Nach seinem erratischen Abgang im dritten Band der Wallanderserie, Die weiße Löwin, galt Kurt Wallander bei seinen Leser¦innen ebenso wie bei den Kollegen in Ystad als ausgebrannt. Verbraucht. Fertig. Doch gut ein Jahr später kehrt der schwedische Kult-Kommissar entgegen aller Erwartung zurück. Die Wallander-Serie findet also ihre Fortsetzung in einem vierten Teil: Der Mann, der lächelte.
Kurt Wallanders Verantwortungsbewusstsein greift noch einmal, nachdem er von einem Bekannten um Hilfe gebeten wird: Dessen Vater sei unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen. Und kurz darauf wird der Bekannte selbst ermordet. Das kann ja wohl nicht wahr sein, befindet Wallander. Und deshalb kehrt er zurück in den Polizeidienst und verbeißt sich in gewohnter Manier in den Fall.
Im vierten Roman seiner Serie nimmt sich Henning Mankell des Themas Kriminalität in höchsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kreisen an.
„Es wird ja behauptet, dass sich hinter jedem Vermögen ein Verbrechen verbirgt.“ (Seite 119)
Wir wissen nicht, ob der Autor nicht eigentlich nach Band drei genug von seiner schwierigen Hauptfigur gehabt hätte. So einige Punkte der Romanhandlung von Die weiße Löwin hätten für diese Annahme gesprochen. – Man könnte den Abgang Wallanders im dritten Band durchaus auch als Angebot Mankells an seine Fangemeinde und an Rezensenten verstehen. Wollt Ihr den verkrachten Polizisten überhaupt noch einmal sehen? Nun muss die Antwort auf diese versteckte Frage also lauten: Sag niemals nie!
Wie läuft also diese neue, post-apokalyptische Geschichte?
Das erste Zehntel des Romans befasst sich mit einer Regenerations- oder Läuterungsphase. Mankell lässt seinem Protagonisten sehr lange Zeit, sich wiederzufinden. Wallander ist nach dem dritten Band schwer angeschlagen. Er bewegt sich zwischen Therapeuten und einem unwirklichen, zähen Leben an dänischen Gefilden, wo er in quälenden Passagen versucht, sich und seine Gefühle in Einklang zu bringen. Doch dies gelingt ihm nur ansatzweise. Sein persönlicher Durchbruch kommt unerwartet in Gestalt seines früheren Scheidungsanwalts, einer Figur aus der weit zurückliegenden Vergangenheit. Die Geschichte dieses Mannes – und nicht zuletzt dessen plötzliche Ermordung – bringen Wallander schließlich dazu, wieder in sein Leben als Kriminalermittler zurückzukehren.
Es ist zu befürchten, dass diese längliche Findungsphase Leser¦innen womöglich unwirsch zurücklässt. Meine Güte, man stelle sich nur vor, jemand läse diesen vierten Band als ersten Wallander. Ein Debakel sondergleichen! Ich jedenfalls würde unvorbelastet sogleich alle zehn Finger von diesem Machwerk lassen, das sich über dreißig Buchseiten hinweg ziel- und planlos dahinschleppt. – Merke: Es ist keine gute Idee, einen Krimi mit seitenlanger Aufarbeitung zuvor entstandener Schieflagen zu beginnen.
Being Wallander
Nun gut, der Protagonist ist also zurück im Job. Seite 36: „Jetzt war er wieder im Dienst.“ Endlich kann also die akute Romanhandlung beginnen. Und sie beginnt mit der bewährten mankellschen Ermittlungsarbeit: also Hinweise, Nachforschungen, Verhören, Bewertungen; alles in Echtzeit, so wie wir es von Wallander kennen. Oder wie sein Kollege Martinsson zynisch anmerkt:
„»Was Kurt brauchte, war ein ordentlicher Mord. Kein Totschlag. Nein, ein richtiger Fall: zwei tote Anwälte, eine Landmine in einem Garten und eine asiatische Sprengladung im Benzintank, das war das Rezept, um ihn genesen zu lassen.«
Niemand zweifelte daran, dass Martinsson irgendwie recht hatte.“
(Seite 218)
Allerdings brauchen Wallander und seine neue Kollegin Höglund immerhin von Seite 36 bis 202 des Romans, um einen konkreten Tatverdächtigen auszumachen. Und dies, obwohl dieser Verdacht doch von Anfang an nahe gelegen hatte. Nun ja, eine gewisse Zähigkeit in den Ermittlungen war ja schon früher Markenzeichen der Wallanderromane.
Erst in der zweiten Romanhälfte konzentriert sich das Ermittlerteam in Ystad auf einen Hauptverdächtigen, dem jedoch die Schuld nicht ansatzweise nachzuweisen ist. Also macht sich Wallander wieder mal auf eigene Faust und ohne Legitimation daran, dem Manne auf den Pelz zu rücken.
Nur sehr kurz zum Inhalt
Um was es inhaltlich geht, lässt sich in wenigen Zeilen zusammenfassen: Ein skrupelloser Wirtschaftsmagnat beschäftigt eine familiengeführte Anwaltskanzlei, um seine Machenschaften zu verschleiern. Er bezahlt außerordentlich gut. Als den Anwälten urplötzlich auffällt, dass der Magnat am Gesetz vorbei operiert, lässt dieser Vater und Sohn beseitigen. So wie er schon zuvor andere Mitwisser unauffällig aus dem Weg räumen ließ. Und so wie er auch nicht zögert, Wallanders Wagen mit einer Autobombe bestücken zu lassen, als ihm dieser zu nahe kommt. Wird es Kurt Wallander gelingen, den „Mann, der lächelte“, in letzter Sekunde zu stoppen, bevor dieser sich absetzen kann?
Bewertung
Ich habe ja bereits darauf hingewiesen, dass ich den Romaneinstieg mit der ausführlichen Schilderung von Wallanders Persönlichkeitskrise für nicht sonderlich gelungen halte. Danach folgt über weite Strecken der Erzählung das, was wir schon aus früheren Serienbänden kennen. Nämlich akribische Ermittlungsarbeiten, die die Polizei irgendwann auf die richtige Spur setzen.
Allerdings wird der Leserschaft spätestens in diesem Moment klar, dass ein Schuldnachweis unter den gegebenen Umständen und Verflechtungen kaum zu führen sein kann. Jedenfalls nicht in den zwei Monaten, die die Romanhandlung einnimmt. Autor Mankell löst dieses Dilemma, indem er seinen Wallander erneut ausrasten und als Ein-Mann-Armee in die Schutzburg des Bösewichtes eindringen lässt.
Dieser Part wirkt dann doch arg an den Haaren herbeigezogen. Natürlich gelingt es dem untrainierten Schwedenhelden dann auch noch, zwei menschliche Kampfmaschinen und Killerexperten gleichzeitig auszuschalten und anschließend in letzter Sekunde auf dem Flughafen die Flucht des Oberschurken zu stoppen, indem er dessen Jet kurz vor dem Start mit einem Gepäcktransportwagen rammt. – Kennt jemand den abgefahrenen Tschiller-Tatort, in dem der Schauspieler Til Schweiger einen roten Mähdrescher auf dem Roten Platz in Moskau parkt? Ich weiß nicht, warum ich bei Wallanders Showdown ausgerechnet an diese Filmszene denken musste.
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Notiz am Rande: Dieser Roman ist der erste der Wallanderserie, den ich als gebundene Ausgabe gelesen habe. Aber auch der Paul Zsolnay Verlag verlässt sich bei der Gestaltung des Schutzumschlages – so wie der Deutsche Taschenbuchverlag bei den Taschenbüchern – auf Gemälde alter Meister. Auf dem Titel (siehe Abbildung ganz oben) sehen wir einen Ausschnitt eines Werkes des Engländers Edward Robert Hughes, Oh What’s That in the Hollow? (1893)
Wer diese Rezension gern gelesen hat, könnte sich eventuell auch für Buchbesprechungen anderer Wallanderromane interessieren oder meine Themenseite über Kurt Wallander ansehen wollen.
Fazit:
Natürlich gehört auch Teil vier der Wallanderromane zum Lese-Soll eingefleischter Mankellfans. Und ganz so arg, wie ich sie in meiner Bewertung beschrieben habe, mag die eine oder der andere Leser¦in die Mängel von Der Mann, der lächelte womöglich gar nicht empfinden. Dennoch, ich befürchte, sowohl der Protagonist als auch der Autor scheinen in diesem Band in einer Krise gesteckt zu haben.
Allein schon, um das Verhältnis zu den anderen, gelungeneren Wallanderromanen des Autors zu wahren, komme ich nicht umhin, dem Mann der lächelte nicht mehr als zwei von fünf möglichen Sternen zuzugestehen. Zwei Sterne mit Tendenz zu dreien zwar. Aber dieser vierte Teil gehört jedenfalls zu den schwächeren der zwölfteiligen Serie.
Henning Mankell: Der Mann, der lächelte
Zsolnay Verlag, 2001
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