Freiheitsgeld

Andreas Eschbach, Freiheitsgeld, 2022
Andreas Eschbach, 2022

Man müsste Andreas Esch­bach als Be­ra­ter der Bun­des­re­gie­rung emp­feh­len. Denn bei ihm heißt das bü­ro­kra­ti­sche Wort­un­ge­tüm „be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men“ deut­lich hand­li­cher Freiheitsgeld. Sein gleich­na­mi­ger Ro­man han­delt in der deut­schen Zu­kunft im Jah­re 2064 und ist glei­cher­ma­ßen Po­lit­thril­ler wie Ge­sell­schafts­stu­die. Scha­de ist nur, dass we­der der Autor noch ich mehr in der La­ge sein wer­den zu über­prü­fen, wie vie­le sei­ner Pro­gno­sen bis in 42 Jah­ren ein­ge­trof­fen sein wer­den. Al­so be­schrän­ken wir uns zu­nächst da­rauf, den span­nen­den kri­mi­na­lis­ti­schen An­teil des Ro­mans zu ge­nie­ßen. Der Er­fin­der des Frei­heits­gel­des, ein längst pen­sio­nier­ter Ex-Bun­des­kanz­ler, und sein ener­gischs­ter Wi­der­sa­cher, ein Jour­na­list, wer­den bei­de tot auf­ge­fun­den. Be­steht eine Ver­bin­dung zwi­schen den bei­den To­des­fäl­len? Die po­li­zei­li­chen Er­mitt­lun­gen wer­den von fins­te­ren Kräf­ten be­hin­dert, die eine Auf­klä­rung der Hin­ter­grün­de un­be­dingt ver­hin­dern wol­len.

Freiheitsgeld – Worum geht es?

Genau genom­men prä­sen­tiert uns der Autor in sei­nem Roman vier Ge­schich­ten in einer: Da ist zum einen diese Gesell­schafts­stu­die, aus der wir erfah­ren, wie Deutsch­land in vier Jahr­zehn­ten aus­se­hen mag. Hinzu kommt zwei­tens die kri­mina­lis­ti­sche Hand­lung um die bei­den Todes­fälle, die der Pro­tago­nist der Ge­schich­te auf­zuklä­ren hat. Eine dritte Kom­po­nente stellt die poli­tisch-gesell­schaft­li­che Dis­kus­sion um Sinn oder Unsinn des Frei­heits­gel­des dar. Die nimmt in der zwei­ten Roman­hälfte erheb­li­chen Anteil des Tex­tes ein­. Und zum Vier­ten steu­ert Esch­bach durch immer wie­der geschickt ein­ge­streute Hand­lungs­de­tails auf eine Erklä­rung der zunächst rät­sel­haf­ten Behin­de­rung der kri­mina­lis­ti­schen Ermitt­lun­gen zu, die in einer Art Show­down auf den letz­ten zwan­zig Buch­sei­ten umfas­send abge­schlos­sen wird. Diese Erklärung bildet gewis­ser­ma­ßen eine logi­sche Klam­mer um die drei ande­ren Roman­kom­ponen­ten.

Freiheitsgeld – 1. Deutschland in den 2060er-Jahren

Nach einer „gro­ßen Krise“ etwa um das Jahr 2030 hat sich Europa neu auf­ge­stellt und dadurch die end­gül­tige Katas­tro­phe abwen­den kön­nen. So gut wie alle Men­schen leben in gro­ßen, stark ver­dich­te­ten Bal­lungs­zen­tren. In Deutsch­land zum Bei­spiel in der Ruhr­metro­pole, in der sich die Hand­lung der Ge­schich­te abspielt. Klei­nere Ort­schaf­ten gibt es nicht mehr. Sie wur­den auf­ge­löst, um das Land weit­flä­chig auf­fors­ten zu kön­nen. Dadurch ent­stan­den rie­sige Natur­schutz­ge­biete, in denen sich Flora und Fauna ohne mensch­li­chen Ein­fluss erho­len und durch die eine Kli­maka­tas­tro­phe ver­hin­dert wurde. Öst­lich der Ruhr­metro­pole ist dies etwa die „Zone Teuto“. Den Süd­wes­ten bedeckt die Zone „Schwarz-Süd“. Wei­ter öst­lich dehnt sich die „Zone Bay­Wa“ aus. Das Betre­ten aller Natur­schutz­ge­biete ist ver­bo­ten.

In den Wohn­metro­po­len errich­ten auto­mati­sierte 3D-Haus­dru­cker alle neuen Gebäude. Indi­vidu­elle Mobi­li­tät ist nur Rei­chen vor­behal­ten. Das Gros der Bewoh­ner nutzt die kos­ten­lo­sen selbst­fah­ren­den Busse des ÖPNV, deren Fahrt­rou­ten vari­ieren, weil jeder­mann Bedarfs­hal­testel­len anfor­dern kann, wo immer sie oder er sich gerade befin­det. Gesteu­ert wird das gesamte Leben durch eine Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer Smart­pho­nes. Die hei­ßen bei Esch­bach „Pods“. Ihre Akkus sind nie­mals leer und auf ihnen lau­fen keine Apps son­dern „Skills“, mit denen man bezahlt, Zutritt zu Gebäu­den und zum ÖPNV erlangt, oder medi­zini­sche Daten zwi­schen Ärz­ten und Apo­the­ken trans­fe­riert. Waren­lage­rung, Super­märkte, Aus­lie­fe­rung, ja sogar ärzt­li­che Betreu­ung sind voll­stän­dig auto­mati­siert. Sie wer­den durch eine Heer­schar von Robo­tern gewähr­leis­tet. Ande­rer­seits haben bei­spiels­weise Pfle­gebe­rufe eine enorme Wert­schät­zung erhal­ten, so dass Kran­ken- und Alten­pfle­geper­so­nal zu den Spit­zen­ver­die­nern der Gesell­schaft gehö­ren. Auch Per­so­nal Trai­ner und Kran­ken­gym­nas­ten sind gefragt und wer­den aus­gezeich­net bezahlt.

Doch nie­mand ist gezwun­gen zu arbei­ten. Denn schließ­lich erhal­ten alle das „Frei­heits­geld“, ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kom­men, das aus­reicht, um nicht obdach­los zu wer­den oder zu ver­hun­gern. Und es ist auch gar nicht so ein­fach, eine Beschäf­ti­gung zu fin­den. Denn alle ein­fa­chen Tätig­kei­ten wer­den schließ­lich bereits von den Robo­tern erle­digt.

Gated Communities

Natür­lich müs­sen nicht alle Men­schen in tris­ten Beton­wüs­ten leben. Wer es sich leis­ten kann, bezieht eine der luxu­riö­sen geschlos­se­nen Wohn­anla­gen, wie etwa die „Oase“ in der Ruhr­metro­pole. Dort leben Rei­che mit Finanz­reser­ven aus der Zeit vor der gro­ßen Krise sowie deren Betreuer, Pfle­ger und Ange­stellte der Dienst­leis­tungs­betriebe der Anlage.

„Hier lebt das alte Geld. Die Leute, die noch Ver­mö­gen aus der Zeit vor dem Frei­heits­geld haben, kön­nen es hier voll­ends auf­brau­chen.“
(Seite 275)

Natür­lich wer­den diese Bewoh­ner­grup­pen streng von­ein­an­der getrennt. Der Geld­adel lebt in der A-Zone, Pfle­ger in der B-Zone und Ange­stellte der Res­tau­rants oder Geschäf­te in der C-Zone. – Das Sys­tem erin­nert sofort an die Auf­tei­lung der Mensch­heit in Alphas, Betas, Gam­mas und Del­tas aus der Schö­nen Neuen Welt von Aldous Hux­ley.

Und wenn wir schon bei Paral­le­len zu bekann­ten Dys­to­pien der Ver­gan­gen­heit sind, soll auch nicht der Hin­weis auf die totale Über­wa­chung der Mensch­heit à la 1984 feh­len, die zum Bei­spiel über all­gegen­wär­tige Kame­raüber­wa­chung und lücken­lose Stand­ort­ver­läufe aller Pods Rea­li­tät gewor­den ist, an der sich aber längst nie­mand mehr stört. Alt­bun­des­kanz­ler Have­lock fragt dazu sei­nen Kran­ken­gym­nas­ten:

„Kame­ras über­all, und über Ihren Pod haben schon Ihre Eltern immer gewusst, wo Sie sind, mit wem Sie zusam­men sind und so wei­ter. Ihnen kommt das gar nicht vor wie Spio­nage, nicht wahr? Sie haben eher das Gefühl, dass jemand auf Sie auf­passt.“
(Seite 97)

Freiheitsgeld – 2. Kriminalistische Handlung

Nur mit weni­gen Tagen Abstand ster­ben der Ex-Bun­des­kanz­ler Robert Have­lock und sein frü­he­rer erbit­ter­ter Wider­sa­cher, der Jour­na­list Gün­ter Levent­heim. Have­lock war nach Ende sei­ner Kanz­ler­schaft zum EU-Prä­siden­ten gewählt wor­den und hatte 2034 euro­pa­weit das Frei­heits­geld ein­ge­führt. Levent­heim hin­ge­gen hatte die­sen Schritt stets hef­tig kri­ti­siert und des­sen Finan­zier­bar­keit in Zwei­fel gezo­gen. Kurz vor der Drei­ßig­jahr­feier zur Ein­füh­rung des Frei­heits­gel­des nimmt sich Have­lock in der Abge­schie­den­heit der „Oase“ das Leben, so scheint es. Kurz zuvor war bereits Levent­heim einem Kreis­lauf­ver­sa­gen erle­gen.

(Ein Schelm übri­gens, wer bei „Robert Have­lock“ womög­lich an die grüne Polit­ikone Robert Habeck denkt oder bei „Gün­ter Levent­heim“ an den Inves­tiga­tiv­jour­nalis­ten Gün­ter Wall­raff.)

Der 26-jäh­rige Poli­zist und Pro­tago­nist Ahmad Hus­sein Mül­ler, frisch in die Abtei­lung Gewalt­ver­bre­chen ver­setzt, macht sich mit sei­nen Kol­le­gen an die Klä­rung der Hin­ter­gründe der Todes­fälle. Dabei sto­ßen sie auf aller­lei Unge­reimt­hei­ten, bei deren Auf­klä­rung die Fami­lien zweier Kran­ken­gym­nas­ten des ver­bli­che­nen Ex-Bun­des­kanz­lers behilf­lich sind: näm­lich Kilian und The­rese Streh­min­ger sowie Valen­tin und Lisa Jou­vens, die alle von geheim­nis­tue­ri­schem Ver­hal­ten Have­locks berich­ten. Auch über Levent­heim tre­ten Unge­reimt­hei­ten zu Tage, von denen des­sen Nach­barn erzäh­len, näm­lich Mül­lers eige­ner Bru­der und des­sen durch­geknall­ter Kum­pel. – Hat es womög­lich vor den bei­den Todes­fäl­len geheime Tref­fen zwi­schen Have­lock und Levent­heim gege­ben? Und wenn ja, warum?

Die Ermitt­ler wer­den nicht nur durch die juris­ti­sche Auto­no­mie der „Oase“ behin­dert. Irgend­je­mand aus dem poli­ti­schen Hin­ter­grund lässt die Truppe zurück­pfei­fen, als sie Begeg­nun­gen zwi­schen Have­lock und sei­nem ehe­mali­gen Geg­ner nach­wei­sen. Schließ­lich geht alles sehr schnell: Zwei Kol­le­gen Ahmad Mül­lers wer­den getö­tet, die Interne Revi­sion will diese Morde dem jun­gen Ermitt­ler anhän­gen. Dem bleibt also nichts ande­res übrig, als sich abzu­set­zen, aus der tota­len Über­wa­chung auszu­bre­chen und auf eigene Faust nach den Hin­ter­män­nern zu suchen.

3. Sinn und Unsinn des Freiheitsgeldes?

Die Sinn­frage im Zusam­men­hang mit der Ein­füh­rung eines bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens stellt ein zen­tra­les Thema des Romans dar. Der Autor schreibt seine Ge­schich­te aus ver­schie­de­nen Erzähl­per­spek­ti­ven. Zu Wort kom­men natür­lich die Haupt­fi­gur Ahmad Hus­sein Mül­ler, aber auch die Neben­pro­tago­nis­ten Valen­tin, des­sen junge Frau Lisa und die Frau von Valen­tins Vor­gän­ger in der „Oase“, There­se Streh­min­ger. Alle vier haben unter­schied­li­che, aber kei­nes­falls kon­träre Mei­nun­gen zum Freiheitsgeld. Sie stel­len sozu­sa­gen die Stimme des Vol­kes dar.

Dazu gesellt sich die Freun­din Ahmads, die Frei­beruf­le­rin Franka Cas­tag­nioli, die für das Frei­heits­geld über­haupt nicht viel übrig hat. Aber letzt­lich fin­det die wich­tigste Dis­kus­sion um das bedin­gungs­lose Grund­ein­kom­men zwi­schen Gün­ter Levent­heim und Robert Have­lock statt. Schon bei den Todes­fall­ermitt­lun­gen stößt die Poli­zei auf aus­führ­li­che Rechen­bei­spiele des Jour­nalis­ten zu einer erheb­li­chen Finan­zie­rungs­lücke. Und schließ­lich offen­bart ein ver­steck­tes Video, das sich über zwan­zig Buch­sei­ten erstreckt und auf dem eine Dis­kus­sion zwi­schen Have­lock und Levent­heim zu sehen und zu hören ist, die tiefe Pro­ble­ma­tik einer finan­ziel­len Grund­ver­sor­gung für die gesamte Mensch­heit.

Das ist nicht immer ein­fach zu ver­ste­hen und nach­zuvoll­zie­hen. Aller­dings bringt es wenig, sol­che tro­cke­nen Passa­gen nur zu über­flie­gen. Schließ­lich lau­tet nicht nur der Titel des Romans „Freiheitsgeld“; das bedin­gungs­lose Grund­ein­kom­men ist das zen­trale Thema der gesam­ten Ge­schich­te. – Also auf­ge­merkt an sol­chen Stellen, lie­be(r) Lese­r¦in!

Freiheitsgeld – 4. Behinderung der kriminalistischen Ermittlungen

Wer ver­sucht, den Tod Have­locks als Selbst­mord hin­zustel­len? Wer hat alle Daten­trä­ger aus Levent­heims Recher­chen ver­schwin­den las­sen? Wer ver­hin­dert Ermitt­lun­gen der Poli­zei in der geschlos­se­nen Wohn­an­lage der „Oase“? Wer hat es geschafft, zwei erfah­rene Aus­nah­mepo­lizis­ten mir nichts, dir nichts umzu­brin­gen? Und wer will deren Tode dem jun­gen Ahmad Mül­ler in die Schuhe schie­ben?

Nun, eben die­ser Ahmad Mül­ler macht sich auf die Suche nach der bedroh­li­chen Macht im Hin­ter­grund. Zuletzt stößt er auf eine Erklä­rung – nicht nur für die Behin­de­rung der Ermitt­lun­gen son­dern zugleich für die Unge­reimt­hei­ten zum Frei­heits­geld und sogar für einige mys­teri­öse Details aus der Roman­ge­schich­te, die die Leser­schaft zuvor wahr­schein­lich noch nicht zuord­nen konnte.

Ich möchte hier auf kei­nen Fall die Span­nung ver­der­ben. Nur soviel sei ver­ra­ten: Die Auf­lö­sung über­nimmt einige der bekann­ten Ver­schwö­rungs­theo­rien rund um das Thema The Great Reset.

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Freiheitsgeld – Erfolgsrezepte

Es macht gro­ßen Spaß, sich durch diese gar nicht allzu weit ent­fernte deut­sche Zukunft zu lesen. Dadurch dass Esch­bach die Gescheh­nisse aus immer wie­der wech­seln­den Per­spek­ti­ven beschreibt, ent­steht bei der Lek­türe ein plas­ti­sches Bild des­sen, was uns in ein paar Jahr­zehn­ten womög­lich erwar­tet. Auch wenn nicht jedes Detail logisch ist. Wenn man beim Lesen dif­feren­ziert, ent­deckt man bald, dass zwei sehr unter­schied­li­che Ent­wick­lun­gen zwi­schen unse­rem Heute und Hier sowie die­ser Roman­zu­kunft statt­gefun­den haben müs­sen.

Zivi­lisa­to­risch gese­hen ist das näm­lich eine ganz andere Welt als die unsere. Das Ver­schwin­den jeder groß­flä­chi­gen Besied­lung, das Zusam­men­bal­len der Men­schen in dicht gedrängte Metro­po­len, die Umwand­lung gewal­ti­ger Flä­chen in Natur­reser­vate, zu denen der Mensch kei­nen Zutritt hat, all das ist doch (noch?) unend­lich weit ent­fernt von der gegen­wär­ti­gen Aus­prä­gung unse­rer Gesell­schaf­ten. Auch von der Ein­schrän­kung der Mobi­li­tät auf unse­rem Planeten, die in vier­zig Jah­ren bei Esch­bach selbst­ver­ständ­lich ist, sind wir heute Licht­jahre ent­fernt. Von der angeb­li­chen Exis­tenz von Flug­taxis für Ultra­rei­che haben einige Roman­figu­ren schon mal etwas gehört. Aber der Flug­ver­kehr unse­rer Jahr­zehnte ist offen­bar passé. Und eigene Auto­mo­bile besit­zen höchs­tens die Wohl­habend­sten oder Hand­wer­ker für Mate­rial­trans­porte.

In Hin­blick auf die Ein­füh­rung des bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens und auch auf die zeit­glei­che Abschaf­fung des Bar­gel­des wird die Leser­schaft wahr­schein­lich sehr gespal­te­ner Mei­nung sein. Wäh­rend die einen sol­che Sze­na­rien noch in fer­ner Zukunft ver­or­ten, sehen andere deren dro­hende Umset­zung schon in weni­gen Jahren vor uns. Die Leser des Romans könn­ten an die­ser Stelle also treff­lich mit­ein­an­der dis­kutie­ren. Oder aber sich hoff­nungs­los zer­strei­ten, wie das heut­zu­tage ja lei­der immer häu­fi­ger pas­siert.*

Technische Entwicklung

Wenn wir uns hin­ge­gen die tech­ni­sche Ent­wick­lung in der esch­bach­schen Ge­schich­te anse­hen, stel­len wir fest, dass sich in den nächs­ten vier­zig Jah­ren sehr, sehr wenig getan haben wird. Diese „Pods“, also die umfas­sen­den Steuer- und Über­wachungs­ge­räte, hat längst jeder von uns stän­dig bei sich. Das biss­chen Funk­tio­nali­tät, das da noch hinzu kom­men muss, ist nicht der Rede wert. Auch das Thema selbst­fah­ren­der Fahr­zeuge ist aus tech­nolo­gi­scher Sicht schon heut­zu­tage durch.

Auf den 3D-Druck für alles und jedes müs­sen wir hin­ge­gen wohl noch ein wenig war­ten. Wann es tat­säch­lich ein­mal keine Alter­na­ti­ven zu Möbeln aus „Wie­holz“ oder gar Mahl­zei­ten aus „Wie­hack“ und „Wie­milch“ geben wird, bleibt abzu­war­ten.

Aber auch wenn der genaue Umfang der künf­ti­gen Robo­teri­sie­rung unse­rer Welt frag­lich ist: Grund­sätz­lich bleibt doch fest­zuhal­ten, dass diese Roman­zu­kunft weni­ger an feh­len­den tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten als an man­geln­der poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Durch­setz­bar­keit schei­tern könnte.

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Wem die­se Buch­be­spre­chung ge­fal­len hat, wird sich viel­leicht auch für mei­ne Re­zen­sio­nen zu an­de­ren Esch­bach-Ro­ma­nen in­te­res­sie­ren: NSA oder Eines Men­schen Flü­gel.

Fazit:

Mit Freiheitsgeld hat uns Andreas Esch­bach ein­mal mehr ein Zukunfts­sze­na­rio prä­sen­tiert, an dem wir herum­kauen und uns womög­lich gar ver­schlu­cken könn­ten. Die Wahr­schein­lich­keit ist hoch, dass sich die Leser­schaft an sei­ner Umset­zung ver­schwö­rungs­theo­reti­scher Ansätze ent­zweien wird. Wer mag, kann dazu Details im Spoi­ler mei­ner Fuß­note* nach­le­sen. Ich emp­fehle die­sen Roman allen, die die Aus­ein­ander­set­zung mit alter­na­ti­ven Inter­pre­tatio­nen poli­ti­scher Ent­wick­lun­gen nicht scheuen, auch wenn sie selbst voll­kom­men ande­rer Ansicht sein soll­ten. Der Autor führt uns jeden­falls in eine beklem­mende Zukunft. Seine Welt des 21. Jahr­hun­derts schließt sich in ihrem Schre­cken den dun­kel­grauen Visio­nen Aldous Hux­leys und George Orwells an.

Tat­säch­lich bin ich selbst mehr als skep­tisch, wenn es um Ver­schwö­rungs­theo­rien zur WEF-Ini­tia­tive des „gro­ßen Umbru­ches“ geht. Das ist der ein­zige Grund, warum ich dem Roman aus mei­ner sehr sub­jek­ti­ven Sicht heraus nur drei und nicht soli­dere vier von fünf mög­li­chen Ster­nen ver­passt habe. Denn die­ses Fischen im trü­ben Ufer­schlamm des Kon­spi­ratis­mus mag mir nicht so recht gefal­len. Auch wenn Esch­bach sei­ner Erzäh­lung damit das Män­tel­chen ver­meint­li­cher Authen­tizi­tät umhängt. Andere Lese­r¦in­nen aller­dings wer­den das sicher ganz anders beur­tei­len als ich. Aber das ist ja auch durch­aus gut so.

Andreas Eschbach: Freiheitsgeld
Lübbe Verlag, 2022

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Fußnote:

*) Oben, im Abschnitt über die Behin­derun­gen der kri­mina­lis­ti­schen Ermitt­lun­gen, und auch in mei­nem Fazit habe ich auf Ver­schwö­rungs­theo­rien im Zusam­men­hang mit der Ini­tia­tive The Great Reset des World Eco­no­mic Forum hin­gewie­sen. Aus gutem Grund habe ich im Haupt­text mei­ner Bespre­chung auf Details dazu ver­zich­tet. Denn wer sich damit vorab befasst, für den wird der Roman unwei­ger­lich seine Span­nung ver­lie­ren. Wer aber den­noch wis­sen will, was ich mit mei­nen Bemer­kun­gen meine, die oder der mag viel­leicht den fol­gen­den Spoi­ler lesen.

Spoiler aufklappen

Grund­sätz­lich geht es um die behaup­tete Pla­nung eines Umstur­zes von oben. Eine Gruppe beson­ders Wohl­haben­der habe sich zusam­men­ge­tan. Sie mani­pulier­ten die Mario­net­ten, die auf poli­ti­schen Ent­schei­dungs­posi­tio­nen sitzen, in ihrem Sinn, um eine Dik­ta­tur der Dynas­tien zu etab­lie­ren. Oder wie Esch­bach eine sei­ner Roman­figu­ren aus­füh­ren lässt:

„Im Grunde sind Wah­len nur Show. Nach­rich­ten die­nen nur der Mani­pula­tion der Mas­sen. Sie wäh­len zwar ihre Anfüh­rer – aber die wie­de­rum len­ken wir. […] Zu jeder Zeit muss­ten die Rei­chen die Mäch­ti­gen im Zaum hal­ten.“
(Seite 407)

In seine Roman­hand­lung baut der Autor immer wie­der Hin­weise auf Bege­ben­hei­ten ein, deren Sinn und Zweck sich der Leser­schaft zunächst ver­birgt. Erst durch stete Wie­der­ho­lung werden wir miss­trau­isch. Wir begin­nen dann zu ahnen, dass hin­ter sol­chen Fin­ger­zei­gen wohl etwas Wich­ti­ges ver­bor­gen sein muss:

Geplante Reduzierung der Menschheit

So wei­sen Roman­figu­ren immer wie­der darauf hin, dass die Gebur­ten­ra­ten mitt­ler­weile weit unter frü­he­ren Wer­ten lie­gen. Im Zusam­men­hang wird stets stets eine offi­zi­elle Begrün­dung bemüht: Die Mensch­heit habe ihre Umwelt vor der gro­ßen Krise mit der­ar­tig vie­len Hor­mo­nen ver­seucht, dass Emp­fäng­nis ein schwie­ri­ges Unter­fan­gen gewor­den sei. Tat­säch­lich aber stellt sich im Roman heraus, dass Emp­fäng­nis­ver­hü­tung geplant über per­sona­li­sierte Medi­ka­mente bewirkt werde. Sol­che Medi­ka­mente wür­den ver­schrie­ben, ohne die Betrof­fe­nen über diese Neben­wir­kun­g zu infor­mie­ren.

Wer sich ein­mal umge­hört hat bei Ver­schwö­rungs­anhän­gern, denkt dabei natür­lich sofort an die Chem­trail-Theo­rie. Oder an den Bio­waf­fen-Vor­wurf, nach dem eine kons­pira­tive Elite um Bill Gates, die Roth­schilds und die Phar­main­dus­trie die Mensch­heit aus­rot­ten wolle. Tat­säch­lich wird das angeb­li­che Ziel, die Mensch­heit auf eine pla­neten­ver­träg­li­che Gesamt­menge von 500.000.000 zu redu­zie­ren, gegen Ende der Roman­ge­schich­te wie­der­gege­ben:

„… bis es nur noch etwa fünf­hun­dert Mil­lio­nen Men­schen gibt. [Dann] wird es mög­lich sein, auf Erden wie in einem Para­dies zu leben.“
(S. 410f)

Ewige Jugend durch Fremdblut

Eine gewisse Zeit lang, Ende der 2010er-Jahre, wurde eine krude QAnon-Ver­schwö­rungs­theo­rie auch durch Pro­mi­nente in Deutsch­land ver­brei­tet. Danach wür­den durch einen in höchs­ten Krei­sen ver­anker­ten Geheim­bund Tau­sende ent­führ­ter Kin­der in Kel­lern gefan­gen gehal­ten. Dort erlit­ten sie Fol­ter­ritu­ale, in denen ihnen Blut abge­nom­men werde, um daraus das ver­meint­li­che Jugend­se­rum Adre­no­chrom zu gewin­nen.

In Freiheitsgeld lesen wir nun von einer mys­teriö­sen Orga­nisa­tion namens „Stay Young“. Diese Orga­nisa­tion nähme jungen und kör­per­lich beson­ders fit­ten Men­schen ein beson­de­res Blut­ex­trakt und Sperma ab. Dafür seien Rei­che bereit, unge­heure Geld­sum­men zu zah­len, weil diese Extrakte tat­säch­lich län­ge­res und gesün­de­res Leben bewirk­ten.

Ahmad Müller und Ivana Quayle

Auf der Suche nach den Hin­ter­män­nern der Ver­schwö­rung, die ihm den Mord an sei­nen Kol­le­gen in die Schuhe schie­ben wol­len, trifft der Pro­tago­nist zuletzt im Ver­bote­nen Wald der „Teuto-Zone“ auf die Mul­timil­liar­dä­rin Yvana Quayle, die Personifizierung des Great Reset. Die Frau bestä­tigt dem Ermitt­ler, dass es Glei­che und Glei­chere gäbe. Eine gera­dezu unan­stän­dig rei­che Elite habe den Unter­gang der Mensch­heit ver­hin­dert, nicht zuletzt um selbst in den Genuss eines jahr­hun­derte­lan­gen, wenn nicht ewigen Lebens auf einem gesun­den Pla­ne­ten zu kom­men. Das Freiheitsgeld sei Teil des Plans, die Mensch­heit unter Kon­trolle zu hal­ten. Nur des­halb werde die­ses Grund­ein­kom­men zum erheb­li­chen Teil von den Eli­ten finan­ziert.

Quayle stellt Müller vor die Wahl: Er könne mit sei­nen neuen Erkennt­nis­sen nach Ruhr­stadt zurück­keh­ren und dort bei sei­nem Ver­such, die Mensch­heit auf­zuklä­ren, gran­dios schei­tern. Alter­na­tiv könne er sich jedoch der Eli­ten­bewe­gung anschlie­ßen und selbst pro­fitie­ren.

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