Der Katalane

Der Katalane
Noah Gordon, 2008

Den jüngsten Roman von Noah Gordon, Der Katalane, habe ich mir beim Auto­fah­ren vorle­sen las­sen. Es ist eine sehr ent­span­nende Ange­legen­heit, wenn man mor­gens ins Büro und abends wie­der nach Hause tuckert, neben­an auf dem Bei­fahrer­sitz Robert De Niro sitzt und mit sei­ner unver­wech­sel­baren, leicht heise­ren Stimme in aller Gelas­sen­heit die Geschich­te von Josep Álvarez, dem Sohn eines kata­lani­schen Wein­bauern aus dem neun­zehn­ten Jahr­hun­dert, erzählt. Wer könnte da schon wider­ste­hen? – Natür­lich benö­tigt man ein gerüt­telt Maß an Fanta­sie, um De Niro neben sich zu sehen und nicht nur zu hören. Denn tat­säch­lich, ich geste­he, saß da nie­mand mit mir im Auto. Und es war noch nicht ein­mal De Niros Stimme, son­dern die seines deut­schen Synchron­spre­chers, Chris­tian Brück­ner, die aus den Laut­spre­chern drang.

Soundcheck

Aber wenn man die Augen hätte schlie­ßen können wäh­rend der Fahrt, dann wäre die Illu­sion per­fekt gewesen. Man fühlte sich bei­nahe wie Max Berco­wicz, der in Once Upon a Time in America eine Spritz­tour mit seinem Kum­pel „Noodles“ unter­nahm und sich von ihm bequas­seln ließ.

Diese Stimme entschä­digt für vieles. Man verzeiht den Leuten von Random House Audio sogar die hand­werk­lichen Fehler, die sie in die Produk­tion des Hör­buches ein­flie­ßen haben lassen. Auf dem Cover der CD-Serie heißt es zwar, man habe fach­kun­dige Bera­tung beim Ein­spre­chen der kata­lani­schen Begriffe und Namen gehabt. Tat­säch­lich aber kräu­seln sich sowohl kasti­lischen Spaniern als auch Kata­lanen die Zehen­nägel, wenn De Niro – pardon: Brückner – Begriffe oder die Namen der Jungs und Mädchen aus Santa Eulalia aus­spricht, dem Ort, in dem der Prota­gonist Josep Álvarez auf­wächst.

Spätestens dann, wenn Josep nach dem Schieß­trai­ning seine Waffe zer­legt, einölt und im Boden ver­gräbt, droht dem Leser ein hyste­ri­scher Anfall: Den kata­lani­schen Ausruf, der die Szene ab­schließt, repòs en pau, über­setzt Brück­ner sofort im An­schluss mit „ruhe in Tei­len“. Korrekt hätte der fromme Wunsch in seiner Über­setzung ins Deut­sche lau­ten müssen: „Ruhe in Frieden!“ – Weit ist es mit der fach­kun­digen Sprach­bera­tung bei der Hör­spiel­produk­tion nicht her­gewesen.

Der Katalane – Historischer Hintergrund

Den Aufhänger zur Geschichte des Wein­bauern­jungen Josep Álvarez, näm­lich die histo­risch belegte Ermor­dung des Poli­ti­kers Joan Prim i Prats, hat Noah Gordon geschickt gewählt. Joan Prim war ein um­trie­biger, taktie­render, kata­lani­scher Poli­tiker des neun­zehnten Jahr­hun­derts. Nach mehre­ren Exil­aufent­halten und verschie­denen militä­rischen Ein­sätzen glückte es ihm, als Führer der königs­treuen Pro­gressisten im Jahr 1869 das Amt des spani­schen Minister­präsi­denten zu erlan­gen. Es gelang ihm schließ­lich, am 26. Novem­ber 1870 Amadeus, den Herzog von Aosta, durch die Abgeor­dneten der Madrider Cortes zum König Spaniens wäh­len zu lassen. Am 27. Dezember wurde Ama­deus I. vereidigt.

Noch am Abend dessel­ben Tages, im Anschluss an eine Parlaments­sitzung, wurde Prim in seiner Kutsche von mehre­ren Männern ange­hal­ten. Diese eröff­ne­ten das Feuer auf den Minister­präsi­denten, der in umittel­barer Folge am 30. Dezem­ber 1870 ver­starb. Die Hinter­gründe des Atten­tates wurden nie zur Gänze geklärt. Als Hinter­männer des Atten­tats galten republi­kani­sche Abge­ord­nete.

Der Katalane – Romanhandlung mit Hintergrund

Von solchen politischen Ränke­spielen ist den Jugend­lichen im beschau­lichen Dorf Santa Eulàlia in der Provinz Barce­lona nichts bekannt. Josep hat als zwei­ter Sohn der Familie Álvarez keine Aus­sicht auf ein Aus­kommen. Den kargen Wein­berg des Vaters soll der Sitte nach sein Bruder Donat, der Erst­gebo­rene, erben. Nivaldo, ein Freund des Vaters vermit­telt Josep als Rekru­ten an einen para­militä­rischen Ausbil­der. Gemein­sam mit eini­gen Freun­den wird der Junge gedrillt und im Schuss­waffen­gebrauch unter­richtet. Nach Abschluss der Ausbil­dung schafft der Ausbil­der sei­nen unbedarf­ten Trupp nach Madrid. Er bringt die Rekru­ten dazu, die Kutsche Prim i Prats aufzu­halten. Vor den Augen der Jungs erschie­ßen Unbe­kannte aus dem Hinter­halt den Minister­präsi­denten.

Nach dem Attentat flüchten die entsetz­ten Jugend­lichen. Josep muss gemein­sam mit seinem Freund Guillem anse­hen, wie ihre Freun­de als Zeu­gen des Mor­des umge­bracht werden. Kopflos fliehen die bei­den aus der Stadt. Um die Suche nach ihnen zu erschwe­ren, trennen sie sich. Josep setzt mittel­los seine ein­same Flucht fort und stran­det schließ­lich im franzö­sischen Languedoc bei einem Wein­bauern. Dort erlernt er von der Pike auf das anspruchs­volle Hand­werk des Wein­baus, bevor er 1874 nach dem Tod seines Vaters auf das heimat­liche Gut in Santa Eulàlia zurück­kehrt.

Der Katalane – Beharrlichkeit

Mit seiner Rück­kehr endet die Odyssee des Jungen. Von diesem Zeit­punkt an kann ihn nichts und nie­mand davon abhal­ten, das Ziel zu verfol­gen, das er sich selbst gesetzt hat, näm­lich wirk­lich guten Wein an Stelle des sau­ren Essigs anzu­bauen, den sein Vater und die ande­ren Bauern des Dorfes über Gene­ratio­nen hinweg kulti­vierten. Alle Hinder­nisse, die sich Josep in den Weg stellen, besei­tigt dieser mit stoi­scher Ruhe:

Er kauft seinem Bruder den Wein­berg ab, kämpft sich unver­dros­sen durch den Schulden­berg, sorgt für die dauer­hafte Wasser­versor­gung des Dor­fes, erle­digt ein vanda­lieren­des Wild­schwein, baut unbe­irrt von hämi­schen Kommen­taren der Nach­barn einen Wein­keller und erwei­tert sei­nen Besitz um die Parzelle seines fau­len Nach­barn Quim. Neben­bei bringt Josep Reb­stöcke auf Vorder­mann, verbes­sert Wein­kelte­rei und Quali­tät seines Reben­saftes. Erfolg­reich verkauft er seinen Wein.

Er trotzt dem Drän­gen seines Bruders, der seinen Besitz zurück­haben möchte, als er den Erfolg Joseps erkennt. Und er entle­digt sich schließ­lich gar ziel­gerich­tet der Leiche des zurück­gekehr­ten Militär­ausbil­ders, der sein neues Leben in Gefahr zu brin­gen droht. Schließ­lich heira­tet der Mann María del Mar, seine anfangs störri­sche Nachba­rin. Josep sieht zuletzt einer aus­sichts­reichen Zukunft als Qualitäts­wein­bauer in einer ehe­mals armen, kata­lani­schen Wein­bau­region entge­gen.

Der Katalane – Erfolgsrezepte

Eigent­lich eine lang­weili­ge Geschichte, möchte man urtei­len. Wenn da nicht zwei Umstän­de wären, die gegen eine so nega­tive Bewer­tung des Romans sprä­chen. Zum einen ist da die Erzähl­kunst des Autors Noah Gordons, die kei­nen Zwei­fel daran auf­kommen lässt, woran der Erfolg seines Prota­gonisten Josep liegt. Nur durch seine uner­schütter­liche Beharr­lich­keit auch in Momen­ten der Krise, durch den unbe­ding­ten Glau­ben an sich und seine Zie­le gelingt es Josep Álvarez, sich selbst in aus­sichts­los scheinen­der Lage durch­zu­setzen. Der Mann hat einfach das unwider­stehli­che Glück des Tüch­tigen!

Zum anderen tra­gen vor allem die Schil­derun­gen der Tech­nik des Wein­baus und der Wein­kelte­rei zur posi­tiven Grund­stimmung des Romans bei. Wenn Josep konse­quent neue Verfah­ren auspro­biert, wenn er seinen Wein verkos­tet, die Aro­men erspürt, dann ist der Leser unbe­dingt versucht, selbst eine Flasche Wein zu ent­korken und paral­lel zur Lek­türe (vermeint­lich) fach­männisch zu beur­teilen. Die Befrie­digung und der Genuss des Wein­bauers schla­gen durch auf die Leser­schaft und las­sen sie zu Kompli­zen des experi­mentie­renden Guts­besit­zers werden. Man gönnt Josep seinen Erfolg nicht zuletzt des­halb, weil man selbst als stil­ler Genie­ßer und ebenso stil­ler Teil­haber direkt dane­ben zu sit­zen scheint. Da zur Her­stel­lung eines guten Wei­nes vor allem Ruhe not­wen­dig ist, nimmt man den Mangel an span­nen­dem Auf und Ab gerne in Kauf.

Der Katalane – Bewertung

Man mag konsta­tieren, dass ein Quänt­chen mehr des histo­rischen Hinter­grun­des dem Roman nicht schlecht zu Gesicht gestan­den hätte. Aber wahr­schein­lich hätte die Geschich­te dann einen völlig ande­ren Schwer­punkt erhal­ten. Denn schließ­lich hat Josep, der Bauern­junge, der gerade ein­mal das Lesen und Schrei­ben erler­nen durfte, mit der spani­schen Poli­tik über­haupt nichts am Hut.

Noah Gordon legt den Schwer­punkt seiner Erzäh­lung auf die persön­liche Entwick­lung seiner Haupt­person. Und die trifft ihre Ent­cheidun­gen nun gerade nicht auf Basis poli­tischer Erwä­gungen. Selbst wenn die Zei­ten damals äußerst geschichts­trächtig gewe­sen sein muss­ten. Josep ist der ruhende Pol in einer Gesell­schaft, die bereits damals verrückt spielte. Trotz­dem trifft er seine Entschei­dungen nicht unter Abwä­gung poten­zieller Auswir­kungen der Politik auf das Leben der kata­lani­schen Land­bevöl­kerung, sondern einzig und allein in Hinblick auf seine persön­lichen Ziele.

Diese Einstellung möchte man gerade mit Blick auf die aktu­ellen politi­schen und wirt­schaft­lichen Ereig­nisse des ange­henden 21. Jahr­hun­derts dem einen oder ande­ren durch­aus als Grund­lage der persön­lichen Entschei­dungs­findung mit auf den Weg geben.

Fazit:

Der Katalane ist ein über weite Strecken unspek­takulär konstru­ierter Roman. Böse Zungen unter­stellen, die lahme Hand­lung und das Feh­len durch­gängi­ger Kon­flikte sei auf das Harmonie­bedürf­nis ihres mittler­weile 82-jähri­gen Autors zurück­zu­führen. Ob es Noah Gordon mit dieser Geschichte gelin­gen mag, an die Sensa­tion seines Welt­erfol­ges Der Medicus anzu­knüp­fen? Oder ob das Buch nur im Fahr­wasser des voraus gegan­genen Erfol­ges über­haupt in die Best­seller­listen gelan­gen konnte? Das sei dahin gestellt.

Es ist zwar durchaus zu befürch­ten, dass diese in sich ruhende, gemäch­liche Story von vielen Lesern als lang­weilig empfun­den wird. Diesen Ein­druck teile ich jedoch ausdrück­lich nicht. Die ruhige Geschich­te ist ein Lehr­stück dazu, wie man selbst aus ungüns­tiger Ausgangs­lage mit durch­dachten Entschei­dungen seine Ziele errei­chen kann, wenn man nur seine Chan­cen erkennt und zum richti­gen Zeit­punkt ergreift. Unbe­dingt aber stellt der Roman eine Empfeh­lung für alle Wein­freunde dar. Ich möchte Der Katalane mit drei rich­tig dicken von fünf Sternen bewer­ten, egal ob als gedruck­tes Buch oder als akusti­sches Hörbuch. – Salut i força al canut!

Noah Gordon: Der Katalane
Blessing Verlag, 2008

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