
Peter Karoshi macht sich auf den Weg Zu den Elefanten. Denn so lautet der Titel der Novelle des Wiener Kulturwissenschaftlers, Historikers und Schriftstellers, die 2021 überraschend für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Mich interessiert an diesem Text vor allem die Tatsache, dass der Autor dabei Bezug nimmt auf eine historisch verbürgte Begebenheit; nämlich auf die Reise des Elefanten Soliman von der iberischen Halbinsel bis nach Wien, die im sechzehnten Jahrhundert stattfand. Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere Leser¦in noch an den Roman Die Reise des Elefanten von José Saramago, des portugiesischen Nobelpreisträgers, in dem genau diese Elefantenreise erzählt wurde.
Karoshi ist sich der literarischen Vorgeschichte durchaus bewusst. Sein Protagonist Theo spricht sogar mit dem Sohn über den Roman des Portugiesen. Die Reise des Elefanten kommt dabei allerdings aus Sicht des Historikers schlecht weg:
„Ja, José Saramago, der war das. Aber, schau, ich habe das Buch nie gelesen, so einen historisierenden Scheiß kann keiner lesen. Das ist es ja, was einen in den Wahnsinn treibt, dass einer eine wahre Geschichte nimmt und sie völlig neu und falsch erfindet!“
(Seite 79)
Randnotizen zum Autor
Wer meine Buchbesprechung des Saramago-Romans gelesen hat, weiß, dass ich dem geistigen Vater Theos keinesfalls zustimme, was seine Bewertung dieses Romans angeht. Aber ich bin ihm deshalb nicht gram. Kann ich gar nicht. Denn schon vor meiner Lektüre von Zu den Elefanten hatte ich ein fünfzehnminütiges Interview* gesehen, in dem sich Karoshi mit einer ORF-Kulturredakteurin über sein Buch unterhält. Dabei war ich zunächst ein wenig irritiert, dann aber durchaus angenehm berührt:
Peter Karoshi ist mir selbst sowohl in seinem Äußeren als auch im Auftreten und seiner Sprache erstaunlich ähnlich. Er könnte glatt als mein fünfzehn Jahre jüngerer Bruder durchgehen. Solche Gemeinsamkeiten verbinden natürlich, selbst wenn sie eingebildet sein sollten. Der Autor ist mir jedenfalls sehr sympathisch.
Auf der Online-Suche nach dem Mann bin ich über ein Kuriosum gestolpert. Sein Nachname ist der japanische Begriff für „Tod durch Überarbeiten“. Wenn wir berücksichtigen, dass seine Figur Theo in der Erzählung an seiner beruflichen Entwicklung (ver)zweifelt, gibt diese Namensbedeutung der Novelle eine bizarre Note.
„Zwanzig Jahre sind vergangen und ich habe nicht die geringste Erinnerung daran, wie es eigentlich gekommen ist, dass ich in diesem Job gelandet bin.“
(Seite 17)
Worum es geht
Karoshi berichtet aus der Warte des Kulturwissenschaftlers Theo über einen Urlaubsmonat im Juli eines nicht benannten Jahres unserer Gegenwart. Dieser Theo, seine Frau Anna, eine Naturwissenschaftlerin, und der neunjährige Sohn Moritz schicken sich an, die Sommerferien im Tiroler Urlaubsort Sonnseit zu verbringen. Theo hat das Gefühl am Rande der Zeit stehen geblieben zu sein, die wie ein D-Zug an ihm vorbeirauscht. Er stellt seine einst getroffene Berufswahl in Frage, sorgt sich um seine Ehe und die Vater-Sohn-Beziehung. Man könnte vielleicht auch sagen, der vierzigjährige Theo durchlebt eine gestandene Midlife-Krise.
In Sonnseit ergibt sich eine ungeplante Wendung. Anna muss ihren Urlaub aus beruflichen Gründen unterbrechen, und in Theo manifestiert sich die Idee, zusammen mit Moritz eine historische Reise zu unternehmen. Die beiden wollen die Reiseroute, die Erzherzog Maximilian und der Elefant Soliman Jahrhunderte zuvor von Genua über die Alpen bis nach Wien gewählt hatten, in umgekehrter Richtung beschreiten: von Salzburg bis nach Italien, so weit die Füße tragen. Von Elefantengasthof zu Elefantengasthof.
Doch dieser Vater-Sohn-Urlaub ist schlecht geplant und noch schlechter vorbereitet. Unerwartete Geschehnisse stürzen Theo in tiefe Selbstzweifel und machen aus der erhofften gemeinsamen Erlebnisreise einen wahnwitzigen Selbsterfahrungstrip. Surreale Entwicklungen der Geschichte werfen die Frage auf, inwieweit das Erzählte Realität sein kann oder Traum-Grotesken des Protagonisten wiedergeben.
Sich in die Zeit eintragen
Theos Obsession ist sein Problem, sich nicht in einer Zeit zu finden, die unwiederbringlich vergeht. Mit der Elefantenreise will er dieses Manko gutmachen: Zeit gemeinsam mit seinem Sohn festschreiben, bevor sie davonläuft. Dazu bedient sich Theo vermeintlich geeigneter Werkzeuge. Er legt einen Reiseblog an und dokumentiert den Verlauf fotografisch auf Facebook. Doch mit dem Ergebnis ist er nur bedingt zufrieden.
Die untauglichen Versuche, sich in die Zeit einzuschreiben gipfeln zuletzt in einer verrückten Aktion gegen Ende seiner fluchtartigen Reise. Im Felsbilderpark des Valle Camonica ergänzt Theo die 10.000 Jahre alten Einritzungen mit Hammer und Schraubenzieher um sein eigenes Bild.
Der Grund, warum ich überhaupt bei Peter Karoshis Novelle gelandet bin, nämlich die titelgebende Reise des Elefanten, bildet zunächst lediglich einen willkürlich erscheinenden Rahmen für die Handlung. Doch halte ich es für durchaus statthaft, diesen historischen Elefanten durch Theos Augen als einen zu sehen, der es geschafft hat, sich in die Zeit einzutragen. Denn überall auf der Route finden sich Reminiszenzen, die immerhin fünf Jahrhunderte überdauert haben.
„Einst kam ein großer Elefant von Süden her in unser Land. In dieses Haus da kehrt er ein und aß und trank viel guten Wein. Gesättigt froh und heiter zog er dann wieder weiter. Also geschehen anno domini 1551“
(Hotel Elefant, Auer in Südtirol, Seite 5)
Erfolgsrezept
Inwieweit sich der Autor selbst in seiner Geschichte und in die Figur des Theo eingebracht hat, ist schwer zu sagen. Aber die Parallelitäten von Altersklasse (40+), Wohnort (Wien) und Beruf (Kunstwissenschaftler) gibt zumindest zu denken. Karoshi selbst sagt dazu:
„Ich hoffe, dass ich nicht selbst zu sehr vorkomme im Text, aber es lässt sich nicht vermeiden, dass man sich wiederfindet, das stimmt.“
(Zitat aus dem TV-Interview*)
Die Vorstellung einer autobiografischen Komponente verleiht der Erzählung natürlich noch zusätzlichen Reiz. Aber selbst wenn gar nicht so arg viel Peter in Theo stecken sollte, macht diese Reise Zu den Elefanten mächtig Eindruck. Karoshis eigentümlicher Schreibstil gefällt mir. Er kann äußerst präzise beschreiben, man hat beim Lesen sofort Bilder im Kopf. Und im nächsten Satz liefert er dann Theos Gedanken zu seinen Beobachtungen. Das ist ein Rhythmus, der sich durch den gesamten Text hindurch – und die Leserschaft in seinen Bann zieht.
Der Autor bekommt es auch hin, seine Leser¦innen nicht abzuhängen, wenn er delirierend in Wahnträume eintaucht. Ganz im Gegenteil. Meine absoluten Lieblingspassagen finden sich zwischen den Seiten 150 und 170 und handeln im berühmten Hotel Elefant in Auer. Man wird nicht recht schlau daraus, was sich dort eigentlich abspielt. Es ist eine groteske Mischung aus realem Erleben: Theo als Hotelgast, aus alkoholischem Rausch an der Bar und aus drastischen surrealen Erlebnissen, die zwischen himmelhohem Jauchzen und kreischendem Hass oszillieren, so wie wir sie ehestens aus Albträumen kennen. – Ich würde sagen: brillant! Auch wenn andere Leser womöglich sagen werden: Das hätte sich der Karoshi aber sparen können.
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Fazit:
Mir hat diese verunglückte Reise Zu den Elefanten richtig gut gefallen. Ich verstehe jetzt, wieso dieser Titel für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde. Und ehrlich gesagt hätte ich ihn auch gut und gerne auf der Shortlist gesehen. Da ist also einer, der Schwierigkeiten hat, sein Leben so zu akzeptieren, wie es läuft, und der beim Versuch, sich selbst zurecht zu rücken, außer Rand und Band gerät. Das Ganze hat der Autor überzeugend und ansprechend in Textform gebracht.
Ich meine, wir reden hier zwar nicht von Literatur für die Ewigkeit. Aber für einen weiteren Lesedurchgang ist Peter Karoshis Novelle auf jeden Fall gut. Vielleicht während einer Sommerreise durch Südtirol? Aus diesem Grund ist das Buch nur ganz knapp an den vier Wertungssternen vorbeigeschrammt. Aber drei sehr, sehr dicke Sterne von fünf möglichen ist mir die Geschichte auf jeden Fall wert.
Peter Karoshi: Zu den Elefanten
Leykam Verlag, 2021
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Fußnote:
*) #ausnahmegespräche, ORF TV: Katja Gasser interviewt Peter Karoshi (4. Mai 2021)