen Übersetzung erhielt die Geschichte den Titel América. Und in diesem Fall bin ich mir nicht sicher, welche Betitelung die bessere ist. Denn mit „América“ ist natürlich einerseits der Traum vom besseren Leben in Nordamerika gemeint. Aber gleichzeitig ist es auch der Vorname einer der vier Hauptpersonen der Romangeschichte. Boyles Erzählung handelt von zwei Paaren, einem bitterarmen mexikanischen und einem arrivierten nordamerikanischen, deren Wege das Schicksal aneinanderknüpft.
Eine trostlose, apokalyptische Geschichte legt uns der Autor vor. Doch auch wenn der Text inzwischen fast dreißig Jahre alt ist, hat er an Aktualität nichts eingebüßt. Noch immer existiert der Tortillavorhang, den der unsägliche Ex-Präsident Trump erst vor wenigen Jahren mit dem Bau einer Grenzmauer zu Mexiko schließen wollte. Und in Europa haben wir mit Asylsuchenden aus Nordafrika ein sehr ähnliches Problem zu bewältigen. Mit seiner Erzählung beweist Boyle, dass seine Themen, die er seit Jahrzehnten beackert, Dauerbrenner sind: Die Beziehung zwischen Mensch und Natur sowie zwischenmenschliche und gesellschaftliche Katastrophen waren, sind und bleiben aktuell.