Auf der Suche nach Lesestoff?❤Hier findest Du Buchbesprechungen mit Anspruch aber ohne Allüren. Ich schreibe meist über belletristische Titel; über solche, die mir gefallen oder auch mal nicht gefallen haben; manchmal Mainstream, manchmal abseits der ausgetretenen Pfade. (Persönliche Empfehlungen und ein paar Worte zu diesem Projekt gibt’s ganz unten auf dieser Seite.)
Der Chronist der Flower-Power-Ära, T. C. Boyle, greift wieder einmal tief ins Füllhorn der historischen Alternativszene Amerikas und präsentiert den Roman Das Licht. Diesmal geht es um Timothy Leary, den LSD-Papst der Sechzigerjahre. Damit knüpft Boyle an seine Erfolgsbiografien wie Willkommen in Wellville und Dr. Sex an. Er erzählt die Geschichte der Wendejahre Learys, als der Harvard-Professor beginnt, im Zirkel seiner Doktoranden und deren Ehefrauen Drogenexperimente durchzuführen: Insbesondere mit Psilocybin und Lysergsäurediethylamid. Das Licht ist Boyles siebzehnter Roman und wurde im Original drei Jahre nach Die Terranauten und zwei Jahre vor Sprich mit mir veröffentlicht.
Wenn es um Sex, Drugs & Rock’n’Roll geht, läuft T. C. Boyle stets zur Höchstform auf. Deshalb wundert es nicht, dass Das Licht wieder einmal zu einem Glanzlicht der historisch-biografischen Romane geworden ist. Im englischen Original heißt der Titel übrigens Outside Looking In. Damit nimmt der Autor Bezug auf die Pop-Kultur der Sechzigerjahre. In ihrem Song Legend Of Mind besangen die Moody Blues die Ikone der Bewusstseinserweiterung:
„Timothy Leary’s dead
No, no, no, no, he’s outside looking in“
(Moody Blues, 1968)
Es gibt viele schriftstellerische Kunstgriffe, auf die Autoren in ihren Geschichten zurückgreifen können. Eine dieser Finessen, die mich als Mathematiker enorm fasziniert, ist die der Rekursion. Der Rekursion haftet stets ein Hauch der Unendlichkeit an.
Einige der besten grafischen Beispiele für Rekursion stellen Zeichnungen von M.C. Escher dar. Etwa dieser endlose, mystische Lauf treppauf oder treppab auf dem Titelbild zu diesem Text. Im Musikalischen hingegen ist Johann Sebastian Bach der unbestrittene Meister der Rekursion. (Interessierst Du Dich ernsthaft für die Theorie? Dann empfehle ich Dir unbedingt Gödel, Escher, Bach von Douglas R. Hofstadter zur Lektüre. Das Standardwerk.)
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In der Literatur gibt es ebenfalls viele Beispiele, in denen die Autoren ihre Geschichten rekursiv angelegt haben.
Beispielsweise würde eine Romanfigur im (fiktiven) Roman „Urlaub auf Sylt“ im Laufe der Romanhandlung aus ihrem jüngst veröffentlichten Roman mit dem Titel „Urlaub auf Sylt“ vorlesen. Damit würde eine Abbildung des Romans auf sich selbst, also eine Rekursion entstehen.
Rezensionen rekursiver Romane
Dieses Beispiel ist natürlich eher trivial. In meinen Buchbesprechungen habe ich jedoch drei sehr gelungene, subtilere Beispiele für rekursiv angelegte Romane rezensiert:
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Die Sandelholzstrafe – Eine Geschichte über Dorfschönheiten, Rebellen und das Leben in der chinesischen Provinz während der europäischen Kolonialzeit zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Und über die Grausamkeit der Todesstrafen, wie sie damals auch wegen geringer Vergehen vollzogen wurden. Eine Erzählung über das alte China, vorgetragen in einer Sprache, die von überlieferten populären Redeweisen und Gesängen geprägt ist.
Der Schatten des Windes – Der Protagonist des Romans „adoptiert“ ein Buch gleichen Titels und durchlebt mit dessen Hauptfigur Höhen und Tiefen des Lebens. Ein „fantastischer“ Roman über Literatur, über das Erwachsenwerden und über die Stadt meines Herzens, Barcelona. Eine Geschichte über den sagenumwobenen „Friedhof der Verlorenen Bücher“; über Liebe, Freundschaft und Verrat; über die Historie des spanischen Bürgerkrieges.
Tintenherz – Ein packendes Märchen über das Verschwinden von Grenzen zwischen Realität und Erfundenem. Vorleser mit einer besonderen Gabe können Gegenstände, Personen und Tiere aus dem Roman im Roman heraus in die Wirklichkeit von Tintenherz transportieren sowie auch andersherum aus der Romanwirklichkeit hinein in das Buch im Buch.
Eine Mannheimer Südamerikanerin mit Wohnsitz im Schweizer Tessin hat einen historischen Roman über das antike Rom veröffentlicht. Claudia Magerl schreibt über die Regierungszeit des übel beleumundeten Kaisers Nero. Dabei rückt sie in ihrem bislang vierten römischen Roman, Der Tempel des Castor, so einige der bis heute nicht ausgeräumten Vorurteile über ein angeblich wahnsinniges Monster zurecht. Aus verschiedenen Gründen lohnt es sich unbedingt, der Autorin in die Zeit des ersten Jahrhunderts nach Christi Geburt zu folgen.
Um dem Schwerpunkt der Erzählung gerecht zu werden, möchte ich es nicht versäumen darauf hinzuweisen, dass der Protagonist des Romans nicht Caesar Nero selbst ist sondern Marcus Salvius Otho, Freund und Vertrauter Neros – zumindest in den ersten Jahren der Regierungszeit des Kaisers.
Der Tempel des Castor – Worum also geht es?
Der Roman setzt ein mit den letzten Kaiserjahren von Neros Vorgänger, des Caesar Claudius. Als Claudius verstirbt, womöglich vergiftet durch die eigene Gattin Agrippina, muss sich die kaisertreue Familie des Feldherrn Lucius Salvius Otho um ihre Stellung im politischen Staatsgefüge sorgen. Doch dann gelingt es dem jüngsten Spross der Othos, Marcus Salvius, zum einflussreichen Freund des neuen Caesars Nero zu avancieren. Den engsten Freundeskreis um Nero verbindet die gemeinsame Liebe zur Kunst und der Volksnähe des jugendlichen Kaisers.