
Der junge, amerikanische Autor Christopher Paolini hat mit Die Weisheit des Feuers die dritten Folge der Fantasyserie um den Drachenreiter Eragon veröffentlicht. Obwohl sich mittlerweile längst Gezänk um die Qualität seiner Romane erhoben hat, bleibt doch zumindest festzuhalten, dass Paolini zu den schriftstellerischen Ausnahmeerscheinungen unserer Zeit gehört. Denn den ersten Teil der Romanserie, der zunächst noch im Selbstverlag erschien, schrieb Paolini im Alter von fünfzehn Jahren nach seinem High-School-Abschluss. Nachdem die Knopf Publishing Group professionelle Herstellung und Vertrieb des Buches übernommen hatte, avancierte Christopher Paolini bereits im Alter von neunzehn Jahren zum New-York-Times-Bestsellerautor.
Band eins und zwei der Eragonserie erschienen in den Jahren 2002 beziehungsweise 2003. Der nun vorliegende dritte Band wurde 2008 veröffentlicht und war ursprünglich als Abschluss einer Trilogie angekündigt worden. Tatsächlich aber hat die Geschichte trotz der 864 Buchseiten ihr Ende noch nicht erreicht. Der vierte Band ist in Arbeit, die meist jugendlichen, männlichen Leser sind begeistert.
Hintergrund der Geschichte
Worum geht es bei Eragon? – Im Fantasieland Alagäesia werden die Menschen durch den üblen Tyrannen Galbatorix unterjocht. Die benachbarten Stämme der Elfen im Norden des Landes und der Zwerge im Süden von Alagäesia müssen befürchten, ebenfalls von Galbatorix unterworfen zu werden. Einziger Hoffnungsschimmer ist ein Drachenei, das Galbatorix gestohlen werden konnte.
Die Rebellen hoffen nun auf die Unterstützung durch einen sogenannten Drachenreiter, einen Menschen, Elfen oder Zwergen, der als auserwählter Gefährte des auszuschlüpfenden Drachen dem fürchterlichen Galbatorix Paroli bieten soll. Der Dorfjunge Eragon wird zum Reiter des Drachenweibchens Saphira und nimmt an der Seite der Unterdrückten den Kampf gegen den Tyrannen auf. – Das war’s auch schon.
Über die Quellen
In Hinblick auf Personal, landschaftliche Einbettung und historische Konstruktion ist Christopher Paolini ein lupenreiner Epigone J.R.R. Tolkiens. Neben den Elfen, Zwergen und Menschen bevölkern Urgals das Land Alagäesia, die bei Tolkien noch Orks hießen. Die gewaltigen Brüder der Orks, die Urukais, kommen auch bei Paolini vor und heißen bei ihm Kulls. Die Beschreibung der Drachen und ihres Temperaments bei Eragon haben wir auch schon in Der Hobbit gelesen. Und selbst die tolkienschen Schattenreiter finden bei Eragon in den Ra’zac und den sogenannten Schatten ihre Pendants. Sauron heißt nun Galbatorix und Frodo eben Eragon. Und wie bereits bei Tolkien gibt es auch bei Paolini detaillierte linguistische Entwürfe der Sprachen von Menschen, Elfen und Zwergen. Die Sagengeschichte bietet hier absolut nichts Neues.
Was also kann den Verkaufserfolg der Fantasyvariante um den Drachenreiter Eragon erklären?
Tolkien vs. Paolini
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, möchte ich auf die unterschiedlichen Zielsetzungen und Zielgruppen der beiden Autoren hinweisen. Tolkiens Absicht lag in der Schöpfung einer Sage, die in ihrer Kraft religiöse Dimensionen erreichen sollte: ein Gewebe von Geschichten, Gedichten, erdachter Historie, erfundener Sprachen und literarischer Aufsätze über eine Parallelwelt zur menschlichen Existenz. Der Hobbit, Der Herr der Ringe und Das Silmarillion wandten sich an erwachsene Leser. Kinder oder Jugendliche dürften der Fülle und Dichte des tolkienschen Werkes kaum in der Tiefe folgen können.
Christopher Paolini setzt zwar auf den gleichen fiktiven Rahmen wie Tolkien, seine Zielgruppe besteht jedoch ganz eindeutig aus vornehmlich männlichen Jugendlichen. Bei ihm ist die Handlung aufgebaut wie ein Computerspiel: Der Protagonist startet in ein Abenteuer, für dessen Bestehen er zu Beginn des ersten Romanbandes nicht annähernd die nötigen Voraussetzungen erfüllt. Im Laufe der Zeit erwirbt er sowohl Fertigkeiten – Verstehen und Sprechen verschiedener Sprachen, Magie, Eigenschaften der Elfen –, als auch Gegenstände – Drachensättel, Schwerter, Energiereservetanks –, durch die er mehr und mehr in die Lage versetzt wird, den zunächst übermächtigen Gegnern zu trotzen. Enorm viel Raum nehmen bei Paolini die Schilderungen des Erwerbs von Fähigkeiten durch Eragon ein. Ganze Seiten füllt er mit Kampftraining, Sprachübungen, oder zuletzt dem Schwertschmieden.
Ich vermute, dass Jungs beim Lesen der Geschichte durch die schrittweise Entwicklung von Fähigkeiten des Helden und die detaillierte Beschreibung seiner Vorgehensweise ähnlich wie bei Rollenspielen eine enorm starke Identifikation mit Eragon aufbauen können.
Bewertung
Trotz der Detailschärfe seiner Erzählung gelingte es dem Autoren fast durchgängig, den Handlungsfluss spannend und unterhaltsam zu gestalten. In der Ausgewogenheit zwischen Detail und Tempo liegt womöglich das besondere Talent von Christopher Paolini. Wir dürfen gespannt sein auf den vierten und (angeblich) letzten Teil der Sage um die Drachenreiter Alagäesias.
Apropos vierter Teil: Mehrfach wurde kritisiert, dass die Ausweitung von der geplanten Trilogie auf eine Ringerzählung eine ausgemachte Beutelschneiderei sei. Paolini habe bemerkt, dass sich seine Bücher gut verkauften. Also habe er konsequent beschlossen, mit einem vierten Roman noch mehr Geld zu scheffeln. So mancher Kritiker bemängelt, dass der Autor seine Geschichte durch Exkurse zu Nebencharakteren, die inhaltlich keinen Beitrag leisteten, künstlich aufgebläht habe. Dieser Kritik schließe ich mich ausdrücklich nicht an. Ohne diese Exkurse wäre der Roman nach meinem Geschmack doch sehr eindimensional ausgefallen.
Fazit:
Natürlich hat sich Christopher Paolini bei Tolkien und anderen Fantasyklassikern ohne rot zu werden bedient. Wir sollten allerdings nicht vergessen, dass der Autor derzeit nach Veröffentlichung der dritten Folge gerade einmal 25 Jahre alt ist. Er hat eine zweifellos spannende, geradlinige und überzeugende Geschichte abgeliefert und über insgesamt beinahe dreitausend Romanseiten konsequent durchgehalten. Eine vollständige Bewertung jedes einzelnen der Bände wird vermutlich erst nach Erscheinen des letzten Buches möglich sein. Erst dann wird sich zeigen, wie strukturiert Paolini seine Erzählung angelegt hat.
Mir haben jedoch alle drei Romane bisher gut gefallen. Sie sind alle unterhaltsam, Band drei eröffnet gar im Gegensatz zu den beiden ersten Folgen dem abschließenden Nachfolgeroman noch einmal alle Möglichkeiten. Handwerklich sehr gut gemacht, Herr Paolini! – Für die solide und spannende Unterhaltung bekommt der dritte Teil von Eragon drei von fünf Sternen, wobei ausdrücklich darauf hingewiesen sei, dass diese Bewertung aus Sicht eines viel zu alten Lesers zu Stande gekommen ist. Angehende Teenager männlichen Geschlechts, so wie etwa mein eigener Sohn, mit dem ich bisher alle drei Romane um die Wette gelesen habe, würden Eragon ohne mit der Wimper zu zucken vier Sterne verleihen. Oder sogar fünf. Und das könnte ich – ebenfalls ohne mit der Wimper zu zucken – gut verstehen.
Christopher Paolini: Eragon 3. Die Weisheit des Feuers
cbj Verlag, 2008
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