Die weiße Löwin

Henning Mankell, Die weiße Löwin, 1995
Henning Mankell, 1995

Aller guten Dinge sind drei. Nach Mör­der ohne Ge­sicht und Hun­de von Ri­ga ver­öf­fent­lich­te Hen­ning Man­kell er­neut nach nur einem Jahr den drit­ten Band sei­ner Kri­mi­se­rie um Kom­mis­sar Wal­lan­der. Die weiße Löwin er­zählt die Ge­schich­te der Vor­be­rei­tung eines At­ten­tats auf einen be­kann­ten süd­afri­ka­ni­schen Po­li­ti­ker. Ge­wiss wä­re die­ser Mord­an­schlag auch ge­glückt, hät­ten die Ver­ant­wort­li­chen nicht den Feh­ler ge­macht, sich aus­ge­rech­net mit Kurt Wal­lan­der an­zu­le­gen. – Na­nu? Wal­lan­der und Süd­afri­ka? Der Autor wird doch sei­nen Pro­ta­go­nis­ten jetzt nicht auch noch ans Kap der Gu­ten Hoff­nung schi­cken? Nach­dem er ihn im zwei­ten Teil be­reits durch Lett­land ge­hetzt hat­te? Nun, kei­ne Angst, das tut Man­kell sei­nem Wal­lan­der nicht an. Trotz­dem ge­lingt es ihm, eine span­nen­de Kri­mi­nal­ge­schich­te zwi­schen Ystadt und Kap­stadt zu we­ben; einen Page­tur­ner, den die meis­ten Le­se­r¦in­nen erst zur Seite le­gen kön­nen, wenn sie das Nach­wort ge­le­sen ha­ben.

Die weiße Löwin – Über den Inhalt

Der Roman beginnt etwas lang­at­mig mit einem fünf­zehn­sei­ti­gen Pro­log. Darin wird die his­tori­sche Grün­dung und Ent­wick­lung des buri­schen Broe­der­bond in Süd­afrika seit dem Jahr 1918 beschrie­ben. Diese Geheim­gesell­schaft stand näm­lich in engem Ver­hält­nis mit poli­ti­schen Orga­nisa­tio­nen der Buren und war das ideo­logi­sche Zen­trum der süd­afri­kani­schen Apart­heid-Ver­hält­nisse. Die Mit­glie­der des Broe­der­bond gehör­ten zu den schärfs­ten Geg­nern der Abschaf­fung der Apart­heid. Sie ver­achte­ten ihren Staats­prä­siden­ten, den Refor­mer de Klerk, und den 1990 frei­gelas­se­nen Nel­son Man­dela. Die Buren betrach­te­ten die Abkehr von der Ras­sen­tren­nung als Kriegs­erklä­rung. – Im Roman pla­nen sie die Pro­voka­tion eines Bür­ger­krie­ges, der Süd­afrika ins Chaos stür­zen soll, näm­lich die „Ope­ra­tion Sprieng­boek“.

Meanwhile in Ystad …

beginnt die Kri­minal­hand­lung in Schwe­den. Die Immo­bilie­nmak­le­rin Louise Aker­blom ist auf dem Weg ins Wochen­ende. Doch vor dem Fei­er­abend will sie noch rasch ein zur Ver­mitt­lung ange­bote­nes, abge­lege­nes Haus nörd­lich von Ystad besich­ti­gen. Die­sen Besuch über­lebt die Frau jedoch nicht. Als sie nach dem Weg fra­gen will, wird sie ohne jede Vor­ankün­di­gung erschos­sen. Als Wal­lan­der und sein Team die Ermitt­lun­gen auf­neh­men, explo­diert plötz­lich in unmit­tel­ba­rer Nähe ein Land­haus. Auf dem Hof des Hau­ses fin­den die Kri­mina­lis­ten den abge­trenn­ten Fin­ger eines Dun­kel­häu­ti­gen. Im nie­der­gebrann­ten Gebäude ent­de­cken sie außer­dem Reste eines rus­si­schen Funk­gerä­tes und einer süd­afri­kani­schen Pis­tole.

In sei­nem drit­ten Wal­lan­der durch­bricht Man­kell erst­mals die line­are Erzähl­weise, mit der er zuvor sei­nen Pro­tago­nis­ten ohne Brü­che oder Per­spek­tiven­wech­sel durch die Erzäh­lun­gen der Bände eins und zwei gelei­tet hatte. Die weiße Löwin beginnt in Süd­afrika, kehrt regel­mä­ßig dort­hin zurück. Und sie ver­setzt die Leser­schaft auch immer wie­der in alter­nati­ves Per­so­nal der Hand­lung hin­ein. Eben­falls neu ist das gele­gent­li­che Ver­las­sen der per­sona­len Erzähl­situa­tion mit Wech­seln zu zwei Ich-Erzäh­lern, einem Afri­ka­ner und Wal­lan­der selbst.

Killer unter sich

So wen­den wir uns als­bald der Ge­schich­te von Vic­tor Maba­sha zu, eines dun­kel­häu­ti­gen Auf­trags­mör­ders aus Süd­afrika. Vic­tor wird in der Abge­schie­den­heit der scho­ni­schen Wäl­der von einem ehe­mali­gen KGB-Agen­ten auf die Auf­gabe vor­berei­tet, einen unge­nann­ten rang­ho­hen süd­afri­kani­schen Poli­ti­ker mit einem Prä­zisi­ons­ge­wehr zu erschie­ßen. Zwi­schen Maba­sha und sei­nem Trai­ner kommt es jedoch zum hand­fes­ten Streit. Ergeb­nis: der abge­trennte schwar­ze Fin­ger und das ge­spreng­te Haus.

Zehntausend Kilometer weiter südlich …

in Pre­toria ermit­telt Staats­an­walt Georg Schee­pers im Mord­fall an einem der Bera­ter des süd­afri­kani­schen Prä­siden­ten de Klerk. Der Tote war der „Ope­ra­tion Sprieng­boek“ auf die Schli­che gekom­men. Zwar gelingt es Schee­pers, den zen­tra­len Böse­wicht in Gestalt eines fana­ti­schen Buren namens Jan Kleyn auszu­ma­chen. Und auch im per­sön­li­chen Umfeld die­ses Kleyns bro­delt es gewal­tig. Aber den­noch kom­men die Ermitt­ler den Details des sich klar abzeich­nen­den Kom­plotts nicht ent­schei­dend näher.

Aus die­sem Teil des Romans stammt auch sein Titel. Schee­pers und seine Frau unter­neh­men einen Safa­riaus­flug im Krüger-Natio­nal­park. Sie tref­fen auf eine weiße Löwin, die Schee­pers als ur-afri­kani­sches Sinn­bild einer dro­hen­den gesell­schaft­li­chen Gefahr in Zei­ten des Umbruchs inter­pre­tiert, „die jeder­zeit in unkon­trol­lier­te Gewalt über­ge­hen konnte“ (Seite 350).

„Die Schwar­zen mit ihrer Unge­duld, weil die Ver­ände­run­gen zu lang­sam voran­ka­men. Die Wei­ßen mit ihrer Angst, ihre Pri­vile­gien zu ver­lie­ren […] Es war wie ein War­ten am Fluß­bett, wenn einen ein Löwe belauert.“

Meanwhile in Ystad …

über­schla­gen sich die Ereig­nisse. Denn der far­bige Auf­trags­mör­der Maba­sha flieht nun vor dem KGB-Mann, der ihn mitt­ler­weile umbrin­gen will. Wal­lan­der und Maba­sha gera­ten dabei eher durch Schick­sals­fü­gung anein­ander. – Und was unter­nimmt der schwe­di­sche Kom­mis­sar? Er beher­bergt den gesuch­ten Ver­bre­cher, führt tief­sin­nige Gesprä­che über den Sinn des Lebens mit ihm und ver­sucht gar, dem Mann zur Flucht außer Lan­des zu ver­hel­fen. Ein Dienst­ver­ge­hen folgt dem ande­ren. Der Pro­tago­nist erschießt offen­bar erst­mals in sei­nem Berufs­le­ben einen Men­schen, wenn auch in Not­wehr. Und zuletzt steht Wal­lan­der selbst auf der Fahn­dungs­liste sei­ner Kolle­gen. Mehr sei hierzu aber nicht ver­ra­ten.

Die weiße Löwin – „Es gibt keinen Weg, der nicht irgendwann nach Hause führt“

So lau­tet ein afri­kani­sches Sprich­wort, das man ganz gut auf die Situa­tion des Autors Hen­ning Man­kell und sei­nen drit­ten Wal­lan­der­ro­man anwen­den kann. Wer zumin­dest schon ein­mal einen Klap­pen­text über Man­kell gele­sen hat, weiß wahr­schein­lich, dass der Schwede ein gro­ßes Fai­ble für Afrika hatte und im Staat Mosam­bik an der afri­kani­schen Ost­küste auf Höhe von Mada­gas­kar seine zweite Hei­mat gefun­den hatte. Seit den Acht­ziger­jah­ren ver­brachte Man­kell einen erkleck­li­chen Teil sei­nes Lebens im Süden Afri­kas.

Nun han­delte ja der erste Wal­lan­der in sei­nem nicht-krimi­nalis­ti­schen Anteil haupt­säch­lich von der sich wan­deln­den schwe­di­schen Gesell­schaft und den sich erge­ben­den Pro­ble­men. Siehe dazu auch meine Rezen­sion von Mör­der ohne Gesicht. Im zwei­ten Band nimmt Man­kell den poli­ti­schen Zusam­men­bruch des Ost­blocks aufs Korn. Er wid­met sich – stell­ver­tre­tend – der Situa­tion in Lett­land, siehe Hunde von Riga.
Im drit­ten Roman­band schließ­lich befasst sich der Autor nun mit der Kluft der Kul­tu­ren zwi­schen Schwarz und Weiß. Diese hät­te bekannt­lich nicht deut­li­cher als Anfang der Neun­ziger­jahre in Süd­afrika zutage tre­ten kön­nen. Man merkt es der Ge­schich­te zwei­fel­los an, dass es Man­kell ein Anlie­gen ist, darü­ber zu schrei­ben, was er von und in Afrika gelernt hat.

Philosophischer Killer

Als Mitt­ler zwi­schen afri­kani­scher Denk­weise und nord­euro­päi­schem Lebens­ver­ständ­nis tritt der Auf­trags­mör­der Vic­tor Maba­sha auf. Ihn lässt der Roman­autor in aller Aus­führ­lich­keit zu Wort kom­men. Leben und per­sön­li­che Ent­wick­lung Maba­shas wer­den aus­führ­lich in ver­schie­de­nen Pas­sa­gen dar­ge­stellt. Und es gibt meh­rere Sequen­zen, in denen der Zulu­krie­ger aus der Ich-Per­spek­tive direkt an die Leser­schaft berich­ten darf.

Darüber hin­aus ent­steht in der kri­mina­lis­ti­schen Hand­lung die gro­teske Situa­tion, in der Kurt Wal­lan­der den gesuch­ten Mord­ver­däch­ti­gen nicht etwa ver­haf­tet, als sich die Mög­lich­keit dazu ergibt. Viel­mehr ver­steckt er ihn bei sich zu Hause vor dem rus­si­schen Ver­fol­ger und führt phi­loso­phi­sche Gespräche jen­seits aller Ermitt­lun­gen mit dem Mann.

Da darf Maba­sha dann – bei­spiels­weise über drei­ein­halb Buch­sei­ten hin­weg, ab S. 305 – aus­führ­lich aus Sicht eines Afri­ka­ners über die Wich­tig­keit der Fami­lie plau­dern (ein wun­der Punkt bei Wal­lan­ders), über die Geis­ter, die zur Fami­lie gehö­ren, und über die Aus­wir­kun­gen von Unter­drü­ckung und Apart­heid.

„Als Vic­tor Maba­sha geen­det hatte, war es Wal­lan­der, als habe er eine lange Reise hin­ter sich. Sein Füh­rer hatte ihm Plätze gezeigt, von denen er vor­her nicht ein­mal gewusst hatte, daß sie exis­tier­ten.
Ich lebe in einem Land, wo wir gelernt haben zu glau­ben, daß alle Wahr­hei­ten ein­fach sind, dachte er.“ (Seite 309)

Solche Über­legun­gen sind es wohl, die Man­kell sei­ner Leser­schaft über die Figur des Kil­ler-Phi­loso­phen Maba­sha nahe brin­gen möchte.

Apropos Geister

Wann immer es eng wird für Maba­sh, hält er in lan­gen gedank­li­chen Mono­lo­gen Rück­spra­che mit einem nicht näher defi­nier­ten Adres­saten. Die­ser Son­goma ist keine Per­son, son­dern eher eine Art mys­ti­scher Kraft, die Maba­sha als Refle­xions­grund­lage benutzt und die die Geis­ter beein­flus­sen soll, die den afri­kani­schen Krie­ger umge­ben. Doch die Unter­stüt­zung, die Maba­sha sich von Son­goma erhofft, bleibt lei­der aus.

Man­kell stellt den afri­kani­schen Mör­der als einen im unmit­tel­ba­ren Sinn der Worte „von allen guten Geis­tern Ver­las­se­nen“ dar und wirbt in gewis­ser Weise beim Lese­pub­li­kum um Ver­ständ­nis für die­sen auf Abwege Gera­te­nen.

Die weiße Löwin – Bewertung

Leider muss ich es so for­mulie­ren: Ich nehme es dem Autor übel, dass er sei­nen Titel­hel­den Wal­lan­der irgend­wann die Fas­sung ver­lie­ren und seine Auf­ga­ben als Ver­tre­ter von Recht und Ord­nung ver­drän­gen lässt. Tat­säch­lich mag ich es nicht hin­neh­men, dass der Pro­tago­nist ohne jede Not seine Objek­tivi­tät ver­liert, sein eige­nes Leben und das sei­ner Toch­ter und sei­nes Vaters aufs Spiel setzt. Würde Wal­lan­der nicht so pflicht­ver­ges­sen agie­ren, die han­deln­den Böse­wich­ter wären in einer kon­zer­tier­ten poli­zei­li­chen Aktion längst aus­geschal­tet. Weil aber Wal­lan­der aus schlecht erklär­ten Impul­sen her­aus den Kol­le­gen gegen­über Fak­ten ver­schlei­ert und lie­ber auf eigene Faust vor­geht, spit­zen sich die Ereig­nisse zu. Das hat der gute Kurt nun wirk­lich nicht ver­dient!

Natür­lich ent­steht aus Wal­lan­ders chao­ti­schem Ver­hal­ten erst recht eine ganz beson­ders span­nende Ge­schich­te. Dies muss ich durch­aus ein­räu­men. Aber den­noch mag es mir nicht schme­cken, dass sich einer der Bösen auf Kos­ten des plötz­lich irr­lich­tern­den Hel­den pro­filie­ren darf. Auch dann nicht, wenn ich Man­kell zugute­halte, dass es ihm ein Anlie­gen war, hier ein­mal sein Afrika zu Worte kom­men zu lassen.

~

Notiz am Rande: Auch beim drit­ten Wal­lan­der bleibt der Deut­sche Taschen­buch­ver­lag bei der Umschlag­gestal­tung auf dem glei­chen Weg wie bei den ers­ten bei­den Bän­den. Dies­mal han­delt es sich um einen Aus­schnitt eines Gemäl­des des däni­schen Malers Chris­ten Schjelle­rup Købke, der in der ers­ten Hälfte des 19. Jahr­hun­derts lebte. Wel­ches sei­ner Gemälde zur Titel­gestal­tung (siehe Abbil­dung ganz oben) her­hal­ten musste, habe ich dies­mal lei­der nicht her­aus­fin­den kön­nen. Für Hin­weise bin ich des­halb dank­bar!

Wer diese Rezen­sion gern gele­sen hat, wird sich wahr­schein­lich auch für Buch­bespre­chun­gen ande­rer Wal­lan­der­ro­mane inte­res­sie­ren oder meine The­men­seite über Kurt Wal­lan­der anse­hen wol­len.

Fazit:

Zweifel­los ist es dem Autor Hen­ning Man­kell in Die weiße Löwin erneut gelun­gen, einen über­aus span­nen­den Kri­minal­ro­man der Wal­lan­der­se­rie nach­zuschie­ben. Ins­beson­dere der ver­teil­ten Hand­lung mit häu­figen Per­spek­tiven­wech­seln ist es zu ver­dan­ken, dass die Leser­schaft gebannt durch die Ge­schich­te hechelt und es uns allen schwer fällt, das Buch zwi­schen­durch aus der Hand zu legen.

Meine sehr per­sön­lich gefärbte Bewer­tung ver­hin­dert jedoch, dass die dritte Roman­folge mehr als drei von fünf mög­li­chen Ster­nen zuge­spro­chen bekommt. Auch wenn dies dem einen oder der ande­ren Lese­r¦in zu mager erschei­nen mag.

Henning Mankell: Die weiße Löwin
Deutscher Taschenbuchverlag, 1995

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