
Harald Martenstein ist vielen Lesern der Wochenzeitung ZEIT bekannt durch seine beliebte wöchentliche Kolumne. Nun hat er nach Männer sind wie Pfirsiche seinen zweiten Roman geschrieben. Heimweg wurde noch im Veröffentlichungsjahr mit dem Internationalen Corine-Preis ausgezeichnet.
In seinen Zeitungsartikeln erweist sich der Autor bereits als Meister des Hundertsten und Tausendsten, schreibt auf engstem Raum über eine Vielzahl von Themen, die er gekonnt untereinander verknüpft und stets zielsicher auf das eigentliche Thema zurückführt. Diese äußerst unterhaltsame Fähigkeit stellt er auch in seinem Roman Heimweg unter Beweis, in dem er die Geschichte des Kriegsheimkehrers Joseph erzählt, die – wie er selbst sagt – „größtenteils zwischen ungefähr 1950 und ungefähr 1990“ spielt.
Worum es geht
Genau genommen ist es nicht statthaft, die Geschichte auf die Erlebnisse von Joseph zu reduzieren. Denn wie in seiner Kolumne kommt der Autor auch im Roman spielerisch und spielend vom Hundertsten ins Tausendste. Es gibt kein Halten, wenn er von Josephs lebenslustiger Frau Katharina, deren beider Geschwister Otto und Rosalie, den Eltern der drei – Alfons und Ursula – sowie vom sagenumwobenen Großvater Alfons, dem historischen Gesetzlosen Michael Heigl, und einer Menge weiteren Personals erzählt.
Man erkennt schon an dieser aufs Wesentlichste reduzierten Figurenliste, deren Auftritte sich über mehrere Jahrzehnte erstrecken, dass den Leser ein Werk epischer Breite erwartet. Der Autor schreibt aus der Perspektive von Josephs und Katharinas Enkel. Erstaunlicher Weise tritt diese Person während des ganzen Romans weder namentlich noch personell in Erscheinung. Erstaunlich ist das deshalb, weil ansonsten jede Figur zu ihrem Recht kommt und mehr oder weniger detailliert vorgestellt wird. Erst zum Schluss der Erzählung wird klar, wer oder was dieser namenlose Enkel eigentlich ist. Damit gibt Martenstein dem Gesagten und Beschriebenen schließlich eine ganz erstaunliche und unerwartet tiefsinnige Wendung. Mehr zu verraten hieße, den Überraschungseffekt vorweg zu nehmen.
Erfolgsrezept
Die Botschaft Harald Martensteins als Erzähler einer komplexen, wenn auch sicherlich fiktiven Historie ähnelt der seiner Zeitungskolumne. Das Leben ist nicht kalkulierbar, hält so manche Überraschung parat, die man nur durch eine gehörige Portion an Selbstbewusstsein und Zuversicht, durch zielgerichtetes Handeln, Pragmatik und allerhand Glück zu seinem Vorteil nutzen kann. Das gelingt dem einen besser als dem anderen. Nicht jedermann hat die nötigen Anlagen und nicht jedermann ist zur rechten Zeit am rechten Ort. Aber einen Ausweg gibt es aus jeder auch noch so verfahrenen Situation, sei er nun aktiv angegangen oder passiv erlitten.
Was die Nachkriegsgeneration zu erdulden hatte und was sie leisten musste, ist grundlegendes Thema des Romans. Die Zeitsprünge in die Vergangenheit illustrieren das Leben früherer Generationen. Und sie relativieren die Bedeutung der Geschehnisse in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.
„Eine Art Liebesgeschichte“ nennt Martenstein seine Erzählung. Das ist sie im Grunde genommen auch. Die Formulierungen des Autors bleiben stets positiv, selbst dann noch wenn eine der Romanfiguren beinahe oder tatsächlich zu Tode kommt. Selbst dann, wenn das Leben höchst unerfreuliche Wendungen parat hält. Betrug, Bankrott, familiäre Gewalt sind bei Martenstein normale Bausteine menschlicher Lebensgestaltung; alles halb so wild, kein Grund zu dramatisieren.
Einen großen Anteil an diesem Eindruck auf den Leser hat der Schreibstil, den der Autor aus seiner Kolumne in den Roman hinein übernommen hat. Seinen Sarkasmus kleidet er in blumigen Wortwitz und überspielt damit Brisanz und Folgenschwere der Ereignisse in seiner Geschichte. Die Situationskomik steigert er noch durch Einschübe auf Metaebene, in denen er als Verfasser der Geschichte in Erscheinung sowie in Dialog mit dem Leser tritt. – Typisch Martenstein eben!
Ebenso typisch ist sein bereits erwähnter Hang zum Abschweifen aus einem Handlungsstrang in einen ganz anderen. Das ist Programm, und das beherrscht der Autor in unnachahmlicher Weise. Doch was sich in seiner Zeitungskolumne als Erfolgsrezept erweist, wird im Kontext einer umfangreicheren Romanhandlung ab und an etwas mühsam. Wer dem Gedankenstrom nicht seine hundertprozentige Aufmerksamkeit widmet, stellt irgendwann fest, dass er den zergliederten Erzählsträngen nicht mehr folgen kann. Man muss diesen Stil unbedingt mögen, sonst steigt man zwangsläufig früher oder später aus.
Fazit:
Take it easy, so könnte man möglicherweise die zentrale Aussage der Erzählung auf drei Worte verkürzen. – Ein Roman, der sich über lange Strecken flüssig liest, auch wenn man manchmal doch Mühe hat, den Gedankensprüngen des Autors zu folgen. Ein Roman, der dem Leser Mut macht, das Leben wieder fest in die eigenen Hände zu nehmen und dabei nicht zu vergessen, aus der Vergangenheit zu lernen.
Als bekennendem Fan der martensteinschen Textkunst will ich dem Heimweg unbedingt drei dicke Sterne von fünf möglichen zuerkennen, für vier hat es nicht ganz gereicht. Zu empfehlen ist das Buch auf jeden Fall allen Freunden ausschweifender Erzählfreude und gekonnter Formulierungen.
Ich bedanke mich herzlich bei der Buchhandlung Bollinger für das zur Verfügung gestellte Leseexemplar
Harald Martenstein: Heimweg
Bertelsmann Verlag, 2007
Wenn Du über diese Links bestellst, erhalte ich eine kleine Provision auf Deinen Einkauf (mehr darüber)