
Die US-amerikanische Autorin Audrey Niffenegger erzählt die Geschichte der lebenslangen Liebe zwischen Henry und Clare. Als Clare, die Frau des Zeitreisenden, den Mann ihres Lebens kennenlernt, ist sie sechs Jahre alt. Er ist vierzig. Aus dem chronologischen Widerspruch, dass Henry seinerseits Clare bereits im Alter von 28 Jahren trifft, als sie ihrerseits zwanzig ist, macht dieser fantasievolle Roman eine fantastische Erzählung.
Die Ursache des Widerspruches ist simpel, wenn auch äußerst ungewöhnlich: Henry leidet an einer genetischen Anomalie, die ihn zum ersten Mal als Säugling aus seiner gegenwärtigen Welt verschwinden lässt. Irgendwann und irgendwo anders taucht Henry dann unerwartet auf und kehrt nach kurzer Zeit wieder in sein ursprüngliches Raum-Zeit-Gefüge zurück. Insbesondere der ersten seiner vielen Zeitreisen verdankt Henry sein Leben. Denn genau im Moment seines Verschwindens verstirbt seine Mutter in einem furchtbaren Verkehrsunfall. Sein gesamtes Leben über springt der Protagonist der Geschichte sporadisch und gegen seinen Willen in die Vergangenheit oder Zukunft. Er landet zu Zeitpunkten und an Orte, die nicht vorhersehbar sind, die sich jedoch in vielen Fällen als wichtig für Henrys gesamtes Leben erweisen.
Henry und Clare
Ziele und Begleitumstände solcher Zeitreisen sind häufig äußerst unangenehm, aber einer seiner Sprünge in die Vergangenheit führt ihn zielsicher auf das weitläufige Grundstück der Abshires. Dort begegnet er der sechsjährigen Tochter der Familie, Clare. Das Mädchen akzeptiert die Unmöglichkeit der Situation mit der radikalen Lernbereitschaft eines Kindes. Im Laufe der folgenden zwölf Lebensjahre Clares reist Henry unzählige Male zurück in der Zeit zu seiner heranwachsenden Clare. Die chronologischen Ursprünge dieser Besuche, also seine „Abreisezeiten“, liegen in unterschiedlichen Altersepochen Henrys. Allerdings kommt er stets aus Zeiten, in denen er und Clare bereits ein Ehepaar sind.
Der Roman besteht aus Tagebucheinträgen, die wechselseitig Clares und Henrys Sichtweisen wiedergeben. Es liegt in der Natur der Erzählung, dass die chronologische Folge der Einträge nicht eingehalten wird. Der Leser ist gut beraten, sich beim Lesen die Angaben zu Jahreszahl und Alter der Protagonisten in den Kapitelüberschriften einzuprägen. Andernfalls verliert er unweigerlich den Faden.
Wer jedoch den Überblick behält, gerät in den vollen Genuss der Brillanz, mit der Niffenegger die Komplexität der Zeitreisen Henrys und deren logischer Konsequenzen auflöst. Das gesamte Konstrukt des chronologischen Hin und Her ist hervorragend durchdacht und wird meisterhaft erzählt. Damit gibt Die Frau des Zeitreisenden eine Romanhandlung ab, die den Leser geradezu hineinsaugt in eine Liebesgeschichte, die oftmals äußerst romantisch, manchmal erotisch, aber stets tief bewegend ist.
Interessante Perpektive
Abgesehen von dieser Herz erwärmenden Erzählung über Clare und Henry und ihrem Ringen um eine gemeinsame Zukunft, steckt mehr in diesem Roman. Man kann die Geschichte durchaus auch als Metapher sehen auf Möglichkeiten und Grenzen von Liebesbeziehungen. Tatsächlich formuliert Audrey Niffenegger mit Die Frau des Zeitreisenden eine in meinen Augen erstaunlich klare Botschaft:
Wie sehr man sich auch bemühen mag, Fehler vorauszuahnen und sein Verhalten daran zu optimieren, der Lauf der Dinge wird sich nicht grundsätzlich ändern.
Auch in die eigene Vergangenheit gerichtete Wünsche, bestimmte Dinge anders angegangen zu haben, sind wertlos. „Ach, hätte ich doch damals …“ ist eine sinnlose Vorstellung, die man sich und vor allem dem Lebenspartner ersparen kann.
Erfolgsrezept
Den Charme der Erzählung macht vor allem die Fähigkeit der Autorin aus, den außergewöhnlichen Plot in ein realistisches und liebenswertes personelles Gerüst einzuweben. Die Eigenschaften und Defekte der beiden Protagonisten, ihrer Familien, ihrer Freunde und ihrer Kollegen ergänzen auf perfekte Weise die unerhörten, ja unglaublichen Geschehnisse um einen Mann, der ständig in eine andere Zeit verschwindet. Niffenegger gelingt ein Balanceakt zwischen Fiktion und Alltag. Dieser Akt wird nur sehr selten langweilig und behält fast durchehend seinen Spannungsbogen bei.
Zu Beginn der zweiten Hälfte hat der Roman einige Längen, Szenen, auf die man verzichten könnte. Auf Plattheiten wie die Finanzierung des Familienlebens von Clare und Henry durch einen Lottogewinn, den eine Zeitreise in die Zukunft problemlos ermöglicht, wartet so mancher Leser wohl von Beginn an. Und tatsächlich: Er steht nach einiger Wartezeit tatsächlich auf dem Programm.
An Stelle solcher Banalitäten hätte ich mir zum Beispiel ein wenig mehr Substanz für Clares Leben nach Henrys Tod gewünscht. Diese Epoche bleibt mir zu blass und leidet darüber hinaus am Mangel an Erklärungen zu bestimmten Handlungskonstrukten, die vordergründig wichtig zu sein scheinen, aber schließlich abrupt beendet werden. Warum gelingt es dem Henry aus der Vergangenheit nicht, seine Clare nach seinem Tod in der Zukunft zu besuchen?
Fazit:
Wieso gibt es nicht mehr Science Fiction dieser Art? „Fiktiv“ ist die Geschichte sowieso, „wissenschaftlich“ ist sie auf Grund der (erfunden) medizinischen Erläuterungen zu den Zeitreisen. Science Fiction also, aber nicht der übliche Quatsch über Supermänner oder futuristische Supergaus, sondern fiktive Überzeichnung normaler Menschenleben.
Abgesehen von einigen Hängern und wenigen Ungereimtheiten fesselt Die Frau des Zeitreisenden in einem Maß, das mir auf jeden Fall und locker vier von fünf möglichen Sternen wert ist.
Audrey Niffenegger:
The Time Traveler’s Wife | Die Frau des Zeitreisenden
🇺🇸 MacAdam/Cage Publishing, 2003
🇩🇪 Fischer Verlag, 2005
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