Nördlich des Weltuntergangs

Nördlich des Weltuntergangs
Arto Paasilinna, 2005

Wir be­fin­den uns im Jahr 2023 n. Chr. Der gan­ze Pla­net Er­de ist von Grö­ßen­wahn­sin­ni­gen be­setzt …

Der gan­ze Pla­net? Nein! Ein von un­beug­sa­men Fin­nen be­völ­ker­tes Dorf hört nicht auf, dem glo­ba­len Wahn­sinn Wi­der­stand zu leis­ten. Und das Le­ben ist nicht leicht für die Be­la­ge­rer, die in den um­lie­gen­den La­gern Sot­kamo, Nur­mes, Kuo­pio und Oulu lie­gen.

Kür­zer und prä­gnan­ter kann man den In­halt des Ro­mans des fin­ni­schen Kult­au­tors Ar­to Paasi­lin­na kaum raf­fen. Nörd­lich des Welt­un­ter­gangs ist ganz un­ver­kenn­bar die fin­ni­sche Ver­sion der Ge­schich­te des gal­li­schen Dor­fes, in dem der Häupt­ling Ma­jes­tix herrscht und das den römi­schen Besat­zungs­trup­pen das Leben schwer macht.

Nördlich des Weltuntergangs – Worum es geht

Die Fin­nen und ihr Chef Eeme­lix, Ver­zei­hung: Eeme­li Toro­pai­nen, die in der Gemein­de Ukon­jär­vi leben, sind genau­so starr­köp­fig, gewitzt, streit­bar und trink­fest, wie es zwei Jahr­tau­sen­de zuvor die Hel­den von Uder­zo und Gos­cinny waren. In einem sind sie den Gal­lier gar um eine Knol­len­nasen­länge voraus. Denn im Gegen­satz zu Majes­tix fürch­tet sich Eeme­li nicht ein­mal, wenn ihm der Him­mel auf den Kopf fällt.

Einflussbereich der Gemeinde Ukonjärvi
Einflussbereich der Gemeinde Ukonjärvi

Um den letz­ten Wil­len sei­nes Groß­va­ters As­ser To­ro­pai­nen zu er­fül­len, er­rich­tet sein En­kel Eeme­li am Ufer des Ukon­jär­vi-Sees in der un­be­rühr­ten Wild­nis der mittel­fin­ni­schen Pro­vinz Kai­nuu eine gro­ße Holz­kir­che. Er und sei­ne Leu­te trot­zen dem Wi­der­stand der Be­hör­den und Kir­chen­vor­stän­de eben­so wie al­len an­de­ren Schwie­rig­kei­ten. Und der­lei Schwie­rig­kei­ten er­ge­ben sich zu Hauf im Lau­fe der zwei­und­drei­ßig Jah­re, die die Hand­lung um­spannt.

An die­ser Stel­le ist es un­be­dingt not­wen­dig ein­zu­flech­ten, dass das fin­ni­sche Ori­gi­nal be­reits im Jahr 1992 er­schie­nen war. Die ers­te deut­sche Über­set­zung hin­ge­gen kam erst 2003 in den Han­del. Die­ser Um­stand ist des­halb er­wäh­nens­wert, weil die Ro­man­hand­lung mit dem Tod des Kir­chen­stif­ters As­ser in der Kar­wo­che 1991 ein­setzt. Sie ge­winnt al­lei­ne durch die fik­ti­ven, welt­ge­schicht­li­chen Er­eig­nis­se um den Jahr­tau­send­wech­sel an Fahrt.

Zwar schil­dert Paasi­linna aus­schließ­lich die Erleb­nisse der Men­schen in und um Ukon­järvi, die nur zu weni­gen Gele­gen­hei­ten durch Schil­derun­gen ergänzt wer­den, die Rei­sende aus der fer­nen Welt mit­brin­gen. Tat­säch­lich aber sind es die Reflek­tio­nen und Echos der Welt­geschich­te im Fin­nen­dorf, die den Roman so ein­ma­lig und lesens­wert machen.

Nördlich des Weltuntergangs – Zeitgeschichtlicher Hintergrund

In der Folge orgi­asti­scher Jahr­tau­send­wends­fei­ern gehen Groß­städte wie New York oder St. Peters­burg in Müll­ber­gen unter. Vor die­sen muss sogar das Mili­tär kapi­tu­lie­ren. Einige Jahre spä­ter bricht der Dritte Welt­krieg aus. Und zum Ende der Ge­schich­te erlebt die Mensch­heit nach Ein­schlä­gen von Meteo­ri­ten so etwas wie den Welt­unter­gang.

Aber was auch immer die Welt bewegt, oder bes­ser: erschüt­tert – in Ukon­järvi geht das Leben wei­ter. Mit stoi­scher Gelas­sen­heit schüt­teln sich die Bewoh­ner die radio­ak­tive Asche nach Kern­waf­fen­gefech­ten ebenso wie die Nebel­schwa­den des Welt­unter­gangs aus den Haupt­haa­ren. Sie machen sich daran zu tun, was eben jeweils zu tun ist: Fel­der bestel­len, Fische fan­gen, oder Weih­nach­ten, par­don: Mitt­som­mer fei­ern. Dank der Weit­sicht ihres Chefs und den Für­bit­ten des Drui­den Mira­cu­lix der Feld­pröbs­tin Tui­revi Hilli­kai­nen kön­nen den Gemein­demit­glie­dern nicht ein­mal die glo­bale Ener­gie­krise oder exis­tenz­bedro­hende Ver­sor­gungs­eng­pässe der ein­stür­zen­den Welt­wirt­schaft etwas anha­ben.

Nördlich des Weltuntergangs – Erfolgsrezept

Back to the roots lautet das Credo des Autors, das er auf seine Hel­den­gemein­de über­trägt und sie damit immun gegen zeit­geis­tige Unpäss­lich­kei­ten macht, die den Rest der Mensch­heit ste­tig in Rich­tung Abgrund lau­fen lässt wie eine Herde gro­ßer, dum­mer Lem­min­ge.

Damit die Erzäh­lun­gen um acker­bau­ende, fischende und auf Gott ver­trau­ende Urty­pen nicht irgen­dwann doch fade wer­den, würzt sie Paasi­linna immer wie­der gekonnt mit klei­nen Epi­so­den. Dazu gehört die Ge­schich­te der fre­chen, klei­nen Maus, die vom Toten­bett Asser Toro­pai­nens in die Kir­che am Ukon­järvi fin­det. Oder die der Bären, die sich an lecke­ren, pen­sio­nier­ten Post­beam­ten und Vieh hüten­den, Gos­pel sin­gen­den Seni­orin­nen güt­lich tun.

Eine wun­der­bare Pas­sage fin­det sich im Anschluss an den welt­erschüt­tern­den Meteo­riten­ein­schlag bei der Schil­derung einer apo­kalyp­ti­schen Szene in Paris:

„Im übri­gen Europa war die Situ­ation anders [Anm.: als in Ukonjärvi]. Ein Welt­unter­gang hin­ter­lässt seine Spu­ren. In Mont­par­nasse in Paris stand das Was­ser sechs Meter hoch. Mee­res­fi­sche schwam­men auf den Stra­ßen und in den Bis­tros herum. Zwei Dor­sche mit aus­drucks­lo­sen Mie­nen stu­dier­ten die vom Was­ser auf­geweichte Spei­sekar­te eines Fisch­restau­rants, auf der ›Frit­tier­ter Dorsch für zwei Per­sonen‹ zum durch­aus güns­tigen Preis von 23 Euro ange­bo­ten war. Es war das Jahr 2023.“

Kann man das Schei­tern der Mensch­heit schö­ner oder skur­riler in Worte fas­sen?

Fazit:

Ich mag diesen schrä­gen Humor sehr, der nichts und nie­man­den Ernst nimmt; nicht Gott, nicht die Welt und nicht die Mensch­heit. Genau­so gern mag ich die gekonnte Beschrei­bung der Absur­ditä­ten unse­res Lebens. Wenn es alleine nach mei­nem Bauch­gefühl ginge, hätte ich Nördlich des Weltuntergangs min­des­tens vier Sterne ver­passt. Wahr­schein­lich hätte ich dies auf jeden Fall getan, hätte uns die deutsch­spra­chige Aus­gabe noch vor der Jahr­tau­send­wende vor­gele­gen.

Aber auch für Leser, die die Welt erns­ter neh­men und sich Respekt­losig­keiten ver­bit­ten, wie sie im Roman von Arto Paasi­linna zu Hauf vor­kom­men, ist das Buch eine Emp­feh­lung wert. Schlimms­ten­falls kann man sich bei der Lek­türe präch­tig amü­sie­ren, bes­ten­falls sogar ler­nen, sich selbst und die Maschi­ne­rie sei­nes Lebens nicht allzu wich­tig zu neh­men. Also bekommt die Ge­schich­te drei ganz dicke von fünf mög­li­chen Ster­nen.

Arto Paasilinna: Nördlich des Weltuntergangs
Bastei Lübbe Verlag, 2005

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