Sakrileg

Sakrileg
Dan Brown, 2003

Im englischen Original lautet der Titel von Dan Browns Best­seller The Da Vinci Code. Damit nimmt der Autor Bezug auf ein zentra­les Thema seines Thrillers. Der deutsche Roman­titel hinge­gen nennt beim Namen, welche Reak­tion Brown mit der Kern­these seiner Geschichte ausge­löst hat: Als „Sakrileg“ betrachten manche Christen die gewagte Unter­stellung einer intimen Bezie­hung zwischen dem histo­rischen Jesus Christus und Maria Magda­lena. Den Verkaufs­zahlen des Buches kommt der Streit zwi­schen den Lagern zu Gute. In den vergan­genen Wochen stand Sakrileg über Wochen hinweg an der Spitze der Best­seller­listen in Deutsch­land.

Vier Jahre nach Angels And Demons, das in der deut­schen Über­set­zung unter dem Titel Illuminati erschien, veröffent­lichte Dan Brown die Fort­set­zung der Erleb­nisse seines Helden Robert Langdon. Wie bereits in der Rezen­sion zu Illuminati im Detail beschrie­ben wurde, wirkt der Vorgän­ger­roman wie ein Ent­wurf für Sakrileg. Sehr wahr­schein­lich stimmen mir viele Leser zu, die beide Bücher kennen: Die zweite Geschichte wirkt zumin­dest in Bezug auf Stimmig­keit und Über­zeugungs­kraft des Plots ausge­woge­ner und gelun­gener. Weniger Anlei­hen bei James Bond und Indiana Jones erhö­hen Realitäts­bezug und Wahr­schein­lich­keit der Hand­lung im Ver­gleich zu Illuminati deut­lich. Auch wenn der Autor seinen Prota­go­nisten in den ersten Abschnit­ten des zwei­ten Romans augen­zwin­kernd als „Harrison Ford in Harris Tweed“ beschreibt.

Sakrileg – Zur Handlung

Nach einem Vortrag, den Langdon in Paris hielt, wird er mitten in der Nacht von der franzö­sischen Kriminal­polizei aus dem Hotel in den Louvre gebracht. In einem der Aus­stellungs­räume liegt die unbe­klei­dete Leiche des Museums­kura­tors. Der Leich­nam ist arran­giert wie auf Leonar­do Da Vincis berühm­ter Proportions­studie nach Vitruv. – Dem nackten „Schnee­engel“, gerahmt von Kreis und Quadrat. Robert Langdon hatte eine Verab­redung mit dem Toten gehabt, zu der dieser nicht erschie­nen war.

Die Polizei bittet den Symbo­lolo­gen Langdon um Mit­hilfe beim Enträt­seln des merk­wür­digen Mord­szenarios. Von diesem Moment an über­schlagen sich die Ereig­nisse. Der Prota­gonist trifft noch im Museum die Enke­lin des Opfers, Sophie Neveu. Diese gibt ihm zu verste­hen, dass er nicht Hel­fer, sondern Tat­ver­dächti­ger sei. Sie über­redet ihn zur Flucht und beginnt mit seiner Hilfe die erstaun­lichen Rätsel zu dechiffrie­ren, die ihr Groß­vater im Ange­sicht des Todes hinter­lassen hatte.

Sakrileg – Religionsgeschichtliche Einordnung

Das klingt nicht nur in meiner extre­men Kurz­fassung merk­würdig. Bei genaue­rem Hinse­hen ist die Geschichte auch im Origi­nal äußerst ver­wegen ange­legt. Dies gilt nicht nur für die krimi­nalisti­sche Rahmen­hand­lung. Auch die histo­rische Aus­sage, die Dan Brown für seine Leser formu­liert, ist gewagt.

Um es vorweg zu nehmen: Der Tote im Louvre war der oberste Tempel­ritter, Vorste­her der Priorie de Sion. Der Zweck dieses Geheim­bundes besteht darin, Inhalt und Aus­sage des Heili­gen Grals zu bewah­ren. Der Autor hat weitge­hende Recher­chen ange­stellt. Er webt in die span­nende Hand­lung seines Thrillers eine höchst umstrit­tene These:

Der Heilige Gral sei im Wesent­lichen kein mone­tärer Schatz. Er sei auch nicht die Schale, in der Jesu Blut aufge­fan­gen wurde. Viel­mehr handle es sich um ein abstrak­tes Geheim­nis, das die katho­lische Kirche seit vielen Jahr­hun­derten zu verschlei­ern versu­che. Jesus Christus sei mit Maria Magdalena verhei­ratet gewesen. Mit ihr habe er ein Toch­ter namens Sarah gezeugt. Mutter und Tochter seien nach dem Kreuz­tod Jesu ver­schwun­den. Doch die Blut­linie des Christen­königs und Maria Magda­lenas habe in Frank­reich weiter­gelebt. – Heiliges Blut, Sang Real, Sang Raal, Sangraal, der Heilige Gral …

Da schluckt der Leser erst ein- oder zwei­mal. Vor allen Din­gen, wenn er am Ende des Romans die Pointe präsen­tiert bekommt: Dass nämlich ausge­rech­net die Co-Prota­gonistin Sophie Neveu und deren Bruder die beiden letz­ten leben­den Nach­kommen der Blut­linie Jesu Christi sein sollen.

„Schund!“, schreit er, der gebeu­tel­te Leser, „billiger Quatsch, an den Haaren herbei gezerrt!“

Sakrileg – Historische Bewertung

Aber so einfach soll­te er es sich nicht machen, der Leser. Denn zwar hat sich Dan Brown wieder einmal die Rosinen­stück­chen aus allen mög­lichen Inter­pretati­onen der Religions­historie heraus­gepickt. Diese hat er äußerst publikums­wirksam zum Thema seines Romans verar­bei­tet.
[Nach­trag: Beide Brown-Romane wur­den übrigens – wie nicht anders zu erwar­ten – ver­filmt. Sakri­leg erschien 2006 in den Kinos, Illu­mi­nati 2009. In bei­den Fil­men spielte Tom Hanks die Rolle des Robert Lang­don.]

Die These, Jesus und Maria Magda­lena seien liiert oder gar verhei­ratet gewe­sen, wird bereits seit mehre­ren Jahr­zehnten von ernst zu nehmen­den Histo­rikern öffent­lich vertre­ten. Diese beru­fen sich dabei auf Text­stellen erst in der Neu­zeit entdeck­ter, histori­scher Doku­mente, etwa auf das Philippus-Evangelium. Dort ist die Rede davon, dass Jesus seine erste Jünge­rin oft auf den Mund küsste. Dadurch habe er Eifer­sucht unter seinen männ­lichen Gefolgs­leuten provo­zierte. Auch offen­sicht­liche Kontro­versen zwischen Petrus und Maria Magda­lena werden gerne als Grund­lage der Ehe­these angeführt. In der Konse­quenz, so heißt es, habe später die katho­lische Kirche, die sich als Nach­kommen­schaft Petri durch die Domi­nanz einer Frau existen­ziell bedroht gefühlt habe, Maria Magda­lena verun­glimpft und ihre wahre Rolle vertuscht.

Anhänger der vati­kani­schen Ausle­gung hinge­gen argumen­tieren damit, man dürfe den Aus­tausch von Küssen zwischen Maria und Jesus keines­falls wört­lich nehmen. Man müsse ihn viel­mehr meta­pho­risch inter­pre­tieren. Vor allem aber sei die These einer Ehe­schlie­ßung oder gar einer Blut­linie des Erlö­sers, die bis in unsere Zeit hinein existiere, in keiner Weise zu bele­gen.

Sakrileg – Meine Einordnung

Partei zu ergrei­fen für eine der grund­sätzlich verschie­denen Ausle­gungen, wage ich schon alleine aus fach­licher Unkennt­nis nicht. Jeder Leser des Romans von Dan Brown mag sich sein eige­nes Urteil bilden.

Auf jeden Fall hat der Autor mit Sakrileg zweifels­ohne den Verdienst erwor­ben, die Diskus­sion um die mögli­chen Varian­ten der Erlöser­geschichte aus dem Elfen­bein­turm hinaus in die breite Öffent­lich­keit getra­gen zu haben. Wer sich über die spannungs­gela­dene Hand­lung hinaus für Hinter­gründe interes­siert, sollte sich einen kompe­tenten Kommentar­band zu Gemüte führen. Ein solcher behan­delt die Wider­sprüche viel detaillierter und kompe­tenter, als ich es an dieser Stelle kann. Empfehlens­wert wäre sicher Die Wahr­heit über den Da-Vinci-Code von Dan Bur­stein.

~

Übrigens: Wem das Sakrileg in seiner histo­rischen Ein­ord­nung gefällt, den könnte viel­leicht auch meine Buch­bespre­chung zu Illuminati interes­sieren.

Fazit:

Sakrileg wirkt im Ver­gleich zur Vor­geschich­te, die auf deutsch unter dem Titel Illuminati veröffent­licht wurde, um ein Viel­faches über­zeugen­der und interes­santer. Der Roman ist bestens dazu geeig­net, Fanta­sien zu entzün­den, oder aber auch ein­fach nur das Lese­vergnü­gen von Thriller­fans zu befrie­digen.

Wenn da nicht die leider immer noch ziem­lich plumpe Schreibe des Autors wäre, ich hätte mit Vergnü­gen die vollen fünf Sterne vergeben. So aber bringt es Dan Brown immer­hin ver­dient auf vier Zäh­ler.

Dan Brown:
The DaVinci Code
| Sakrileg
🇺🇸 Bantam Press, 2003
🇩🇪 Lübbe Verlag, 2006

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