Heute vor ein paar Stunden lief die fünfköpfige Familie Potter durch den Londoner Bahnhof King’s Cross. Vater Harry (37) und seine Frau Ginny (36) brachten gemeinsam mit ihrer jüngsten Tochter Lily deren beide Brüder James und Albus ans Gleis 9¾ zum Zug nach Hogwarts, an die Zaubererschule.* 26 Jahre zuvor hatte Harry Potter selbst sein erstes Schuljahr an Hogwarts angetreten. Was damals geschehen war, beschrieb Joanne K. Rowling im ersten Band ihrer Romanserie, Harry Potter und der Stein der Weisen, dessen englischsprachiges Original im Jahr 1997 erschien, also mittlerweile vor zwei Jahrzehnten. Seither ist die Romanserie längst zum modernen Mythos geworden.
*) Wer unbedingt wissen möchte, was es mit diesem einleitenden Satz auf sich hat, kann im Spoiler meiner Besprechung des letzten und siebten Bandes spicken. Alle anderen nehme ich nun gerne mit auf eine Reise durch eine Buchserie, die in den Neunzigerjahren Aufsehen erregte und zum Verkaufsschlager wurde.
Worum geht es?
Es heißt, Joanne Rowling habe die Idee zu Harry Potter im Jahr 1990 während einer Bahnfahrt von Manchester nach London gehabt. Rund zweieinhalb Stunden dauert die Fahrt auf dieser Strecke, in denen die erstaunliche Geschichte um einen Jungen erdacht wurde, dessen Leben an seinem elften Geburtstag plötzlich auf links gedreht wird:
Zehn Jahre lang hatte der junge Harry bei Tante und Onkel gelebt, die ihn die ganze Zeit über schlecht behandelten. Seine verantwortungslosen Eltern wären, so erzählten die beiden dem Neffen Harry, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der Junge selbst habe den Unfall im Alter von einem Jahr überlebt und nur eine Stirnnarbe davongetragen.
Just an seinem Geburtstag erfährt nun Harry, dass die Unfallgeschichte ein dicke Lüge war. Vielmehr seien seine Eltern Zauberer gewesen, die von einem bösen Schwarzmagier getötet wurden. Der Mörder habe danach versucht, auch den kleinen Harry umzubringen. Doch der Todesfluch schlug fehl und wandte sich gegen den bösen Zauberer selbst, der danach verschwand. Harry blieb vom misslungenen Zauberfluch allerdings diese Narbe auf der Stirn, die ihn sofort in der gesamten magischen Welt berühmt gemacht hatte.
Vom misshandelten Jungen zum Popstar mit Zauberkräften
Eine Viertelstunde braucht der Halbriese Hagrid, um Harrys Existenz mit dessen wahrer Lebensgeschichte umzukrempeln. Der Junge wird in einer magischen Einkaufsmeile in London ausgestattet und fährt mit einer Dampflok irgendwo in den britischen Norden, wo eine der besten Magierschulen in einem alten Schloss untergebracht ist.
Dort lernt Harry den weisen Schulleiter Dumbledore kennen, der zum Mentor des Jungen wird. Und er macht sich Freunde, aber auch Feinde unter Mitschülern und Lehrern an der Schule. Außerdem erkennt Harry sein geradezu unglaubliches Talent für den Besenritt und wird zum jüngsten Mitglied des Quidditchteams seines Schulhauses. Quidditch, soviel sei noch angemerkt, ist eine Art Mischung aus Basketball, Völkerball und Schmetterlingsfangen, wird aber hoch in der Luft auf fliegenden Besen gespielt.
Mehr mag ich hier nicht verraten. Denn natürlich wird es während Harrys erstem Schuljahr hochspannend und gefährlich. Wer unbedingt wissen möchte, was passiert, der kann es ja im Spoiler nachlesen:
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Spoiler verbergen
Doch von diesem Augenblick an war Hermine Granger ihre Freundin. Es gibt Dinge, die man nicht gemeinsam erleben kann, ohne dass man Freundschaft schließt, und einen fast vier Meter großen Bergtroll zu erlegen gehört gewiss dazu.
(Seite 197)
Der Stein der Weisen und die Unsterblichkeit
Nachdem Freunde und Gegner ausgewürfelt sind, erfahren die Freunde um Harry vom geheimnisvollen Stein der Weisen, der dem Roman seinen Titel gab. Dabei handelt es sich um einen sagenhaften Stoff, der Metalle in reines Gold verwandelt und außerdem das Elixier des Lebens erzeugt. Wer dieses Elixier trinkt, wird unsterblich.
Es stellt sich heraus, dass ein Stein der Weisen in der Schule versteckt wurde, um ihn dort vor Schwarzmagiern in Sicherheit zu bringen. Allerdings wird bald klar, dass jemand versucht, den Stein an sich zu bringen. Harry, Ron und Hermine verdächtigen den unsympathischen Snape. Als die drei erfahren, dass jemand den todbringenden Wächter des Steinverstecks überlistet hat, folgen sie dem Einbrecher, um das Schlimmste zu verhindern. Mit der Hilfe seiner Freunde gelingt es Harry Potter, bis zum Versteck des Steins vorzustoßen.
Professor Quirrell und Voldemort
Allerdings trifft er dort nicht wie vermutet auf Snape sondern auf den bis dahin unscheinbaren Professor Quirrell. Doch was Harry nicht ahnen konnte: Der böse Schwarzmagier Voldemort, der zehn Jahre zuvor vergeblich versucht hatte, ihn als schutzloses Baby umzubringen, hatte sich im Körper Quirrells eingenistet. Als Harry nun unvermutet den Stein der Weisen an sich bringen kann, kommt es zur zweiten Konfrontation zwischen Voldemort und dem Jungen.
Doch wieder zeigt sich, dass schwarze Magie nicht gegen Harrys erstaunliche Kraft bestehen kann. Quirrell stirbt beim Versuch, Harry zu töten. Lord Voldemort wird ein zweites Mal abgewehrt und verschwindet erneut. Diese erstaunliche Kraft erklärt Schulleiter Dumbledore dem Jungen:
„Deine Mutter ist gestorben, um dich zu retten. Wenn es etwas gibt, was Voldemort nicht versteht, dann ist es Liebe. Er wusste nicht, dass eine Liebe, die so mächtig ist wie die deiner Mutter zu dir, ihren Stempel hinterlässt. […] Es ist deine bloße Haut, die dich schützt. […] Für ihn war es eine tödliche Qual, jemanden zu berühren, dem etwas so Wunderbares widerfahren ist.“
(Seite 324)
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Die Magie der Geschichte
Der Autorin ist es gelungen, mit ihrem Harry Potter einen Helden mit hohem Identifikationsgrad bei der Leserschaft zu schaffen. Welcher Grundschüler an der Schwelle zu weiterführenden Schulen könnte sich nicht in eine solche überraschende Wendung hineinversetzen? Wer würde sich nicht wünschen, selbst den ganz großen Schritt in eine solche Fantasiewelt zu machen?
Rowlings Fantasiewelt hat es in sich: Zaubern lernen! Das Internat Hogwarts mit all seinen wundervollen Überraschungen! Der Zusammenhalt der vier „Häuser“ innerhalb des Internats; Gryffindor, Hufflepuff, Ravenclaw und Slytherine! Freundschaften, die für die Ewigkeit geschmiedet werden! Freundschaften, die sich gegen unverschämte Angriffe bösartiger Gegner bewähren! Und hinter all dem diese zunächst geheimnisvolle Geschichte der ewigen Feindschaft zwischen einem schwachen Zauberlehrling und einem düsteren, allmächtig scheinenden Schwarzmagier!
Hinzu kommen Drachen, Einhörner, Eulen, Geister, Hauselfen, Kobolde, Riesenspinnen, Sphinxe, Trolle, Riesen, Untote, Vampire, Werwölfe, Zentauren und jede Menge weiterer erstaunlicher Geschöpfe einer magischen Fauna und Flora.
Bereits in ihrem ersten Romanband hat Joanne Rowling eine großartige Geschichte angelegt. Sie vermag nämlich, Jung und Alt in ihren Bann zu schlagen, und hält dabei noch ausreichend Spielraum für künftige Entwicklung bereit.
Erfolgsrezept
Joanne Rowlings Erzählungen sind über alle sieben Romanbände hinweg aus der Perspektive eines immer gleichen personalen Erzählers verfasst. Gemeinsam mit dem Protagonisten Harry Potter schlittert die Leserschaft durch dessen Erlebnisse, Gedanken und Gefühle. Es gibt nur kurze Zeitsprünge über wenige Tage oder selten über Wochen hinweg. Wenn es nötig ist, Vorgänge aus der Vergangenheit zu erklären, lässt die Autorin eben aus Geschichtsbüchern vorlesen oder Zeitzeugen erzählen. Häufiger noch nutzt sie eine Art magischer Videotheken, die sogenannten „Denkarien“. In solche Abspielgeräte können Besucher – hier also Harry – eintauchen, um darin an Erinnerungen anderer Personen teilzuhaben.
Auf diese Weise ist ein dichter Erzählteppich entstanden, rasant im zeitlichen Ablauf und immer wieder durchwoben von all den erstaunlichen Details, die die Welt der Zauberer von der der nichtmagischen „Muggeln“ unterscheidet.
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Hat Dir diese Buchbesprechung gefallen? Dann interessierst Du Dich vielleicht auch für meine Rezensionen zu den anderen sechs Harry-Potter-Romanen? Du findest sie auf meiner Autorenseite über Joanne K. Rowling.
Fazit:
Harry Potter und der Stein der Weisen ist Auftakt zu einer Romanserie, die die Lesegewohnheiten Jugendlicher wie Erwachsener umgekrempelt hat. Aus meiner Sicht gehören die Potterromane ins gleiche Bücherregal wie Michael Endes Jim-Knopf-Serie und J.R.R. Tolkiens Hobbit-und-Herr-der-Ringe-Saga. Auch wenn der Zauberergeschichte inzwischen technische Neuerungen fehlen, die seither das Leben der Menschheit stark beeinflusst haben – etwa die Revolution der Smartphones -, so bleibt der Mythos um Harry Potter dennoch zeitlos aktuell.
Deshalb vergebe ich der ersten Pottergeschichte pralle drei von fünf möglichen Bewertungssterne. Für vier Sterne hat es nur ganz knapp nicht gereicht.
Joanne K. Rowling: Harry Potter and the Philosopher’s Stone
| Harry Potter und der Stein der Weisen
🇬🇧 Bloomsbury Publishing, 1997
🇩🇪 Carlsen Verlag, 1998
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