
Wir befinden uns im Jahr 2023 n. Chr. Der ganze Planet Erde ist von Größenwahnsinnigen besetzt …
Der ganze Planet? Nein! Ein von unbeugsamen Finnen bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem globalen Wahnsinn Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Belagerer, die in den umliegenden Lagern Sotkamo, Nurmes, Kuopio und Oulu liegen.
Kürzer und prägnanter kann man den Inhalt des Romans des finnischen Kultautors Arto Paasilinna (†2018) kaum raffen. Nördlich des Weltuntergangs ist ganz unverkennbar die finnische Version der Geschichte des gallischen Dorfes, in dem der Häuptling Majestix herrscht und das den römischen Besatzungstruppen das Leben schwer macht.
Worum es geht
Die Finnen und ihr Chef Eemelix, Verzeihung: Eemeli Toropainen, die in der Gemeinde Ukonjärvi leben, sind genauso starrköpfig, gewitzt, streitbar und trinkfest, wie es zwei Jahrtausende zuvor die Helden von Uderzo und Goscinny waren. In einem sind sie den Gallier gar um eine Knollennasenlänge voraus. Denn im Gegensatz zu Majestix fürchtet sich Eemeli nicht einmal, wenn ihm der Himmel auf den Kopf fällt.

Um den letzten Willen seines Großvaters Asser Toropainen zu erfüllen, errichtet sein Enkel Eemeli am Ufer des Ukonjärvi-Sees in der unberührten Wildnis der mittelfinnischen Provinz Kainuu eine große Holzkirche. Er und seine Leute trotzen dem Widerstand der Behörden und Kirchenvorstände ebenso wie allen anderen Schwierigkeiten. Und derlei Schwierigkeiten ergeben sich zu Hauf im Laufe der zweiunddreißig Jahre, die die Handlung umspannt.
An dieser Stelle ist es unbedingt notwendig einzuflechten, dass das finnische Original bereits im Jahr 1992 erschienen war. Die erste deutsche Übersetzung hingegen kam erst 2003 in den Handel. Dieser Umstand ist deshalb erwähnenswert, weil die Romanhandlung mit dem Tod des Kirchenstifters Asser in der Karwoche 1991 einsetzt. Sie gewinnt alleine durch die fiktiven, weltgeschichtlichen Ereignisse um den Jahrtausendwechsel an Fahrt.
Zwar schildert Paasilinna ausschließlich die Erlebnisse der Menschen in und um Ukonjärvi, die nur zu wenigen Gelegenheiten durch Schilderungen ergänzt werden, die Reisende aus der fernen Welt mitbringen. Tatsächlich aber sind es die Reflektionen und Echos der Weltgeschichte im Finnendorf, die den Roman so einmalig und lesenswert machen.
Zeitgeschichtlicher Hintergrund
In der Folge orgiastischer Jahrtausendwendsfeiern gehen Großstädte wie New York oder St. Petersburg in Müllbergen unter. Vor diesen muss sogar das Militär kapitulieren. Einige Jahre später bricht der Dritte Weltkrieg aus. Und zum Ende der Geschichte erlebt die Menschheit nach Einschlägen von Meteoriten so etwas wie den Weltuntergang.
Aber was auch immer die Welt bewegt, oder besser: erschüttert – in Ukonjärvi geht das Leben weiter. Mit stoischer Gelassenheit schütteln sich die Bewohner die radioaktive Asche nach Kernwaffengefechten ebenso wie die Nebelschwaden des Weltuntergangs aus den Haupthaaren. Sie machen sich daran zu tun, was eben jeweils zu tun ist: Felder bestellen, Fische fangen, oder Weihnachten, pardon: Mittsommer feiern. Dank der Weitsicht ihres Chefs und den Fürbitten des Druiden Miraculix der Feldpröbstin Tuirevi Hillikainen können den Gemeindemitgliedern nicht einmal die globale Energiekrise oder existenzbedrohende Versorgungsengpässe der einstürzenden Weltwirtschaft etwas anhaben.
Erfolgsrezept
Back to the roots lautet das Credo des Autors, das er auf seine Heldengemeinde überträgt und sie damit immun gegen zeitgeistige Unpässlichkeiten macht, die den Rest der Menschheit stetig in Richtung Abgrund laufen lässt wie eine Herde großer, dummer Lemminge.
Damit die Erzählungen um ackerbauende, fischende und auf Gott vertrauende Urtypen nicht irgendwann doch fade werden, würzt sie Paasilinna immer wieder gekonnt mit kleinen Episoden. Dazu gehört die Geschichte der frechen, kleinen Maus, die vom Totenbett Asser Toropainens in die Kirche am Ukonjärvi findet. Oder die der Bären, die sich an leckeren, pensionierten Postbeamten und Vieh hütenden, Gospel singenden Seniorinnen gütlich tun.
Eine wunderbare Passage findet sich im Anschluss an den welterschütternden Meteoriteneinschlag bei der Schilderung einer apokalyptischen Szene in Paris:
„Im übrigen Europa war die Situation anders [Anm.: als in Ukonjärvi]. Ein Weltuntergang hinterlässt seine Spuren. In Montparnasse in Paris stand das Wasser sechs Meter hoch. Meeresfische schwammen auf den Straßen und in den Bistros herum. Zwei Dorsche mit ausdruckslosen Mienen studierten die vom Wasser aufgeweichte Speisekarte eines Fischrestaurants, auf der ›Frittierter Dorsch für zwei Personen‹ zum durchaus günstigen Preis von 23 Euro angeboten war. Es war das Jahr 2023.“
Kann man das Scheitern der Menschheit schöner oder skurriler in Worte fassen?
Fazit:
Ich mag diesen schrägen Humor sehr, der nichts und niemanden Ernst nimmt; nicht Gott, nicht die Welt und nicht die Menschheit. Genauso gern mag ich die gekonnte Beschreibung der Absurditäten unseres Lebens. Wenn es alleine nach meinem Bauchgefühl ginge, hätte ich Nördlich des Weltuntergangs mindestens vier Sterne verpasst. Wahrscheinlich hätte ich dies auf jeden Fall getan, hätte uns die deutschsprachige Ausgabe noch vor der Jahrtausendwende vorgelegen.
Aber auch für Leser, die die Welt ernster nehmen und sich Respektlosigkeiten verbitten, wie sie im Roman von Arto Paasilinna zu Hauf vorkommen, ist das Buch eine Empfehlung wert. Schlimmstenfalls kann man sich bei der Lektüre prächtig amüsieren, bestenfalls sogar lernen, sich selbst und die Maschinerie seines Lebens nicht allzu wichtig zu nehmen. Also bekommt die Geschichte drei ganz dicke von fünf möglichen Sternen.
Arto Paasilinna: Nördlich des Weltuntergangs
Bastei Lübbe Verlag, 2005
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