Heimweg

Heimweg
Harald Martenstein, 2007

Harald Marten­stein ist vie­len Le­sern der Wo­chen­zei­tung ZEIT be­kannt durch sei­ne be­lieb­te wö­chent­li­che Ko­lum­ne. Nun hat er nach Män­ner sind wie Pfir­si­che sei­nen zwei­ten Ro­man ge­schrie­ben. Heimweg wur­de noch im Ver­öf­fent­li­chungs­jahr mit dem In­ter­na­tio­na­len Co­ri­ne-Preis aus­ge­zeich­net.

In sei­nen Zei­tungs­ar­ti­keln er­weist sich der Autor be­reits als Meis­ter des Hun­derts­ten und Tau­sends­ten, schreibt auf engs­tem Raum über eine Viel­zahl von The­men, die er ge­konnt un­ter­ein­an­der ver­knüpft und stets ziel­si­cher auf das eigent­li­che The­ma zu­rück­führt. Die­se äußerst un­ter­halt­same Fä­hig­keit stellt er auch in seinem Ro­man Heimweg un­ter Be­weis, in dem er die Ge­schich­te des Kriegs­heim­keh­rers Jo­seph er­zählt, die – wie er selbst sagt – „größ­ten­teils zwi­schen un­ge­fähr 1950 und un­ge­fähr 1990“ spielt.

Heimweg – Worum es geht

Genau genom­men ist es nicht statt­haft, die Ge­schich­te auf die Erleb­nisse von Joseph zu redu­zie­ren. Denn wie in sei­ner Kolum­ne kommt der Autor auch im Roman spie­le­risch und spie­lend vom Hun­derts­ten ins Tau­sends­te. Es gibt kein Hal­ten, wenn er von Josephs lebens­lus­ti­ger Frau Katha­rina, deren bei­der Ge­schwis­ter Otto und Rosa­lie, den Eltern der drei – Alfons und Ursu­la – sowie vom sagen­umwo­be­nen Groß­vater Alfons, dem his­tori­schen Gesetz­lo­sen Michael Heigl, und einer Menge wei­te­ren Per­so­nals erzählt.

Man erkennt schon an die­ser aufs Wesent­lichs­te redu­zier­ten Figu­ren­liste, deren Auf­tritte sich über meh­rere Jahr­zehnte erstre­cken, dass den Leser ein Werk epi­scher Breite erwar­tet. Der Autor schreibt aus der Per­spek­tive von Josephs und Katha­ri­nas Enkel. Erstaun­li­cher Weise tritt diese Per­son wäh­rend des gan­zen Romans weder nament­lich noch per­so­nell in Erschei­nung. Erstaun­lich ist das des­halb, weil ansons­ten jede Figur zu ihrem Recht kommt und mehr oder weni­ger detail­liert vor­ge­stellt wird. Erst zum Schluss der Erzäh­lung wird klar, wer oder was die­ser namen­lose Enkel eigent­lich ist. Damit gibt Mar­ten­stein dem Gesag­ten und Beschrie­be­nen schließ­lich eine ganz erstaun­li­che und uner­war­tet tief­sin­nige Wen­dung. Mehr zu ver­ra­ten hieße, den Über­raschungs­ef­fekt vor­weg zu neh­men.

Heimweg – Erfolgsrezept

Die Bot­schaft Harald Mar­ten­steins als Erzäh­ler einer kom­ple­xen, wenn auch sicher­lich fik­ti­ven His­to­rie ähnelt der sei­ner Zei­tungs­ko­lumne. Das Leben ist nicht kal­kulier­bar, hält so man­che Über­ra­schung parat, die man nur durch eine gehö­rige Por­tion an Selbst­bewusst­sein und Zuver­sicht, durch ziel­gerich­te­tes Han­deln, Prag­ma­tik und aller­hand Glück zu sei­nem Vor­teil nut­zen kann. Das gelingt dem einen bes­ser als dem ande­ren. Nicht jeder­mann hat die nöti­gen Anla­gen und nicht jeder­mann ist zur rech­ten Zeit am rech­ten Ort. Aber einen Aus­weg gibt es aus jeder auch noch so ver­fah­re­nen Situ­ation, sei er nun aktiv ange­gan­gen oder pas­siv erlit­ten.

Was die Nach­kriegs­gene­ra­tion zu erdul­den hatte und was sie leis­ten musste, ist grund­legen­des Thema des Romans. Die Zeit­sprünge in die Ver­gan­gen­heit illus­trie­ren das Leben frü­he­rer Gene­ratio­nen. Und sie rela­tivie­ren die Bedeu­tung der Gescheh­nisse in der zwei­ten Hälfte des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts.

„Eine Art Lie­bes­ge­schich­te“ nennt Mar­ten­stein seine Erzäh­lung. Das ist sie im Grunde genom­men auch. Die For­mulie­run­gen des Autors blei­ben stets posi­tiv, selbst dann noch wenn eine der Roman­figu­ren bei­nahe oder tat­säch­lich zu Tode kommt. Selbst dann, wenn das Leben höchst uner­freu­li­che Wen­dun­gen parat hält. Betrug, Bank­rott, fami­li­äre Gewalt sind bei Mar­ten­stein nor­male Bau­steine mensch­li­cher Lebens­gestal­tung; alles halb so wild, kein Grund zu dra­mati­sie­ren.
Einen gro­ßen Anteil an die­sem Ein­druck auf den Leser hat der Schreib­stil, den der Autor aus sei­ner Kolumne in den Roman hinein über­nom­men hat. Sei­nen Sar­kas­mus klei­det er in blu­mi­gen Wort­witz und über­spielt damit Bri­sanz und Fol­gen­schwere der Ereig­nisse in sei­ner Ge­schich­te. Die Situa­tions­ko­mik stei­gert er noch durch Ein­schübe auf Meta­ebene, in denen er als Ver­fas­ser der Ge­schich­te in Erschei­nung sowie in Dia­log mit dem Leser tritt. – Typisch Mar­ten­stein eben!

Ebenso typisch ist sein bereits erwähn­ter Hang zum Abschwei­fen aus einem Hand­lungs­strang in einen ganz ande­ren. Das ist Pro­gramm, und das beherrscht der Autor in unnach­ahm­li­cher Weise. Doch was sich in sei­ner Zei­tungs­kolumne als Erfolgs­re­zept erweist, wird im Kon­text einer umfang­rei­che­ren Roman­hand­lung ab und an etwas müh­sam. Wer dem Gedan­ken­strom nicht seine hun­dert­pro­zen­tige Auf­merk­sam­keit wid­met, stellt irgend­wann fest, dass er den zer­glie­der­ten Erzähl­strän­gen nicht mehr fol­gen kann. Man muss die­sen Stil unbe­dingt mögen, sonst steigt man zwangs­läu­fig frü­her oder spä­ter aus.

Fazit:

Take it easy, so könnte man mög­licher­weise die zen­trale Aus­sage der Erzäh­lung auf drei Worte ver­kür­zen. – Ein Roman, der sich über lange Stre­cken flüs­sig liest, auch wenn man manch­mal doch Mühe hat, den Gedan­ken­sprün­gen des Autors zu fol­gen. Ein Roman, der dem Leser Mut macht, das Leben wie­der fest in die eige­nen Hände zu neh­men und dabei nicht zu ver­ges­sen, aus der Ver­gan­gen­heit zu ler­nen.

Als beken­nen­dem Fan der mar­ten­stein­schen Text­kunst will ich dem Heimweg unbe­dingt drei dicke Sterne von fünf mög­li­chen zuer­ken­nen, für vier hat es nicht ganz gereicht. Zu emp­feh­len ist das Buch auf jeden Fall allen Freun­den aus­schwei­fen­der Erzähl­freude und gekonn­ter For­mulie­run­gen.

Ich be­dan­ke mich herz­lich bei der Buch­hand­lung Bol­lin­ger für das zur Ver­fü­gung ge­stell­te Le­se­exem­plar

Harald Martenstein: Heimweg
Bertelsmann Verlag, 2007

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