Axolotl Roadkill

Axolotl Roadkill
Helene Hegemann, 2010

Eine sieb­zehn­jäh­ri­ge Auto­rin soll­te zum Dar­ling des deut­schen Li­te­ra­tur­be­triebs ge­kürt wer­den. Ihr Ro­man­de­büt mit dem Titel Axolotl Roadkill wird als be­son­ders ge­lun­ge­nes Co­ming-Of-Age-Buch ge­lobt und in eine Rei­he mit Sa­lin­gers Fän­ger im Rog­gen ge­stellt.

He­le­ne He­ge­manns Ro­man wur­de für den Leip­zi­ger Buch­mes­se­preis no­mi­niert und galt vor­ab als aus­ge­mach­ter Ju­ry­sie­ger. Zu­min­dest bis Pla­giats­vor­wür­fe ge­gen die jun­ge Auto­rin nicht nur er­ho­ben son­dern auch be­legt wur­den.

Hege­manns Ver­lag be­sorg­te nach­träg­lich die Rech­te an den ab­ge­schrie­be­nen Text­se­quen­zen, die Auto­rin stell­te ih­re Vor­ge­hens­wei­se als neue Kunst­form auf Ba­sis von Ver­satz­stü­cken dar, und der be­stoh­le­ne Autor rea­giert ge­las­sen. War die gan­ze Auf­re­gung al­so nur ein Sturm im Was­ser­glas?

Axolotl Roadkill – Worum es geht

Um die Was­ser­glas­frage zu beant­wor­ten, muss man sich zunächst mit dem Plot von Hege­manns Ge­schich­te befas­sen. Die sech­zehn­jäh­rige Mif­ti, Alter Ego der Auto­rin, drif­tet durch die Ber­li­ner Bohè­me. Den Schul­be­such ver­wei­gert die Pro­tago­nis­tin, ver­bringt ihre Tage und Nächte statt des­sen in einem Lebens­kon­strukt zwi­schen Alko­hol, Dro­gen, E-Mail, Sex und SMS. Mifti wir­belt durch einen Stru­del aus Bezie­hungs­kis­ten hetero- und homo­sexu­el­ler Art, aus den Nach­wir­kun­gen von Exzes­sen und agres­si­ver Aus­fälle gegen sich und ihre Umwelt, der dem inne­ren Spie­ßer im Leser Schwin­del berei­tet.

Axolotl Roadkill – Authentizität

Gibt es tat­säch­lich sol­che Kin­der, die von Eltern und Fami­lie ver­nach­läs­sigt rum­pel­fü­ßig durch ihr erst begin­nen­des Leben stol­pern? Kin­der, die mehr oder weni­ger sehen­den Auges, mehr oder weni­ger ermun­tert oder gar getrie­ben durch ihr Lebens­um­feld auf den unver­meid­li­chen Eklat zusteu­ern?

Ganz bestimmt gibt es sol­che Kin­der. Aber Helene Hege­mann alias Mifti ist sicher keine die­ser bedau­erns­wer­ten Krea­tu­ren. Denn erlebt hat sie bes­ten­falls – oder bes­ser: glück­licher­weise – nur einen Teil ihrer Ge­schich­ten. Das wird dem Leser spä­tes­tens klar, wenn er oder sie sich mit den Inhal­ten der Pla­giats­nach­weise beschäf­tigt.
Ist die viel gerühmte Authen­tizi­tät der Ge­schich­te also blo­ßer Schein? Eine sol­che Annahme dürfte durch­aus ein Grund zur Freude sein. Stünde dann doch zumin­dest fest, dass Fräu­lein Hege­mann nicht unmit­tel­bar bedroht ist durch eine Stri­cher­karri­ere am Bahn­hof Zoo. Ande­rer­seits fehlte der Ge­schich­te in die­sem Falle Hin­ter­grund und Sub­stanz. Die­ser Man­gel wird auch nicht bes­ser durch die offe­nen Hin­weise der Auto­rin auf ihr Koket­tie­ren mit dem Offen­sicht­li­chen.
Die vermeint­lich kaputte Exis­tenz der Auto­rin/Pro­tago­nis­tin ist zumin­dest zu Tei­len kon­stru­iert, so wie die vie­ler ande­rer „inte­res­san­ter Bio­gra­fien“, die sich alle letzt­lich eitel son­nen im schau­rig schö­nen Ruf des Ver­bote­nen, des Abstur­zes, des Anders­seins.

Axolotl Roadkill – Rezeption

Gelobt wird Helene Hege­mann vor allem für ihre „klu­ge[n], authen­ti­sche[n] und rasan­te[n] Sätze. Bang, macht es. Und wie­der hat den Leser ein Blitz von hel­lem Jetzt getrof­fen“ (Peter Michal­zik in der Frank­fur­ter Rund­schau). Was aber bleibt übrig, wenn man von man­chen Stak­kato-Passa­gen weiß und von ande­ren anneh­men muss, dass sie aus frem­der Feder stam­men?

Aber tre­ten wir doch noch ei­nmal einen Schritt zurück. Las­sen wir Authen­tizi­tät und Urhe­ber­schaft der Grund­gedan­ken ein­mal bei­seite. Tun wir so, als stamme der Text tat­säch­lich aus­nahms­los von Fräu­lein Hege­mann. Was gäbe es dann über Axolotl Roadkill zu sagen?

Axolotl Roadkill – Bewertung

Ich schi­cke vor­aus, dass ich das Buch zwei­mal gele­sen habe. Zum einen des­halb, weil ich fast alle Romane zwei­mal lese, bevor ich sie hier vor­stelle. Und zum zwei­ten in die­sem Fall schlicht­weg aus dem Grund, dass ich beim ers­ten Durch­gang nicht immer ganz fol­gen konnte.

Der Text besteht aus einer Mischung aus Gedan­ken­gän­gen der Pro­tago­nis­tin Mifti, aus Dia­lo­gen zwi­schen Mifti und ihrer Umge­bung sowie aus Abschrif­ten von E-Mails und Short Messa­ges, die das Mäd­chen mit Vater, Bru­der, Schwes­ter, Freun­din und Gelieb­ten aus­tauscht. Mir fiel es äußerst schwer, zwi­schen Gedan­ken­gän­gen und Dia­lo­gen zu unter­schei­den. Viele Sequen­zen flie­ßen inein­an­der über. Es ist oft nicht klar, wer wel­che Sätze spricht, selbst dann nicht, wenn man mit­ten im Lesen noch ein­mal zurück springt.

Man mag nun diese Sprung­haf­tig­keit als gewoll­tes Merk­mal der (hege­mann­schen?) Jugend­spra­che loben. Mir gibt der­lei Durch­ein­an­der nicht viel außer einem Gefühl der Ver­wir­rung. Es sei zwar durch­aus ein­ge­räumt, dass es im Hand­lungs­strang der Ge­schich­te – Roman wage ich dazu nicht zu sagen – über­schau­bare Sze­nen gibt, in denen eine gewisse Chro­nolo­gie der Ereig­nisse erkenn­bar bleibt. Aber zu oft drif­tet der Plot ab in alko­hol- und dro­gen­getränk­tes Wabern durch Zeit und Raum. Urplötz­lich müs­sen Taxi­fah­rer gefickt wer­den. Über Stunden oder gar Tage hin­weg trägt Mifti eine mit Was­ser gefüll­te Plas­tik­tüte herum, in der sich ein Schwanz­lurch namens Axo­lotl befin­det. Die­ser Lurch gab dem Buch den Titel. Offen­sicht­lich kön­nen die Pro­tago­nis­tin wie der Lurch ihr Leben lang (?) die Lar­ven­ge­stalt nicht abstrei­fen.
„Bang, macht es.“ Und schon wie­der trifft mich so ein Ver­satz­stück aus dem fehl­ge­lei­te­ten Teen­ager­le­ben einer ver­meint­lich Strau­cheln­den.

Ange­sichts der mage­ren Sub­stanz der Ge­schich­te wei­gere ich mich, auf einer womög­lich vor­han­de­nen Meta­ebene nach Sinn­bil­dern und gro­ßen Hin­ter­grün­den zu suchen. Ich fühle mich auf uner­freu­li­che Weise an das Roman­debüt von Char­lotte Roche aus dem ver­gan­ge­nen Jahr erin­nert.

Fazit:

Ein weite­res Buch aus der Tas­ta­tur einer jun­gen Frau, das geplant die Kon­fron­ta­tion sucht, das um jeden Preis scho­ckie­ren will. Dass dieser Ver­such nicht gelingt, liegt nicht zuletzt am Pla­giat, aber auch nicht nur daran. Die nach­ge­sagte Nach­bar­schaft zu J.D. Salin­ger muss unbe­dingt kor­ri­giert werden. Helene Hege­mann steht eher in einer Reihe mit Ver­tre­terin­nen der eige­nen Gene­ra­tion wie ihrer Lands­frauen Char­lotte Roche und Rebecca Mar­tin (Frühling und so), der Nor­wege­rin Edy Pop­py (Ragnhild Moe. Die Hände des Cel­lis­ten) und der Schwe­din Maria Sve­land (Bit­ter­fot­ze), die mit ihren popu­lis­tisch ange­leg­ten Roman­the­men bewusst Ängste und Wider­stände der Gesell­schaft schü­ren.

Mehr als einen von den mög­li­chen fünf Ster­nen habe ich lei­der nicht übrig für Axolotl Roadkill.

Helene Hegemann: Axolotl Roadkill
Ullstein Verlag, 2010

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