Die Frau des Zeitreisenden

The Time Travelers Wife
Audrey Niffenegger, 2003

Die US-ame­ri­ka­ni­sche Autorin Audrey Niffen­egger erzählt die Geschich­te der lebens­lan­gen Liebe zwi­schen Henry und Clare. Als Clare, die Frau des Zeitreisenden, den Mann ihres Le­bens kennen­lernt, ist sie sechs Jahre alt. Er ist vier­zig. Aus dem chro­nolo­gischen Wider­spruch, dass Henry seiner­seits Clare be­reits im Al­ter von 28 Jah­ren trifft, als sie ihrer­seits zwan­zig ist, macht dieser fanta­sie­volle Roman eine fan­tas­ti­sche Erzäh­lung.

Die Ursache des Wider­spruches ist simpel, wenn auch äu­ßerst unge­wöhnlich: Henry leidet an einer gene­ti­schen Anoma­lie, die ihn zum ersten Mal als Säug­ling aus sei­ner gegen­wärti­gen Welt ver­schwin­den lässt. Irgend­wann und irgend­wo anders taucht Henry dann uner­war­tet auf und kehrt nach kur­zer Zeit wie­der in sein ur­sprüng­li­ches Raum-Zeit-Gefüge zu­rück. Insbe­son­dere der ersten sei­ner vielen Zeit­rei­sen verdankt Henry sein Leben. Denn genau im Moment sei­nes Ver­schwin­dens ver­stirbt sei­ne Mutter in einem furcht­baren Ver­kehrs­unfall. Sein gesam­tes Leben über springt der Prota­gonist der Geschich­te spora­disch und gegen seinen Wil­len in die Ver­gangen­heit oder Zu­kunft. Er lan­det zu Zeit­punkten und an Or­te, die nicht vor­her­seh­bar sind, die sich jedoch in vie­len Fäl­len als wich­tig für Henrys gesam­tes Leben erwei­sen.

Die Frau des Zeitreisenden – Henry und Clare

Ziele und Begleit­umstände sol­cher Zeit­rei­sen sind häu­fig äu­ßerst unan­ge­nehm, aber einer seiner Sprün­ge in die Ver­gangen­heit führt ihn ziel­sicher auf das weit­läu­fige Grund­stück der Abshires. Dort begeg­net er der sechs­jähri­gen Toch­ter der Fami­lie, Clare. Das Mäd­chen akzep­tiert die Unmög­lich­keit der Situ­ation mit der radi­kalen Lern­bereit­schaft eines Kin­des. Im Lau­fe der folgen­den zwölf Lebens­jahre Clares reist Henry unzäh­lige Male zurück in der Zeit zu seiner heran­wach­sen­den Clare. Die chrono­logi­schen Ur­sprün­ge dieser Besu­che, also seine „Abreise­zeiten“, lie­gen in unter­schied­lichen Alters­epochen Henrys. Aller­dings kommt er stets aus Zei­ten, in denen er und Clare bereits ein Ehe­paar sind.

Der Roman besteht aus Tage­buch­ein­trä­gen, die wechsel­sei­tig Clares und Henrys Sicht­weisen wieder­geben. Es liegt in der Natur der Erzäh­lung, dass die chrono­logi­sche Fol­ge der Ein­träge nicht einge­halten wird. Der Leser ist gut bera­ten, sich beim Lesen die Anga­ben zu Jahres­zahl und Alter der Prota­goni­sten in den Kapitel­über­schrif­ten einzu­prägen. Andern­falls ver­liert er unwei­ger­lich den Fa­den.
Wer jedoch den Über­blick behält, gerät in den vol­len Genuss der Brillanz, mit der Niffen­egger die Kom­plexi­tät der Zeit­reisen Henrys und deren logi­scher Konse­quen­zen auf­löst. Das gesam­te Kon­strukt des chrono­logi­schen Hin und Her ist her­vor­ragend durch­dacht und wird meister­haft erzählt. Damit gibt Die Frau des Zeit­reisenden eine Roman­handlung ab, die den Leser gera­dezu hinein­saugt in eine Liebes­geschich­te, die oft­mals äu­ßerst roman­tisch, manch­mal ero­tisch, aber stets tief bewe­gend ist.

Interessante Perpektive

Abgesehen von dieser Herz erwär­men­den Erzäh­lung über Clare und Henry und ihrem Rin­gen um eine gemein­same Zu­kunft, steckt mehr in diesem Roman. Man kann die Geschich­te durch­aus auch als Meta­pher sehen auf Mög­lic­hkeiten und Gren­zen von Liebes­bezie­hungen. Tat­säch­lich formu­liert Audrey Niffen­egger mit Die Frau des Zeit­reisenden eine in mei­nen Augen erstaun­lich klare Bot­schaft:

Wie sehr man sich auch bemühen mag, Fehler voraus­zu­ahnen und sein Verhal­ten daran zu opti­mieren, der Lauf der Dinge wird sich nicht grund­sätzlich ändern.

Auch in die eige­ne Ver­gangen­heit gerich­tete Wünsche, bestimmte Dinge anders ange­gan­gen zu haben, sind wert­los. „Ach, hätte ich doch damals …“ ist eine sinn­lose Vor­stel­lung, die man sich und vor allem dem Lebens­part­ner erspa­ren kann.

Die Frau des Zeitreisenden – Erfolgsrezept

Den Charme der Erzäh­lung macht vor allem die Fähig­keit der Auto­rin aus, den außer­gewöhn­lichen Plot in ein realisti­sches und liebens­wertes perso­nelles Gerüst einzu­weben. Die Eigen­schaften und Defek­te der bei­den Prota­gonisten, ihrer Fami­lien, ihrer Freun­de und ihrer Kol­legen ergän­zen auf per­fekte Weise die uner­hör­ten, ja unglaub­lichen Gescheh­nisse um einen Mann, der stän­dig in eine andere Zeit ver­schwindet. Niffen­egger gelingt ein Balance­akt zwi­schen Fik­tion und All­tag. Dieser Akt wird nur sehr sel­ten lang­wei­lig und behält fast durch­ehend sei­nen Spannungs­bogen bei.

Zu Beginn der zweiten Hälfte hat der Roman einige Län­gen, Sze­nen, auf die man verzich­ten könnte. Auf Platt­heiten wie die Finan­zierung des Fami­lien­lebens von Clare und Henry durch einen Lotto­gewinn, den eine Zeit­reise in die Zu­kunft problem­los ermög­licht, war­tet so man­cher Leser wohl von Beginn an. Und tat­sächlich: Er steht nach eini­ger Warte­zeit tatsäch­lich auf dem Pro­gramm.
An Stelle solcher Bana­litä­ten hätte ich mir zum Bei­spiel ein wenig mehr Sub­stanz für Clares Leben nach Henrys Tod gewünscht. Diese Epoche bleibt mir zu blass und lei­det darü­ber hinaus am Man­gel an Erklä­rungen zu bestimm­ten Hand­lungs­kon­struk­ten, die vorder­gründig wich­tig zu sein schei­nen, aber schließ­lich abrupt been­det werden. Warum gelingt es dem Henry aus der Ver­gangen­heit nicht, seine Clare nach seinem Tod in der Zu­kunft zu besu­chen?

Fazit:

Wieso gibt es nicht mehr Science Fiction dieser Art? „Fiktiv“ ist die Geschich­te sowie­so, „wissen­schaft­lich“ ist sie auf Grund der (erfun­den) medi­zini­schen Erläu­terun­gen zu den Zeit­reisen. Science Fiction also, aber nicht der übliche Quatsch über Super­männer oder futu­risti­sche Super­gaus, son­dern fik­tive Über­zeich­nung norma­ler Menschen­leben.

Abgese­hen von eini­gen Hän­gern und weni­gen Unge­reimt­heiten fesselt Die Frau des Zeitreisenden in einem Maß, das mir auf jeden Fall und locker vier von fünf mög­lichen Ster­nen wert ist.

Audrey Niffenegger:
The Time Traveler’s Wife
| Die Frau des Zeitreisenden
🇺🇸 MacAdam/Cage Publishing, 2003
🇩🇪 Fischer Verlag, 2005

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