Aller guten Dinge sind drei. Nach Mörder ohne Gesicht und Hunde von Riga veröffentlichte Henning Mankell erneut nach nur einem Jahr den dritten Band seiner Krimiserie um Kommissar Wallander. Die weiße Löwin erzählt die Geschichte der Vorbereitung eines Attentats auf einen bekannten südafrikanischen Politiker. Gewiss wäre dieser Mordanschlag auch geglückt, hätten die Verantwortlichen nicht den Fehler gemacht, sich ausgerechnet mit Kurt Wallander anzulegen. – Nanu? Wallander und Südafrika? Der Autor wird doch seinen Protagonisten jetzt nicht auch noch ans Kap der Guten Hoffnung schicken? Nachdem er ihn im zweiten Teil bereits durch Lettland gehetzt hatte? Nun, keine Angst, das tut Mankell seinem Wallander nicht an. Trotzdem gelingt es ihm, eine spannende Kriminalgeschichte zwischen Ystadt und Kapstadt zu weben; einen Pageturner, den die meisten Leser¦innen erst zur Seite legen können, wenn sie das Nachwort gelesen haben.
Über den Inhalt
Der Roman beginnt etwas langatmig mit einem fünfzehnseitigen Prolog. Darin wird die historische Gründung und Entwicklung des burischen Broederbond in Südafrika seit dem Jahr 1918 beschrieben. Diese Geheimgesellschaft stand nämlich in engem Verhältnis mit politischen Organisationen der Buren und war das ideologische Zentrum der südafrikanischen Apartheid-Verhältnisse. Die Mitglieder des Broederbond gehörten zu den schärfsten Gegnern der Abschaffung der Apartheid. Sie verachteten ihren Staatspräsidenten, den Reformer de Klerk, und den 1990 freigelassenen Nelson Mandela. Die Buren betrachteten die Abkehr von der Rassentrennung als Kriegserklärung. – Im Roman planen sie die Provokation eines Bürgerkrieges, der Südafrika ins Chaos stürzen soll, nämlich die „Operation Spriengboek“.
Meanwhile in Ystad …
beginnt die Kriminalhandlung in Schweden. Die Immobilienmaklerin Louise Akerblom ist auf dem Weg ins Wochenende. Doch vor dem Feierabend will sie noch rasch ein zur Vermittlung angebotenes, abgelegenes Haus nördlich von Ystad besichtigen. Diesen Besuch überlebt die Frau jedoch nicht. Als sie nach dem Weg fragen will, wird sie ohne jede Vorankündigung erschossen. Als Wallander und sein Team die Ermittlungen aufnehmen, explodiert plötzlich in unmittelbarer Nähe ein Landhaus. Auf dem Hof des Hauses finden die Kriminalisten den abgetrennten Finger eines Dunkelhäutigen. Im niedergebrannten Gebäude entdecken sie außerdem Reste eines russischen Funkgerätes und einer südafrikanischen Pistole.
In seinem dritten Wallander durchbricht Mankell erstmals die lineare Erzählweise, mit der er zuvor seinen Protagonisten ohne Brüche oder Perspektivenwechsel durch die Erzählungen der Bände eins und zwei geleitet hatte. Die weiße Löwin beginnt in Südafrika, kehrt regelmäßig dorthin zurück. Und sie versetzt die Leserschaft auch immer wieder in alternatives Personal der Handlung hinein. Ebenfalls neu ist das gelegentliche Verlassen der personalen Erzählsituation mit Wechseln zu zwei Ich-Erzählern, einem Afrikaner und Wallander selbst.
Killer unter sich
So wenden wir uns alsbald der Geschichte von Victor Mabasha zu, eines dunkelhäutigen Auftragsmörders aus Südafrika. Victor wird in der Abgeschiedenheit der schonischen Wälder von einem ehemaligen KGB-Agenten auf die Aufgabe vorbereitet, einen ungenannten ranghohen südafrikanischen Politiker mit einem Präzisionsgewehr zu erschießen. Zwischen Mabasha und seinem Trainer kommt es jedoch zum handfesten Streit. Ergebnis: der abgetrennte schwarze Finger und das gesprengte Haus.
Zehntausend Kilometer weiter südlich …
in Pretoria ermittelt Staatsanwalt Georg Scheepers im Mordfall an einem der Berater des südafrikanischen Präsidenten de Klerk. Der Tote war der „Operation Spriengboek“ auf die Schliche gekommen. Zwar gelingt es Scheepers, den zentralen Bösewicht in Gestalt eines fanatischen Buren namens Jan Kleyn auszumachen. Und auch im persönlichen Umfeld dieses Kleyns brodelt es gewaltig. Aber dennoch kommen die Ermittler den Details des sich klar abzeichnenden Komplotts nicht entscheidend näher.
Aus diesem Teil des Romans stammt auch sein Titel. Scheepers und seine Frau unternehmen einen Safariausflug im Krüger-Nationalpark. Sie treffen auf eine weiße Löwin, die Scheepers als ur-afrikanisches Sinnbild einer drohenden gesellschaftlichen Gefahr in Zeiten des Umbruchs interpretiert, „die jederzeit in unkontrollierte Gewalt übergehen konnte“ (Seite 350).
„Die Schwarzen mit ihrer Ungeduld, weil die Veränderungen zu langsam vorankamen. Die Weißen mit ihrer Angst, ihre Privilegien zu verlieren […] Es war wie ein Warten am Flußbett, wenn einen ein Löwe belauert.“
Meanwhile in Ystad …
überschlagen sich die Ereignisse. Denn der farbige Auftragsmörder Mabasha flieht nun vor dem KGB-Mann, der ihn mittlerweile umbringen will. Wallander und Mabasha geraten dabei eher durch Schicksalsfügung aneinander. – Und was unternimmt der schwedische Kommissar? Er beherbergt den gesuchten Verbrecher, führt tiefsinnige Gespräche über den Sinn des Lebens mit ihm und versucht gar, dem Mann zur Flucht außer Landes zu verhelfen. Ein Dienstvergehen folgt dem anderen. Der Protagonist erschießt offenbar erstmals in seinem Berufsleben einen Menschen, wenn auch in Notwehr. Und zuletzt steht Wallander selbst auf der Fahndungsliste seiner Kollegen. Mehr sei hierzu aber nicht verraten.
„Es gibt keinen Weg, der nicht irgendwann nach Hause führt“
So lautet ein afrikanisches Sprichwort, das man ganz gut auf die Situation des Autors Henning Mankell und seinen dritten Wallanderroman anwenden kann. Wer zumindest schon einmal einen Klappentext über Mankell gelesen hat, weiß wahrscheinlich, dass der Schwede ein großes Faible für Afrika hatte und im Staat Mosambik an der afrikanischen Ostküste auf Höhe von Madagaskar seine zweite Heimat gefunden hatte. Seit den Achtzigerjahren verbrachte Mankell einen erklecklichen Teil seines Lebens im Süden Afrikas.
Nun handelte ja der erste Wallander in seinem nicht-kriminalistischen Anteil hauptsächlich von der sich wandelnden schwedischen Gesellschaft und den sich ergebenden Problemen. Siehe dazu auch meine Rezension von Mörder ohne Gesicht. Im zweiten Band nimmt Mankell den politischen Zusammenbruch des Ostblocks aufs Korn. Er widmet sich – stellvertretend – der Situation in Lettland, siehe Hunde von Riga.
Im dritten Romanband schließlich befasst sich der Autor nun mit der Kluft der Kulturen zwischen Schwarz und Weiß. Diese hätte bekanntlich nicht deutlicher als Anfang der Neunzigerjahre in Südafrika zutage treten können. Man merkt es der Geschichte zweifellos an, dass es Mankell ein Anliegen ist, darüber zu schreiben, was er von und in Afrika gelernt hat.
Philosophischer Killer
Als Mittler zwischen afrikanischer Denkweise und nordeuropäischem Lebensverständnis tritt der Auftragsmörder Victor Mabasha auf. Ihn lässt der Romanautor in aller Ausführlichkeit zu Wort kommen. Leben und persönliche Entwicklung Mabashas werden ausführlich in verschiedenen Passagen dargestellt. Und es gibt mehrere Sequenzen, in denen der Zulukrieger aus der Ich-Perspektive direkt an die Leserschaft berichten darf.
Darüber hinaus entsteht in der kriminalistischen Handlung die groteske Situation, in der Kurt Wallander den gesuchten Mordverdächtigen nicht etwa verhaftet, als sich die Möglichkeit dazu ergibt. Vielmehr versteckt er ihn bei sich zu Hause vor dem russischen Verfolger und führt philosophische Gespräche jenseits aller Ermittlungen mit dem Mann.
Da darf Mabasha dann – beispielsweise über dreieinhalb Buchseiten hinweg, ab S. 305 – ausführlich aus Sicht eines Afrikaners über die Wichtigkeit der Familie plaudern (ein wunder Punkt bei Wallanders), über die Geister, die zur Familie gehören, und über die Auswirkungen von Unterdrückung und Apartheid.
„Als Victor Mabasha geendet hatte, war es Wallander, als habe er eine lange Reise hinter sich. Sein Führer hatte ihm Plätze gezeigt, von denen er vorher nicht einmal gewusst hatte, daß sie existierten.
Ich lebe in einem Land, wo wir gelernt haben zu glauben, daß alle Wahrheiten einfach sind, dachte er.“ (Seite 309)
Solche Überlegungen sind es wohl, die Mankell seiner Leserschaft über die Figur des Killer-Philosophen Mabasha nahe bringen möchte.
Apropos Geister
Wann immer es eng wird für Mabash, hält er in langen gedanklichen Monologen Rücksprache mit einem nicht näher definierten Adressaten. Dieser Songoma ist keine Person, sondern eher eine Art mystischer Kraft, die Mabasha als Reflexionsgrundlage benutzt und die die Geister beeinflussen soll, die den afrikanischen Krieger umgeben. Doch die Unterstützung, die Mabasha sich von Songoma erhofft, bleibt leider aus.
Mankell stellt den afrikanischen Mörder als einen im unmittelbaren Sinn der Worte „von allen guten Geistern Verlassenen“ dar und wirbt in gewisser Weise beim Lesepublikum um Verständnis für diesen auf Abwege Geratenen.
Bewertung
Leider muss ich es so formulieren: Ich nehme es dem Autor übel, dass er seinen Titelhelden Wallander irgendwann die Fassung verlieren und seine Aufgaben als Vertreter von Recht und Ordnung verdrängen lässt. Tatsächlich mag ich es nicht hinnehmen, dass der Protagonist ohne jede Not seine Objektivität verliert, sein eigenes Leben und das seiner Tochter und seines Vaters aufs Spiel setzt. Würde Wallander nicht so pflichtvergessen agieren, die handelnden Bösewichter wären in einer konzertierten polizeilichen Aktion längst ausgeschaltet. Weil aber Wallander aus schlecht erklärten Impulsen heraus den Kollegen gegenüber Fakten verschleiert und lieber auf eigene Faust vorgeht, spitzen sich die Ereignisse zu. Das hat der gute Kurt nun wirklich nicht verdient!
Natürlich entsteht aus Wallanders chaotischem Verhalten erst recht eine ganz besonders spannende Geschichte. Dies muss ich durchaus einräumen. Aber dennoch mag es mir nicht schmecken, dass sich einer der Bösen auf Kosten des plötzlich irrlichternden Helden profilieren darf. Auch dann nicht, wenn ich Mankell zugutehalte, dass es ihm ein Anliegen war, hier einmal sein Afrika zu Worte kommen zu lassen.
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Notiz am Rande: Auch beim dritten Wallander bleibt der Deutsche Taschenbuchverlag bei der Umschlaggestaltung auf dem gleichen Weg wie bei den ersten beiden Bänden. Diesmal handelt es sich um einen Ausschnitt eines Gemäldes des dänischen Malers Christen Schjellerup Købke, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebte. Welches seiner Gemälde zur Titelgestaltung (siehe Abbildung ganz oben) herhalten musste, habe ich diesmal leider nicht herausfinden können. Für Hinweise bin ich deshalb dankbar!
Wer diese Rezension gern gelesen hat, wird sich wahrscheinlich auch für Buchbesprechungen anderer Wallanderromane interessieren oder meine Themenseite über Kurt Wallander ansehen wollen.
Fazit:
Zweifellos ist es dem Autor Henning Mankell in Die weiße Löwin erneut gelungen, einen überaus spannenden Kriminalroman der Wallanderserie nachzuschieben. Insbesondere der verteilten Handlung mit häufigen Perspektivenwechseln ist es zu verdanken, dass die Leserschaft gebannt durch die Geschichte hechelt und es uns allen schwer fällt, das Buch zwischendurch aus der Hand zu legen.
Meine sehr persönlich gefärbte Bewertung verhindert jedoch, dass die dritte Romanfolge mehr als drei von fünf möglichen Sternen zugesprochen bekommt. Auch wenn dies dem einen oder der anderen Leser¦in zu mager erscheinen mag.
Henning Mankell: Die weiße Löwin
Deutscher Taschenbuchverlag, 1995
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