Alberto Moravia († 1990 im Alter von 83) war ein römischer Schriftsteller, dessen beide großen Themen – Sexus und Geld – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Aufsehen erregten und wie nicht anders zu erwarten vom faschistischen Staat indiziert und von der römischen Kirche heftig bekämpft wurden. Moravias Romane haben mich in meiner Jugendzeit ebenso schockiert wie angezogen. Denn diese Art von Literatur, tabulos freizügig und zugleich distanziert, sezierend objektiv, war mir bis dahin unbekannt. Ich mache mich nun, im Sommer 2022, auf eine retrospektive Tour durch einige der Romane Moravias, die seit über vierzig Jahren in meinem Bücherregal stehen:
- Agostino (🇮🇹 1944 | 🇩🇪 1948)*
- Die Römerin (🇮🇹 1947 | 🇩🇪 1950)
- Der Konformist (🇮🇹 1951 | 🇩🇪 1960)
- La Noia (🇮🇹 1960 | 🇩🇪 1961)
- Inzest (🇮🇹 1965 | 🇩🇪 1966)
- Desideria (🇮🇹 1978 | 🇩🇪 1979)
- 1934 oder Die Melancholie (🇮🇹 1982 | 🇩🇪 1982)
- Die Reise nach Rom (🇮🇹 1988 | 🇩🇪 1989)
vollständige Bibliografie Alberto Moravias findet man zum Beispiel in der Wikipedia.
Eine
Biografisches
Der Schriftsteller stammte aus einer wohlhabenden römischen Familie. Sein Vater war erfolgreicher Architekt und Maler aus Venedig. Alberto hatte zwei Schwestern und einen Bruder. Der Nachname der Familie lautete in Wirklichkeit Pincherle. Den „Moravia“, lateinische Bezeichnung von Mähren, legte sich Alberto später in Anlehnung an den Familiennamen der Großmutter väterlicherseits zu.
Als Neunjähriger erkrankte Alberto an Knochentuberkulose. Während langer Sanatorienaufenthalte begann der Junge, viel zu lesen. Im Alter von achtzehn schrieb er bereits an seinem viel beachteten Erstling Die Gleichgültigen, den er im Jahr 1929 auf eigene Kosten drucken ließ. Als Antifaschist erhielt Moravia in den Dreißigern Schreibverbot und verlor seine Arbeit als Journalist. Doch auf der Flucht vor den Schergen des Mussolini-Regimes begann er im Exil auf Capri erneut zu schreiben.
Bedeutung und Rezeption
Nach Kriegsende – sein Vermögen hatte er verloren und jahrelang in Armut gelebt – wurde Moravia politisch und literarisch eine der wichtigsten und einflussreichsten Persönlichkeiten Italiens. Seither zählen seine Schriften zu den bedeutendsten Werken des kritischen Neoliberalismus. Sie sind Spiegel des bürgerlichen Lebens im Italien des 20. Jahrhunderts. Moravia war in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg der meistgelesene italienische Autor und auch international anerkannter Repräsentant der Literatur Italiens. Seit den Sechzigern galten seine Texte als Provokation der öffentlichen Moral, die sich aus der Konzentration auf den Körper und seine Perversionen ergab; die eine Entlarvung des Bürgertums und die Befreiung des Körperlichen von der Moral der Kirche erreichen wollte. Literaturkritiker maßen Moravia einen geradezu sakralen Stellenwert bei.
Das bedeutet jedoch nicht, dass seine Romane nun von den Institutionen besser aufgenommen worden wären. Denn seine Texte galten nach wie vor als anstößig. 1952 hatte die Kongregation des Heiligen Offiziums in Rom sein gesamtes Werk auf den Index gesetzt. 1961 erhielt er eine Anklage wegen Pornografie in La Noia. Sogar noch Ende der 70er-Jahre wurde sein Roman Desideria beschlagnahmt.
Trotz allem: Alberto Moravia erhielt fünfzehn Nominierungen für den Literaturnobelpreis, verliehen wurde er ihm allerdings nie. Doch viele seiner Romane wurden von namhaften Regisseur¦innen verfilmt: von Luigi Zampa, Vittorio De Sica, Bernardo Bertolucci, Doris Dörrie und Jean-Luc Godard.
Zuletzt wurde Moravia zum Abgeordneten der Kommunistischen Partei Italiens und vertrat während der letzten fünf Jahre seines Lebens die Partei im Europaparlament.
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Im September 1980 erschien im Playboy ein Interview mit Alberto Moravia, das André Müller mit ihm führte.
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Fußnote:
*) Angaben zu Erscheinungsjahren und Verlagen der Erstausgaben kann man auf einer Liste nachsehen, die W. Körgler im Jahr 2018 zusammengestellt hat: Titelliste italienischer Literatur in deutscher Übersetzung (Erstveröffentlichungen) 1940-2017 (PDF)